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Bad Kissingen
Vergessener Klassiker: Wer ist Jean Sbogar?
Eine Mischung aus Abenteuer- und Liebesroman ist der Räuberroman „Jean Sbogar“ von Charles Nodier. Warum der Klassiker der französischen Literatur ein literarischer Leckerbissen ist.
Lesetipp: „Jean Sbogar“ von Charles Nodier       -  Das Cover von Charles Nodiers „Jean Sbogar“
Foto: Flur Verlag
Sigismund von Dobschütz
 |  aktualisiert: 28.03.2025 02:40 Uhr

Vor über einem Jahr gründete die promovierte Romanistin Alexandra Beilharz ihren Flur Verlag. Dessen Schwerpunkte sollen vergessene Klassiker der französischen Literatur sowie anspruchsvolle Phantastik und Essays sein.

Ein vergessener Klassiker ist zweifellos die im November herausgegebene, um bisher ausgelassene Passagen ergänzte und von der Verlegerin selbst in Teilen übersetzte Neuausgabe des Räuberromans „Jean Sbogar“, einer 1818 veröffentlichten Erzählung von Charles Nodier (1780–1844).

Eine Mischung aus Abenteuer- und Liebesroman

Der französische Schriftsteller gilt als Mitbegründer der französischen Romantik und führte das Phantastische in die französische Literatur ein. „Jean Sbogar“, eine Mischung aus Abenteuer- und Liebesroman , machte Nodier bekannt, obwohl dessen Erstauflage noch anonym erschien. Eine erste Übersetzung ins Deutsche gab es 1835, gefolgt von einer Bearbeitung aus dem Jahr 1914, die beide Grundlage der Neuausgabe waren.

Die romantisch-schauerliche, mit Landschaftsbeschreibungen zusätzlich ausgeschmückte Liebesgeschichte, die 1808 in Triest und Venedig spielt, ist schnell erzählt: Die mental schwächliche 17-jährige Kaufmannstochter Antonia lebt nach dem Tod der Eltern mit ihrer 32-jährigen, bereits verwitweten Stiefschwester Alberti im Elternhaus am Stadtrand von Triest.

Der geheimnisvolle Lothario

Die Stadt leidet ebenso wie Venedig unter napoleonischer Herrschaft. Eine gegen Adel und Patriziat rebellierende Räuberbande unter Hauptmann Jean Sbogar – im Volk längst eine Legende – soll im verfallenen Schloss Duino oberhalb von Triest ihren Unterschlupf gefunden haben.

Während eines Aufenthalts in Venedig lernt Antonia bei einer Abendgesellschaft den geheimnisvollen Lothario kennen, einen jungen Edelmann unbekannter Herkunft, der immer plötzlich auftaucht und bald wieder verschwindet.

Antonia verliebt sich in ihn. Ihre Liebe wird auch erwidert, doch nach wenigen Treffen verschwindet Lothario. Er will diese unschuldige junge Frau vor drohendem Unheil bewahren. Denn Lothario ist kein anderer als der gesuchte Rebell Jean Sbogar, der aufgrund seines Doppellebens mit inneren Konflikten zu kämpfen hat.

 Furioses Finale mit tragischem Ende

Zwar kommt es später unter dramatischen Umständen zu einem Wiedersehen, bei dem Antonia in Jean Sbogar ihren Liebsten erkennt, doch für beide endet die Geschichte nach einem furiosen Finale äußerst tragisch.

Die Lektüre dieses Romans aus dem frühen 19. Jahrhundert ist für heutige Leser zweifellos gewöhnungsbedürftig. Lange verschachtelte Sätze in wohlgesetzter Wortwahl erschweren das Lesen und erfordern Konzentration.

Ein Sittenbild damaliger Zeit

Auch mag die reine Liebesgeschichte nicht mehr in unsere moderne Zeit passen. Doch schildert der Roman neben aller Romantik auch ein Sittenbild damaliger Zeit, als Adel und Patriziat das Land beherrschten, während das einfache Volk darben musste.

Gegen diese Ungerechtigkeit, für Demokratie und individuelle Freiheit kämpft Jean Sbogar mit seinen Rebellen. „Ist die Politik zu einer Wissenschaft von Phrasen verkommen, ist alles verloren“, heißt es im Kapitel „Lotharios Aufzeichnungen“, das in frühen Ausgaben ausgelassen und erst jetzt in die Neuausgabe aufgenommen wurde.

Auch heute noch ein interessanter politischer Roman

An anderer Stelle verteidigt Lothario sein diskreditiertes Alter Ego Jean Sbogar und dessen Einsatz für die Revolution: „Sucht in Eurem Gedächtnis, wer die Stifter der neueren Gesellschaften sind, und Ihr werdet finden, dass es Banditen sind, wie jene, die Ihr so lieblos verurteilt.“

Dieser und andere Sätze sind es, die „Jean Sbogar“ in der Rückschau noch heute zu einem interessanten politischen Roman machen. Dazu zählt literaturhistorisch auch das 35-seitige Vorwort, das Charles Nodier erst der Ausgabe des Jahres 1832 voranstellte.

Literarischer Leckerbissen

Hier widerspricht er Kritikern, die ihn des Plagiats bezichtigten. Er soll bei vorangegangenen Werken wie Friedrich Schillers „Räuber“ (1782), Heinrich Zschokkes „Abällino, der große Bandit“ (1794) oder Lord Byrons „Corsair“ (1814) und anderen gestohlen haben.

Doch tatsächlich hatte Nodier mit seiner Erzählung lediglich die Vielzahl der damals beliebten romantisch-schaurigen Räuberromane um ein weiteres Werk ergänzt. Vielleicht neideten ihm die Kritiker nur seinen Erfolg?

Denn sogar Napoleon soll Nodiers Bestseller binnen einer Nacht auf Sankt Helena gelesen haben. Heute dürfte „Jean Sbogar“ besonders für Liebhaber klassischer und romantischer Literatur ein literarischer Leckerbissen sein.

Informationen zum Buch: Charles Nodier: „Jean Sbogar“, Flur Verlag, gebunden, 248 Seiten, Preis: 24 Euro, ISBN 978-3989651012

 
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