Bad Kissingen
Vergebliche Suche nach Glück
Mit der "ernsten Komödie" bzw. "lustigen Tragödie" "Bella Figura", gastierte die Truppe des Euro-Studios Landgraf beim Theaterring Bad Kissingen.
Eigentlich sollte ein kleiner roter Rennflitzer in der ersten Szene eine große Rolle spielen, aber der konnte nicht auf die Bühne des Kurtheaters transportiert werden. So kam das Publikum zu einer kleinen Einführung von Heio von Stetten, der nicht, wie üblich bei solchen Auftritten vorher, von der Krankheit eines Kollegen, sondern vom Nicht-Vorhandensein einer Requisite, eben jenes Autos berichtete. Als Ersatz gab er eine Matchbox-Version durch die Reihen, erklärte eine rot verhüllte Parkbank zum Auto und tat das so charmant und witzig, dass das Publikum gleich eingestimmt war in Yasmina Rezas "ernste Komödie" bzw. "lustige Tragödie" "Bella Figura", mit der die Truppe des Euro-Studios Landgraf beim Theaterring gastierte.
Und als Julia Hansen und er in dieser ersten Szene auch noch die Regieanweisungen wie "Tür auf, Tür zu!" zur wachsenden Freude der Zuschauer mitsprachen, wusste man, dass die Improvisation in Sachen Auto und die Inszenierung von Thomas Goritzki eine andere werden würde, als die sehr vergrübelte Uraufführung 2015 an der Berliner Schaubühne, die deren Intendant Thomas Ostermeier bei der Autorin in Auftrag gegeben und bei der er selbst Regie geführt hatte. Geriet der Abend in Berlin zu einer existentialistisch tiefschürfenden und recht langatmigen Angelegenheit, zeigte Goritzki, dass er das Handwerk der Komödienumsetzung perfekt beherrscht. Zusammen mit Ausstatter Stephan Mannteuffel, der einen Riesenprospekt mit einer trostlosen Parkplatzlandschaft auf eine veritable kleine Drehbühne montiert hatte, wodurch die Szene blitzschnell in einen zentralen Handlungsort des Stückes, eine Toilette, verwandelt werden konnte. Allfällige Umbauten ins Lokal oder auf dessen Terrasse besorgten die vier jungen Schauspieler tanzend zu Schlagern wie "Champs Elysées", "La vie en rose" oder "Ni oui ni non", wodurch Lokalkolorit und Stimmung fast wie in einem Musical geschaffen und der Spielfluss nie unterbrochen wurde. Von Langatmigkeit also keine Spur, auf dem intimen Örtchen kommt es nicht nur beinahe zum intimen Tun zwischen Boris und Andrea, alle Schauspieler zeigen auch ständig, wie unpassend sie den Ort für die Weiterführung ihrer Konversation halten. Den Eindruck eines Konversationsstückes verhinderten die Fülle der Regieeinfälle, das angenehm rasche Spieltempo, akribische Personenregie und viele gut beobachtete realistische Details zum Wiedererkennen, wie zum Beispiel der plötzlich losbrausende Handtrockner. Das Publikum amüsierte sich ebenso lautstark an diesen wie auch dem pointenreichen Dialog.
Doch wie so oft, wenn nach Grimmelshausens uralter Definition "mit Lachen die Wahrheit" gesagt wird, kristallisierte sich der ernste Kern des Stücks, die Darstellung von zwei gerade noch jungen Paaren, und einer widerwillig alten Dame in all ihrer Einsamkeit und vergeblichen Suche nach Glück in außerehelichem Sex oder ständigem Konsum von Zigaretten und legalen Drogen aus der Apotheke umso schärfer heraus. Wie in Rezas anderen Stücken entwickelt sich hier aus einer anfänglichen alltäglichen Begebenheit: Eine ältere Dame wird von einem ausparkenden Auto gestreift, wodurch der Fahrer Boris, seine heimliche Geliebte Andrea, der Sohn der alten Dame, Eric, und seine Verlobte und Freundin von Boris" Ehefrau Nathalie Françoise ins Gespräch kommen. Aber anders als in etwa "Der Gott des Gemetzels, bleiben die beiden Paare nicht unter sich, zerfleischen sich gegenseitig, sondern ihnen ist mit Yvonne eine Außenstehende beigegeben, die das Ganze aus der Warte einer erfahrenen Frau, scharfen Beobachterin analysiert, aber auch sich selbst immer wieder durch ihre altersbedingten Schwächen, wie Vergesslichkeit oder ständige Wiederholungen, in Frage stellt. Vordergründig ist die impulsive und vor allem in ihren Gefühlen ehrliche Apothekenhelferin Andrea der Katalysator des Stückes, da sie es ablehnt, eine "bella figura" zu zeigen, Contenance zu wahren und dadurch mit Yvonne eine Allianz eingeht, die die drei Angepassten verwirrt und ihre durch die "bella figura" kaschierte Hilflosigkeit offenlegt.
Wie alle fünf Rollen waren diese beiden Störfaktoren in diesem dadurch nicht typischen Paarkampf-Stück á la Yasmina Reza sehr gut besetzt. Julia Hansen spielte die alleinerziehende, sich nach ehelicher Geborgenheit sehnende Apothekengehilfin Andrea als ständigen Unruhefaktor, als unberechenbare, emotional ehrlich reagierende, lebenshungrige Mittvierzigerin, die aufgrund all dieser Eigenschaften Yvonnes Interesse findet. Deren Rolle war bei Doris Kunstmann gut aufgehoben, da sie ohne Rücksicht auf altersbedingte Unzulänglichkeiten und mit herrisch lauter Stimme auf ihrer Sonderstellung beharrte, und in ihrem Verhalten gegenüber ihrem Sohn Boris zeigte, wie ähnlich sie der (gerade noch) jungen Andrea ist. Während Sohn und Schwieger-Verlobte vollkommen humor- und gefühllos ihren Geburtstag abfeiern wollen, konnte Kunstmann sich in Widerborstigkeit , aber auch Versponnenheit in ihre eigene Welt als vielfältig schillernde, nicht greifbare Person präsentieren. In der zentralen Szene, in der die drei Frauen allein sind, brechen Andrea und Yvonne durch ihre Ausgelassenheit und Lust am gemeinsamen Lachen auch die Fassade von Françoise auf, die Susanne Steidle absolut überzeugend als unantastbar humorlose, stets auf Contenance bedachte Mittelklassenfrau spielte. Als sie ins Lachen der beiden anderen einstimmt, erkennt der Zuschauer, was ihr fehlt, was sie verpasst. Ihr Verlobter Eric ist mit ihr seit vier Jahren zusammen, doch leben sie nebeneinander her, er fühlt sich zu Andrea hingezogen, bis Françoise ihr Terrain verteidigt.
Die hasst Yvonne wegen deren Ungebundenheit und ist eifersüchtig auch auf Erics Anhänglichkeit an seine Mutter - Gefühle, die sie meist gut im Griff hat und darunter leidet. Boris Amette ist ein absolut aalglatter Geschäftsmann, der Andrea als Accessoire behandelt, das ihm zusteht und das zu funktionieren hat, wenn er es braucht, und der überrascht ist und schroff reagiert, wenn sie ihn als Einzige wegen seiner geschäftlichen Schwierigkeiten bemitleidet. Ausgerechnet diese beiden finden am Ende zu so etwas wie einem von Sympathie getragenen Gespräch, ansonsten bleiben die fünf Protagonisten in ihrer Vereinzelung allein, verweigert das Stück als "lustige Tragödie" dem Publikum ein Happy End. Doch machen die Autorin und die Regie auch klar, dass ein solches in einer Menschengruppe, deren oberstes Lebensprinzip die Selbstbeherrschung ist, nur andeutungsweise und zeitlich begrenzt auftreten kann. Das Publikum im Kurtheater freute sich lautstark an den vielen komischen Aspekten der Aufführung, applaudierte laut und anhaltend und expedierte am Schluss gut gelaunt das Matchboxauto durch die Reihen wieder zurück zu Heio von Stetten auf die Bühne.
Und als Julia Hansen und er in dieser ersten Szene auch noch die Regieanweisungen wie "Tür auf, Tür zu!" zur wachsenden Freude der Zuschauer mitsprachen, wusste man, dass die Improvisation in Sachen Auto und die Inszenierung von Thomas Goritzki eine andere werden würde, als die sehr vergrübelte Uraufführung 2015 an der Berliner Schaubühne, die deren Intendant Thomas Ostermeier bei der Autorin in Auftrag gegeben und bei der er selbst Regie geführt hatte. Geriet der Abend in Berlin zu einer existentialistisch tiefschürfenden und recht langatmigen Angelegenheit, zeigte Goritzki, dass er das Handwerk der Komödienumsetzung perfekt beherrscht. Zusammen mit Ausstatter Stephan Mannteuffel, der einen Riesenprospekt mit einer trostlosen Parkplatzlandschaft auf eine veritable kleine Drehbühne montiert hatte, wodurch die Szene blitzschnell in einen zentralen Handlungsort des Stückes, eine Toilette, verwandelt werden konnte. Allfällige Umbauten ins Lokal oder auf dessen Terrasse besorgten die vier jungen Schauspieler tanzend zu Schlagern wie "Champs Elysées", "La vie en rose" oder "Ni oui ni non", wodurch Lokalkolorit und Stimmung fast wie in einem Musical geschaffen und der Spielfluss nie unterbrochen wurde. Von Langatmigkeit also keine Spur, auf dem intimen Örtchen kommt es nicht nur beinahe zum intimen Tun zwischen Boris und Andrea, alle Schauspieler zeigen auch ständig, wie unpassend sie den Ort für die Weiterführung ihrer Konversation halten. Den Eindruck eines Konversationsstückes verhinderten die Fülle der Regieeinfälle, das angenehm rasche Spieltempo, akribische Personenregie und viele gut beobachtete realistische Details zum Wiedererkennen, wie zum Beispiel der plötzlich losbrausende Handtrockner. Das Publikum amüsierte sich ebenso lautstark an diesen wie auch dem pointenreichen Dialog.
Doch wie so oft, wenn nach Grimmelshausens uralter Definition "mit Lachen die Wahrheit" gesagt wird, kristallisierte sich der ernste Kern des Stücks, die Darstellung von zwei gerade noch jungen Paaren, und einer widerwillig alten Dame in all ihrer Einsamkeit und vergeblichen Suche nach Glück in außerehelichem Sex oder ständigem Konsum von Zigaretten und legalen Drogen aus der Apotheke umso schärfer heraus. Wie in Rezas anderen Stücken entwickelt sich hier aus einer anfänglichen alltäglichen Begebenheit: Eine ältere Dame wird von einem ausparkenden Auto gestreift, wodurch der Fahrer Boris, seine heimliche Geliebte Andrea, der Sohn der alten Dame, Eric, und seine Verlobte und Freundin von Boris" Ehefrau Nathalie Françoise ins Gespräch kommen. Aber anders als in etwa "Der Gott des Gemetzels, bleiben die beiden Paare nicht unter sich, zerfleischen sich gegenseitig, sondern ihnen ist mit Yvonne eine Außenstehende beigegeben, die das Ganze aus der Warte einer erfahrenen Frau, scharfen Beobachterin analysiert, aber auch sich selbst immer wieder durch ihre altersbedingten Schwächen, wie Vergesslichkeit oder ständige Wiederholungen, in Frage stellt. Vordergründig ist die impulsive und vor allem in ihren Gefühlen ehrliche Apothekenhelferin Andrea der Katalysator des Stückes, da sie es ablehnt, eine "bella figura" zu zeigen, Contenance zu wahren und dadurch mit Yvonne eine Allianz eingeht, die die drei Angepassten verwirrt und ihre durch die "bella figura" kaschierte Hilflosigkeit offenlegt.
Wie alle fünf Rollen waren diese beiden Störfaktoren in diesem dadurch nicht typischen Paarkampf-Stück á la Yasmina Reza sehr gut besetzt. Julia Hansen spielte die alleinerziehende, sich nach ehelicher Geborgenheit sehnende Apothekengehilfin Andrea als ständigen Unruhefaktor, als unberechenbare, emotional ehrlich reagierende, lebenshungrige Mittvierzigerin, die aufgrund all dieser Eigenschaften Yvonnes Interesse findet. Deren Rolle war bei Doris Kunstmann gut aufgehoben, da sie ohne Rücksicht auf altersbedingte Unzulänglichkeiten und mit herrisch lauter Stimme auf ihrer Sonderstellung beharrte, und in ihrem Verhalten gegenüber ihrem Sohn Boris zeigte, wie ähnlich sie der (gerade noch) jungen Andrea ist. Während Sohn und Schwieger-Verlobte vollkommen humor- und gefühllos ihren Geburtstag abfeiern wollen, konnte Kunstmann sich in Widerborstigkeit , aber auch Versponnenheit in ihre eigene Welt als vielfältig schillernde, nicht greifbare Person präsentieren. In der zentralen Szene, in der die drei Frauen allein sind, brechen Andrea und Yvonne durch ihre Ausgelassenheit und Lust am gemeinsamen Lachen auch die Fassade von Françoise auf, die Susanne Steidle absolut überzeugend als unantastbar humorlose, stets auf Contenance bedachte Mittelklassenfrau spielte. Als sie ins Lachen der beiden anderen einstimmt, erkennt der Zuschauer, was ihr fehlt, was sie verpasst. Ihr Verlobter Eric ist mit ihr seit vier Jahren zusammen, doch leben sie nebeneinander her, er fühlt sich zu Andrea hingezogen, bis Françoise ihr Terrain verteidigt.
Die hasst Yvonne wegen deren Ungebundenheit und ist eifersüchtig auch auf Erics Anhänglichkeit an seine Mutter - Gefühle, die sie meist gut im Griff hat und darunter leidet. Boris Amette ist ein absolut aalglatter Geschäftsmann, der Andrea als Accessoire behandelt, das ihm zusteht und das zu funktionieren hat, wenn er es braucht, und der überrascht ist und schroff reagiert, wenn sie ihn als Einzige wegen seiner geschäftlichen Schwierigkeiten bemitleidet. Ausgerechnet diese beiden finden am Ende zu so etwas wie einem von Sympathie getragenen Gespräch, ansonsten bleiben die fünf Protagonisten in ihrer Vereinzelung allein, verweigert das Stück als "lustige Tragödie" dem Publikum ein Happy End. Doch machen die Autorin und die Regie auch klar, dass ein solches in einer Menschengruppe, deren oberstes Lebensprinzip die Selbstbeherrschung ist, nur andeutungsweise und zeitlich begrenzt auftreten kann. Das Publikum im Kurtheater freute sich lautstark an den vielen komischen Aspekten der Aufführung, applaudierte laut und anhaltend und expedierte am Schluss gut gelaunt das Matchboxauto durch die Reihen wieder zurück zu Heio von Stetten auf die Bühne.
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