Bad Kissingen
Unterschlupf für RAF-Terroristen in Bad Kissingen
Die erste Generation der Baader-Meinhoff-Gruppe zog sich im Dezember 1970 für einige Tage in ein leer stehendes Sanatorium in Bad Kissingen zurück.
Die Fahndungsplakate nach RAF-Terroristen hingen früher in jedem öffentlichen Gebäude und jeder Postfiliale. Kaum jemand hielt es damals aber für realistisch, dass einem einmal wirklich jemand über den Weg läuft, der schemenhaft auf den Plakaten als Mitglied der Rote Armee Fraktion zu sehen war. Tatsächlich suchte ausgerechnet die erste Generation der RAF heute vor 46 Jahren Unterschlupf im beschaulichen Bad Kissingen.
Der "deutsche Herbst" 1977 gilt bis heute als blutigste Zeit der Bundesrepublik. Als Geburtsstunde der RAF gilt allerdings die Befreiung Andreas Baaders 1970. Kurz danach, von Juni bis August, ließen sich Mitglieder der RAF in Jordanien in einem Camp der palästinensischen Fatah-Bewegung militärisch ausbilden. Danach begann ein Versteckspiel in der Republik.
Vom Aufenthalt in Bad Kissingen ahnte damals niemand, die Gruppe verhielt sich ruhig, nutzte die Zeit zum Planen. Aufgearbeitet wurde der Aufenthalt in Bad Kissingen erst im Rahmen der Prozesse ab dem Jahr 1972. Anhand von Aussagen und Aufzeichnungen rekonstruierten die Ermittler, dass die Baader-Meinhof-Gruppe am Abend des 13. Dezember entschied, ihr Hauptquartier von einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in Frankfurt in ein ausgedientes 30-Zimmer-Sanatorium in Bad Kissingen zu verlegen.
Die "Villa Sanitas" in der damaligen Bergmannstraße 2 (heute Nummer 3) gehörte der Psychologin Monika Seifert-Mitscherlich, Tochter des Psychoanalytikers Alexander Mitscherlich. Sie war Initiatorin eines Frankfurter Kinderladens und hatte Ulrike Meinhof 1958 in Münster kennengelernt: "Wir mochten uns schon sehr", sagte sie später aus.
Laut Prozessakten gab es vom ehemaligen Sanatorium Ansichtskarten mit Vollmacht: "Ich erlaube dem Inhaber dieser Karte, in unser Haus zu gehen", war darauf geschrieben. Unterschrift: "Monika Seifert-Mitscherlich". Die Psychologin habe der Gruppe das Haus in Bad Kissingen nicht wissentlich überlassen, beteuerte sie später: "Wir haben den Schlüssel wahllos jedem gegeben, der da hinfahren wollte", sagte Seifert-Mitscherlich später gegenüber dem "Spiegel", und: "Ist ja auch wurscht; ich war froh, wenn da jemand im Haus war." Schließlich sei man auch ohne Schlüssel ins Gebäude gelangt: "Ich weiß nicht, wie oft wir die Kellerfenster zunageln mußten."
Am 14. Dezember 1970 fuhren Karl-Heinz Ruhland und Astrid Proll nach Bad Kissingen, um das Haus "in einen halbwegs bewohnbaren Zustand zu versetzen". "Insbesondere sollte ich für Heizung und Licht sorgen", sagte Ruhland später vor Gericht: "Zu diesem Zweck kaufte ich Ölöfen nebst Zubehör, die ich im Hause installierte." Als Ulrike Meinhof, Beate Sturm und Holger Meins zwei Tage später eintrafen, waren die übrigen Terroristen schon da. "Sie schliefen, wir mussten sie wecken", erzählte Sturm. "Wir fanden altes Bettzeug und verteilten das auf drei Zimmer", sagt Sturm vor Gericht aus, und: "Ich musste immer einkaufen gehen, weil ich so gut auf bürgerlich machen konnte."
Das ehemalige Sanatorium habe einen "verwahrlosten Eindruck" gemacht: "Der Garten war ungepflegt und verwildert, Möbel waren so gut wie gar nicht vorhanden." Im Sommer wurden Kinder des Frankfurter Kinderladens dort betreut. "Man war also dort an das Auftreten seltsamer Gestalten gewohnt", folgerte Beate Sturm.
In Bad Kissingen wurden Pläne geschmiedet: Die Entführung von Verleger Axel Springer, Kanzler Willy Brandt oder Franz Josef Strauß wurde diskutiert, von Bad Kissingen aus wurden Banken in Nürnberg und Oberhausen ausgespäht. In Bad Kissingen wurden "Pläne für die Zukunft entwickelt, wobei auch viel gesponnen wurde", sagte Beate Sturm später.
Am Morgen des 19. Dezember brachen die Terroristen in fünf Pkw nach Nürnberg, Gladbach und Oberhausen auf, um dort Banken zu überfallen. Bereits am 27. Januar 1971, morgens um 5.40 Uhr, stürmten 30 Polizisten die Wohnung von Monika Seifert-Mitscherlich in Frankfurt. Bundesanwalt Alwin Kuhn nahm die Ermittlungen wegen Unterstützung der RAF auf, die aber im Sande verliefen.
Anfänge Aus der Studentenbewegung heraus verübten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein am 2. April 1968 Brandanschläge auf Frankfurter Kaufhäuser als Protest gegen den Vietnamkrieg. Beim Prozess vertrat Rechtsanwalt Horst Mahler die Angeklagten, Journalistin Ulrike Meinhof berichtete über den Fall.
Gründung Als Geburtsstunde der RAF gilt der bewaffnete Überfall zur Befreiung von Andreas Baader am 14. Mai 1970 in Berlin. Die Rote Armee Fraktion entwickelt das Konzept einer "Stadtguerilla".
Gliederung Die erste Generation der RAF wird auch als Baader-Meinhof-Gruppe bezeichnet. Ab 1972 folgte die "Bewegung 2. Juni", ein Jahr später die "Revolutionären Zellen" und ab 1977 die "Rote Zora".
Verhaftung Nach einer Serie von Brand- und Sprengstoffanschlägen werden 1972 Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin verhaftet und zu lebenslanger Haft verurteilt. Es folgten kollektive Hungerstreiks, Isolationshaft im Hochsicherheitstrakt in Stuttgart-Stammheim und Zwangsernährung. 1975 wurden einzelne Inhaftierte frei gepresst, im Jahr 1976 beging Meinhof Selbstmord, 1977 Baader, Enslin und Raspe.
Höhepunkt Im September und Oktober 1977 eskaliert die Gewalt der RAF im sogenannten Deutschen Herbst. Um inhaftierte RAF-Mitglieder freizupressen wird eine Reihe von Anschlägen geplant: Entführungen und Ermordungen (Generalbundesanwalt Buback; Dresdner Bank-Vorstand Ponto). Entführung der Lufthansamaschine "Landshut" nach Mogadischu (von GSG 9 erstürmt und befreit), Tötung des Arbeitgeberchefs Hanns-Martin Schleyer. Die Bundesregierung führte Anti-Terror-Gesetze und Ermittlungsverfahren (Rasterfahndung) ein. Größte Fahndung in der Geschichte der Republik.
Auflösung Ab 1978 folgen weitere Bombenanschläge und Überfälle. Die Terrorzellen zersplittert, die Auflösung der RAF beginnt. Die offizielle Selbstauflösung erklärt die RAF jedoch erst in einem Schreiben 1998. rr
Auch Terroristen bleiben nicht von Autopannen verschont. RAF-Mitglieder blieben im Dezember 1970 mit ihrem Wagen in der Würzburger Straße nahe der Eisenbahnunterführung Richtung Arnshausen liegen. Zwei Mechaniker eines Bad Kissinger Autohauses schleppten die Terroristen daraufhin ab, offenbar jedoch ohne zu wissen, wem sie da halfen. Die Geschichte wurde unabhängig voneinander von zwei der Redaktion bekannten Quellen berichtet. Die Mechaniker seien mehr als ein Jahr später von Ermittlern über den Sachverhalt aufgeklärt und zu einer Gegenüberstellung mit den RAF-Mitgliedern vorgeladen worden, heißt es. lbo
Der "deutsche Herbst" 1977 gilt bis heute als blutigste Zeit der Bundesrepublik. Als Geburtsstunde der RAF gilt allerdings die Befreiung Andreas Baaders 1970. Kurz danach, von Juni bis August, ließen sich Mitglieder der RAF in Jordanien in einem Camp der palästinensischen Fatah-Bewegung militärisch ausbilden. Danach begann ein Versteckspiel in der Republik.
Aufenthalt blieb unbemerkt
Vom Aufenthalt in Bad Kissingen ahnte damals niemand, die Gruppe verhielt sich ruhig, nutzte die Zeit zum Planen. Aufgearbeitet wurde der Aufenthalt in Bad Kissingen erst im Rahmen der Prozesse ab dem Jahr 1972. Anhand von Aussagen und Aufzeichnungen rekonstruierten die Ermittler, dass die Baader-Meinhof-Gruppe am Abend des 13. Dezember entschied, ihr Hauptquartier von einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in Frankfurt in ein ausgedientes 30-Zimmer-Sanatorium in Bad Kissingen zu verlegen. Die "Villa Sanitas" in der damaligen Bergmannstraße 2 (heute Nummer 3) gehörte der Psychologin Monika Seifert-Mitscherlich, Tochter des Psychoanalytikers Alexander Mitscherlich. Sie war Initiatorin eines Frankfurter Kinderladens und hatte Ulrike Meinhof 1958 in Münster kennengelernt: "Wir mochten uns schon sehr", sagte sie später aus.
Laut Prozessakten gab es vom ehemaligen Sanatorium Ansichtskarten mit Vollmacht: "Ich erlaube dem Inhaber dieser Karte, in unser Haus zu gehen", war darauf geschrieben. Unterschrift: "Monika Seifert-Mitscherlich". Die Psychologin habe der Gruppe das Haus in Bad Kissingen nicht wissentlich überlassen, beteuerte sie später: "Wir haben den Schlüssel wahllos jedem gegeben, der da hinfahren wollte", sagte Seifert-Mitscherlich später gegenüber dem "Spiegel", und: "Ist ja auch wurscht; ich war froh, wenn da jemand im Haus war." Schließlich sei man auch ohne Schlüssel ins Gebäude gelangt: "Ich weiß nicht, wie oft wir die Kellerfenster zunageln mußten."
Vorhut kam am 14. Dezember
Am 14. Dezember 1970 fuhren Karl-Heinz Ruhland und Astrid Proll nach Bad Kissingen, um das Haus "in einen halbwegs bewohnbaren Zustand zu versetzen". "Insbesondere sollte ich für Heizung und Licht sorgen", sagte Ruhland später vor Gericht: "Zu diesem Zweck kaufte ich Ölöfen nebst Zubehör, die ich im Hause installierte." Als Ulrike Meinhof, Beate Sturm und Holger Meins zwei Tage später eintrafen, waren die übrigen Terroristen schon da. "Sie schliefen, wir mussten sie wecken", erzählte Sturm. "Wir fanden altes Bettzeug und verteilten das auf drei Zimmer", sagt Sturm vor Gericht aus, und: "Ich musste immer einkaufen gehen, weil ich so gut auf bürgerlich machen konnte."
Das ehemalige Sanatorium habe einen "verwahrlosten Eindruck" gemacht: "Der Garten war ungepflegt und verwildert, Möbel waren so gut wie gar nicht vorhanden." Im Sommer wurden Kinder des Frankfurter Kinderladens dort betreut. "Man war also dort an das Auftreten seltsamer Gestalten gewohnt", folgerte Beate Sturm.
In Bad Kissingen wurden Pläne geschmiedet: Die Entführung von Verleger Axel Springer, Kanzler Willy Brandt oder Franz Josef Strauß wurde diskutiert, von Bad Kissingen aus wurden Banken in Nürnberg und Oberhausen ausgespäht. In Bad Kissingen wurden "Pläne für die Zukunft entwickelt, wobei auch viel gesponnen wurde", sagte Beate Sturm später.
Untersuchungen in Frankfurt
Am Morgen des 19. Dezember brachen die Terroristen in fünf Pkw nach Nürnberg, Gladbach und Oberhausen auf, um dort Banken zu überfallen. Bereits am 27. Januar 1971, morgens um 5.40 Uhr, stürmten 30 Polizisten die Wohnung von Monika Seifert-Mitscherlich in Frankfurt. Bundesanwalt Alwin Kuhn nahm die Ermittlungen wegen Unterstützung der RAF auf, die aber im Sande verliefen.
Rund um die RAF
Anfänge Aus der Studentenbewegung heraus verübten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein am 2. April 1968 Brandanschläge auf Frankfurter Kaufhäuser als Protest gegen den Vietnamkrieg. Beim Prozess vertrat Rechtsanwalt Horst Mahler die Angeklagten, Journalistin Ulrike Meinhof berichtete über den Fall.Gründung Als Geburtsstunde der RAF gilt der bewaffnete Überfall zur Befreiung von Andreas Baader am 14. Mai 1970 in Berlin. Die Rote Armee Fraktion entwickelt das Konzept einer "Stadtguerilla".
Gliederung Die erste Generation der RAF wird auch als Baader-Meinhof-Gruppe bezeichnet. Ab 1972 folgte die "Bewegung 2. Juni", ein Jahr später die "Revolutionären Zellen" und ab 1977 die "Rote Zora".
Verhaftung Nach einer Serie von Brand- und Sprengstoffanschlägen werden 1972 Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin verhaftet und zu lebenslanger Haft verurteilt. Es folgten kollektive Hungerstreiks, Isolationshaft im Hochsicherheitstrakt in Stuttgart-Stammheim und Zwangsernährung. 1975 wurden einzelne Inhaftierte frei gepresst, im Jahr 1976 beging Meinhof Selbstmord, 1977 Baader, Enslin und Raspe.
Höhepunkt Im September und Oktober 1977 eskaliert die Gewalt der RAF im sogenannten Deutschen Herbst. Um inhaftierte RAF-Mitglieder freizupressen wird eine Reihe von Anschlägen geplant: Entführungen und Ermordungen (Generalbundesanwalt Buback; Dresdner Bank-Vorstand Ponto). Entführung der Lufthansamaschine "Landshut" nach Mogadischu (von GSG 9 erstürmt und befreit), Tötung des Arbeitgeberchefs Hanns-Martin Schleyer. Die Bundesregierung führte Anti-Terror-Gesetze und Ermittlungsverfahren (Rasterfahndung) ein. Größte Fahndung in der Geschichte der Republik.
Auflösung Ab 1978 folgen weitere Bombenanschläge und Überfälle. Die Terrorzellen zersplittert, die Auflösung der RAF beginnt. Die offizielle Selbstauflösung erklärt die RAF jedoch erst in einem Schreiben 1998. rr
Terroristen hatten Autopanne
Auch Terroristen bleiben nicht von Autopannen verschont. RAF-Mitglieder blieben im Dezember 1970 mit ihrem Wagen in der Würzburger Straße nahe der Eisenbahnunterführung Richtung Arnshausen liegen. Zwei Mechaniker eines Bad Kissinger Autohauses schleppten die Terroristen daraufhin ab, offenbar jedoch ohne zu wissen, wem sie da halfen. Die Geschichte wurde unabhängig voneinander von zwei der Redaktion bekannten Quellen berichtet. Die Mechaniker seien mehr als ein Jahr später von Ermittlern über den Sachverhalt aufgeklärt und zu einer Gegenüberstellung mit den RAF-Mitgliedern vorgeladen worden, heißt es. lboThemen & Autoren / Autorinnen