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Bad Kissingen
Unschlagbar - ein Spiel mit Überraschungen
Das Ensemble Elbtonal Percussion lotete mit seinem Spiel im Kurtheater technische und physikalischen Grenzen aus.
Mit großen Equipment kam das Ensemble Elbtonal Percussion ins Kurtheater. Gerhild Ahnert       -  Mit großen Equipment kam das Ensemble Elbtonal Percussion ins Kurtheater. Gerhild Ahnert
| Mit großen Equipment kam das Ensemble Elbtonal Percussion ins Kurtheater. Gerhild Ahnert
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 19.08.2022 02:50 Uhr
"Unschlagbar!" Wenn man das Wort mit dem Ensemble Elbtonal Percussion in Verbindung bringt, kann man ihn auf konträre Arten deuten. Zum einen als Ausdruck des Erfolgs: Die Trommelcombo ging vor 21 Jahren in Hamburg an den Start und hat sich schnell zu einem der führenden Schlagzeugensembles über die Grenzen Europas hinaus entwickelt. Da kann man durchaus Selbstbewusstsein zeigen. Das tat das Quartett vor einem Jahr zum 20. Und ging mit dem Jubiläumsprogramm "Unschlagbar!" auf internationale Tournee.
"Unschlagbar!" kann aber auch Verblüffung bedeuten, wenn man sich ein "eigentlich" dazu denkt. Denn was Jan-Frederick Behrendt, Andrej Kaufmann, Stephan Krause und Sönke Schreiber mit ihrem Spiel machten, war das Ausloten von technischen und physikalischen Grenzen, war das Spiel mit Überraschungen und fesselnden Effekten. Es waren zum einen die reichen Klangfarben und Klangflächen, die die vier aus ihrem bühnenfüllenden Instrumentenarsenal herausholten: vom ätherisch leisen Singen der mit dem Besen zum Klingen gebrachten Becken und den mit dem Bassbogen angestrichenen Aufschlagstäbe des Marimbaphons bis zum haarsträubenden Krach der Gongs und großen Trommeln. Und es war andererseits das virtuose Können, die unglaubliche Präzision des Zusammenspiels und das blinde Sich-aufeinander-verlassen-Können, die enormen Verdichtungen, die den Zuhörer auch dort plötzlich Melodien erkennen ließ, wo in der Partitur überhaupt keine sind.

Es war ein Streifzug vom Barock bis zur Minimal Music, und es durften bei dieser Retrospektive ein paar Namen einfach nicht fehlen, wie der der Japanerin Keiko Abe mit ihrem berühmten "The Wave", einem Konzert für Marimbaphon und Schlagwerk, das in großer Vielschichtigkeit den Zuhörer in eine spannende ferne Klang- und Harmoniewelt eintauchen lässt, auch wenn der Satz höchst dramatisch mit der großen Trommel beginnt. Geradezu ein Pflichtstück war auch "Lift-off!" des Amerikaners Russel Peck, ein Trio für drei Perkussionisten mit jeweils drei Trommeln, das den Start eines Hubschraubers simuliert, und zwar so realistisch, dass man sich neben einem Hangar wiederzufinden glaubt. Da hörte man im ersten Teil in raffinierten rhythmischen Verschiebungen das zunächst unrunde Anlaufen des Motors, das sich langsam stabilisiert, bis das Fluggerät im zweiten Teil mit rasenden Unisono-Sechzehnteln in einem unglaublichen Crescendo schließlich abhob. Da wurde die Energie spürbar, die so ein Hubschrauber aufwenden muss, um die Schwerkraft zu überwinden.

Bei dem dreiteiligen "Uneven Souls" des serbischen Wahl-Berliners Nebojša Jovan Živkovic war das Quartett auch fachübergreifend gefordert: Einen "bäuerlich-rustikalen Gesang" verlangt die Partitur. Der Text ist überschaubar: ein Ausflug durch die serbokroatischen Vokale. Und da die genauso sind wie im Deutschen, konnten sie auch vom Publikum im Kurtheater verstanden werden. Sie passten freilich sehr gut zu der mitunter zupackend-aggressiven Musik, die gerade durch ihre Brüche Neugier auf den Fortgang machte. Und natürlich durfte Johann Sebastian Bach nicht fehlen, dem sich auch die Perkussionisten gerne zuwenden, unter anderem vertreten mit der berühmten Toccata und Fuge d-moll BWV 565. Nur dass sie hier nicht mit den gewohnten aufrauschenden, triumphalen Akkorden begann, sondern ganz leise im Marimbaphon - für die Klangpracht sorgte erst die Begleitung. Und da es sich um die letzte Nummer des offiziellen Programms handelte, baute Jan-Frederick Behrendt noch einen kleinen Brahms ein: die erste Zeile von "Guten Abend, gute Nacht."

Natürlich durfte auch der Klamauk nicht fehlen, der gehört seit einiger Zeit einfach dazu. Da schlugen die vier Musiker plötzlich erst auf sechs umgestülpte Plastiktonnen ein, dann auf sechs kleinere Eimer, mit denen sie zudem jonglierten. Das war natürlich pfiffig gemacht und hat sicher auch einige Übung gekostet. Aber der musikalische Nährwert war nicht allzu hoch - genauso wie bei der ersten Zugabe, vermutlich mit dem Titel "Mahlzeit", bei der vier Köche an vier Tischen saßen und mit niedersausenden Kochlöffeln immer dringender auf das Essen warteten.
Aber eines war schon schade und auch etwas ärgerlich: Es gab kein Programm. Man war als Zuhörer ziemlich allein gelassen. Zwar erzählten die Musiker zur Überbrückung kleinerer Umbaupausen durchaus unterhaltsame Schnurren aus ihrem zusammengenommen 84-jährigen Musikerleben. Aber über ihre Musik oder deren Komponisten - es waren immerhin auch Eigenkompsitionen von Stephan Krause und Jan-Frederick Behrend dabei - ließen sie in ihrer hanseatischen Zurückhaltung so gut wie gar nichts heraus. Natürlich kann man die Musik auch auf sich wirken lassen, ohne das Geringste über sie zu wissen, aber zumindest den Komponisten gegenüber ist es unfair, sie zu verschweigen. Und sogar die eher zufällig genannten Namen der vier Musiker konnte man nur mühsam aus dem Applaus heraushören. Vielleicht wird das beim nächsten Mal besser. Es ist damit zu rechnen - und zu hoffen -, dass sie wiederkommen. Es wäre nicht das erste Mal.
 
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