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Münnerstadt
Und sie trompeteten doch
Ludwig Güttler war nicht zum Kissinger Sommer 2016 eingeladen. Das holte er mit seinen Virtuosi Saxoniae jetzt in der Stadtpfarrkirche nach.
Zwei Generationen: Ludwig Güttler und Johann Clemens spielten Doppelkonzerte für Trompete und Corno da caccia. Foto: Ahnert       -  Zwei Generationen: Ludwig Güttler und Johann Clemens spielten Doppelkonzerte für Trompete und Corno da caccia. Foto: Ahnert
| Zwei Generationen: Ludwig Güttler und Johann Clemens spielten Doppelkonzerte für Trompete und Corno da caccia. Foto: Ahnert
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 19.08.2022 20:55 Uhr
Es war schon ein merkwürdiges Gefühl, das einen beschlich: Ludwig Güttler und die Solisten der Virtuosi Saxoniae in der Münnerstädter Stadtpfarrkirche St. Maria Magdalena - und weit und breit kein Kissinger Sommer. Der hatte dieses Jahr ohne ihn stattgefunden. Dabei war doch gerade er so etwas wie das Kontinuum des Kissinger Sommers, war mit einer gesundheitlich bedingten Ausnahme jedes Jahr dabei mit seinen verschiedenen Formationen - das erste Mal 1986 im Großen Saal in Bad Kissingen mit seinen gerade gegründeten Virtuosi Saxoniae - damals noch eines der wenigen Ensembles, die es geschafft hatten, in den Reisekader der DDR zu kommen. Sicher, Ludwig Güttler war für den ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden ein wichtiges musikalisches Aushängeschild mit "Weltniveau", aber er war auch ein nicht unbedeutender Devisenbringer, der im Gegensatz zu Schalck-Golodkowskis Tafelsilber immer wieder in seine Heimat zurückkam.


Kontinuum des Festivals

Man kann seine Enttäuschung verstehen, auch wenn er sie nicht nach außen kehrte. Es muss ihn geschmerzt haben, beim 31. und letzten Kissinger Sommer der geschiedenen Intendantin nicht eingeladen worden zu sein. Denn Ludwig Güttler war von Anfang an einer der ganz großen Publikumsmagneten, der die Menschen zum Festival brachte. Und er war und ist vermutlich das Kuratoriumsmitglied, das sich vor allem in den Jahren des Aufbaus außerordentlich stark für das Festival engagiert hat. Er hat nicht nur seine guten Kontakte in die DDR und den übrigen Ostblock für den Kissinger Sommer wirkungsvoll spielen lassen. Sondern er ist auch durch den Kissinger Landkreis gefahren und hat Spielstätten gesucht. Und er hat Konzerte ermöglicht, die es offiziell gar nicht hätte geben dürfen. Als etwa 1988 im Regentenbau Bachs h-moll-Messe aufgeführt wurde, saß auf dem Podium die halbe Dresdner Staatskapelle. Das wäre nie von Ostberlin genehmigt worden. Aber Güttler hatte die Kammermusikensembles des Orchesters bei ihren Sommertourneen so koordiniert, dass sie zufällig am selben Tag in Bad Kissingen waren. Die Lücken füllten Kollegen vom hr-Sinfonieorchester.


Besuch beim Publikum

Es war schön, dass Regionalkantor Peter Rottmann und die katholische Pfarrgemeinde jetzt Ludwig Güttler die Tür der Stadtpfarrkirche einladend weit öffneten und ihm damit die Gelegenheit gaben, in Eigeninitiative zwei Monate nach dem Kissinger Sommer in die größtmögliche Nähe seines Publikums zu kommen. Entscheidungserleichternd war dabei sicher, dass Güttler auch ein unermüdlicher Trommler für den Erhalt von Kirchenbausubstanz ist. Dass die Dresdner Frauenkirche wiedererstanden ist, ist zu einem Gutteil sein Verdienst. Aber er hat sich auch immer wieder für andere Kirchen ins Zeug gelegt, auch die die Bad Kissinger Jakobuskirche. So war auch das Konzert in der Stadtpfarrkirche ein Benefizkonzert zugunsten der Innenrenovierung der Kirche.
Da war es leichter zu verschmerzen, dass die Akustik des Raumes für eine Besetzung mit Blechbläsern und Streichern ziemlich problematisch ist. Durch die enorm langen Nachhallzeiten wird der Klang mulmig und verwaschen. Und manche Stellen, vor allem an harmonischen Übergängen, klingen falsch, obwohl sie richtig komponiert und gespielt sind, weil die "alten" Töne erst zurückkommen, wenn die "neuen", nicht dazu passenden, längst unterwegs sind. Streicher können sich darauf ein bisschen einstellen - und das taten die Dresdner auch, indem sie so kurz wie möglich spielten, sodass auch die schnellen Sätze einigermaßen durchhörbar blieben. Die Blechbläser, deren Instrumente ja gerade auf den prächtigen Klang geeicht sind, tun sich da um einiges schwerer.


Alle ziemlich gut drauf

Trotzdem wurde es ein vergnügliches, gerade entspanntes Konzert. Schließlich kennt man sich, und die Virtuosi Saxoniae - also ihre Solisten - schienen wirklich einen guten, gutgelaunten Tag zu haben. Dass die Continuogruppe mit Friedwart Dittmann (Violoncello), Bernd Haubold (Kontrabass) und Friedrich Kircheis (Cembalo) ein stabiles und trotzdem vitales, höchst präsentes und ein bisschen befeuerndes Fundament legen würde, war zu erwarten. Aber auch die hohen Streicher - Roland Straumer, Johanna Mittag, und Frank Other (Violine) und Michael Schöne (Viola) musizierten ausgesprochen gutlaunig, geradezu unerwartet spritzig in den schnellen Sätzen, dafür durchaus tiefgründig in den langsamen. Die Musik eines Antonio Vivaldi, Heinrich Ignaz Franz Biber, Georg Philipp Telemann - bei dem diese Kontraste am deutlichsten hervortraten, sind dafür natürlich auch besonders prädestiniert. Dass die Virtuosi so ihre kleinen Macken haben, die sie liebevoll pflegen, weiß man ja: etwa das romantische Vibrato, dass immer wieder mal durchbricht, oder eine Agogik, die ein bisschen flach wirkt. Aber gestische Schausteller waren sie noch nie.


Bleibende Eindrücke

Musikalische Gründe, dieses Konzert in Erinnerung zu behalten, gab es mehrere, und das lag an den Solisten. In Johann Sebastian Bachs d-moll-Konzert für Oboe, Violine, Streicher und B.c. BWV 1060 spielte Frank Sonnabend so inspiriert und sprechend artikuliert, dass er Roland Straumer ein wenig auf das gewagte Terrain des spontanen Dialoges locken konnte. Da merkte man plötzlich, um wieviel schöner diese Fassung im Vergleich zu der Fassung für zwei Cembali, die sich mit Emotionen erheblich schwerer tun.
Und dann waren es natürlich die Auftritte von Ludwig Güttler selbst, der mehrere Konzerte von Telemann, Biber und Vivaldi mit der Trompete, mehrheitlich allerdings mit dem milderen Corno da caccia, dem Jagdhorn spielte. Und was schön war: Drei der Konzerte waren Doppelkonzerte, da spielte er mit seinem jungen Kollegen Johann Clemens vom Leipziger Gewandhaus. Da standen sie wie Vater und Sohn, wie der personifizierte Generationswechsel: der Alte souverän, der Junge respektlos, da bliesen sie in den schnellen Sätzen zur Jagd - aufeinander. Da verstand man den Namen des Instruments. Die beiden ließen vor allem im allerletzten Allegro assai von Telemann die Wildsau raus und scheuchten die Streicher. Klar, dass es diesen Satz noch einmal als Zugabe gab.
 
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