Er gilt als König der Wälder - der Rothirsch. Im Klaushof lässt er sich fast hautnah im Gehege bewundern. Zwar ohne Zaun, aber dennoch eingepfercht ist er in der freien Natur. Dort gibt es festgelegte Bereiche, in denen der König des Waldes leben darf. Verlässt er sie, ist das kraft Gesetz sein Todesurteil. Damit sind Jäger und Biologen nicht einverstanden. Denn die festgezurrten Gebiete widersprechen der Lebensart des Tieres und sorgen zudem für Inzucht. Eine Petition soll dafür sorgen, dass es ein Ende hat mit den Rotwildgebieten.
Aufgekommen sind die Gebiete in den 1950er Jahren. Durch behördlich verordnete Reservate für den Hirsch wollten Forstwirte Wildschaden verhindern. Das Problem daran: Der Hirsch ist eine Tierart , die gerne weit wandert. Durch das Unterbinden der Wanderung entsteht mehr Wildschaden im Wald - denn der Hirsch schält, um seinen Hunger zu stillen, die Rinde der Bäume ab. Das wiederum führt dazu, dass mehr Hirsche gejagt werden müssen, was bei den Tieren als Stress ankommt, was wiederum in mehr Schäden mündet - so Professor Gerald Reiner, vom Klinikum Veterinärmedizin der Universität Gießen .
Jäger äußern Kritik am Vorgehen
Auch bei den Jägern kommt das nicht gut an. "Rotwild ist ursprünglich ein Steppentier und Grasfresser, das durch die massive Bejagung in Waldgebiete zurückgedrängt wurde. Gerade in der Rhön, etwa im Truppenübungsplatz Wildflecken haben wir große Offenlandflächen, die ein ideales Biotop wären. Leider ist dieser Bereich aber ebenfalls rotwildfrei zu halten", sagt Hans-Jörg Blank, stellvertretender Vorsitzender der Bad Brückenauer Kreisgruppe des Bayerischen Jagdverbands. "Und das obwohl in Veröffentlichungen des Biosphären Reservats das Rotwild ausdrücklich als erwünschte Tierart genannt wird, da durch dessen Äsung Grasflächen, ähnlich der Schafhaltung, freigehalten werden könnten."
Ein Teufelskreis mit Tod am Ende?
Reiner sieht eine weitere Gefahr: Weil es keinen Austausch mehr gibt, kommt es zur genetischen Verarmung und zu Inzucht unter den Tieren. In Folge mangelt es dem Hirsch mittlerweile teils an der Fähigkeit, sich an die verändernde Umwelt - etwa bezüglich des Klimawandels - anzupassen. Und: Es kann zu Missbildungen kommen. Ein Beispiel dafür ist ein verkürzter Unterkiefer. "Der Teufelskreis konnte inzwischen in einer großen hessischen Studie in allen Punkten bestätigt werden: Isolation, genetische Verarmung, Inzuchtdepressionen", sagt Reiner. "Betroffen sind Vitalität, Krankheitsresistenz, Fitness, Anpassungsvermögen und Fruchtbarkeit. Das Auftreten von Missbildungen stellt dabei nur die Spitze des Eisbergs dar", sagt der Fachmann. Am Ende steht das Aus einer Population.
Für Blank und die Bad Brückenauer Jäger sorgt die Isolation für Verwunderung: "Die Situation hat sich durch die Wölfe verschärft." Denn: Die Wölfe bringen den Hirsch dazu, seine Einstände zu verlassen und in Gebiete zu ziehen, in denen er sich nicht aufhalten dürfen. "Dort trifft das Rotwild - im Gegensatz zum Wolf - die Regelung des bayerischen Jagdrechts in aller Härte, das dann vogelfrei zum Abschuss freigegeben ist."
Deutliche Position bezogen
Für Reiner ist klar: Die Rotwildgebiete sollten weichen. "Ich halte die Petition für sinnvoll. Ohne Rotwildgebiete kann sich Rotwild dort ansiedeln, wo sein Lebensraum an günstigsten ist - und es kann dort sinnvoll bejagt werden. Die Tiere können sich austauschen und bleiben uns als unser größtes bei uns noch lebendes Säugetier für die Nachwelt erhalten."
Als sinnvoll erachtet dagegen Dr. Michael Kutscher die Rotwildgebiete. Er ist der Forstbetriebsleiter im Forstbetrieb Bad Brückenau. "Wir haben festgestellt, dass dort, wo es Rotwild gibt, auch die Schäden an den Bäumen zunehmen. Würden die Gebiete abgeschafft, würden sich die Schäden zwar verteilen, aber im gleichen Zuge würde die Population wachsen, so dass am Ende mehr Schäden in der Breite entstehen. In unserem Forstbetrieb haben wir in den vergangenen drei Jahren 3,8 Prozent Schälschäden über alle Baumarten verteilt." Wald ist jedoch kein kurzfristiges Thema: "In zehn Jahren wären das fast 40 Prozent Schäden", sagt er. Damit einen Wald zu bauen, der auf den Klimawandel eingestellt ist, ist nur schwer möglich.
Davon, dass es bei den Rhöner Hirschen zu Isolation oder genetischer Verarmung kommt, bezweifelt er. "Die Hochwildhegegemeinschaft Bayerische Rhön hat etwa 90.000 Hektar Fläche und zieht sich vom Sinngrund bis zum Salzforst." Wanderungen und genetischer Austausch seien dadurch möglich. "Außerdem gibt es zum Beispiel eine Wildbrücke über die A7, die das Rotwild nutzt." Der Forderung der Petition , Rotwildgebiete abzuschaffen, hält er einen Gegenvorschlag vor. Dieser bedürfte nur eines kleineren Eingriffs in die Gesetze: "Um die genetische Vielfalt zu unterstützen und dem Verhalten des Rotwilds gerecht zu werden, wäre es möglich, Hirsche, die in guter Verfassung sind, außerhalb von Rotwildgebieten nicht zu erlegen, so dass Wanderungen möglich sind."