Vielleicht ist es dieser (vermeintliche) Widerspruch, der Ulrich Kriesel antreibt. Technologe bei Schaeffler Aerospace ist der 48-Jährige von Beruf. Hört sich kompliziert an. Umso einfacher, zumindest auf den ersten Blick, ist das Hobby des Untererthalers: das Laufen. Diesen Sport betreibt Ulrich Kriesel allerdings in extremer Form. Mit diesem Interview über die Faszination des Trailrunning-Sports schicken wir den Steilpass in die Sommerpause.
Wer hat Sie angespielt?
Ulrich Kriesel: Das war Tobias „Boldi“ Bold, ein leidenschaftlicher Fußballer und ein ehemaliger Auszubildender von mir. Leider hat sich unser Weg beruflich mittlerweile getrennt, wir sind aber weiterhin in gutem Kontakt.
Wie sieht Ihr Laufweg aus?
Läufe mit Strecken bis zu 30 Kilometer mache ich schon einige Jahre. Seit etwa vier Jahren habe ich die Leidenschaft für Trail-Lauf entdeckt, zunächst durch einen Marathon am Rennsteig . Im Folgejahr kam ein Supermarathon mit knapp 74 Kilometer dazu. Zwei „Ausrutscher“ waren auch mal dabei, in Wien bei einem Straßen-Marathon und ein 100 Kilometer-Straßenlauf im Taubertal. Hier habe ich aber schnell festgestellt, dass Asphalt mir nicht gefällt und Landschaftsläufe meins sind.
Sie laufen für keinen Verein, sondern in Communitys. Für Trailrunning Unterfranken zum Beispiel. Wer oder was ist das?
Trailrunning Unterfranken ist eine gerade entstehende Community. Es ist ein Zusammenschluss von mehr oder weniger verrückten Trail-Läufern aus dem Raum Unterfranken. Alle, die am Trail-Lauf Spaß haben, sind willkommen. Es gibt keine Vereinsstruktur, aber man trifft sich zu sogenannten Community-Läufen, die von unterschiedlichen Personen via Social Media organisiert werden. Für alle, die mit Trailrunning nichts anzufangen wissen: Trail kommt vom Pfad, wir bewegen uns auf schmalen Pfaden durch Wald, Gebirge und Flur. Sprich überall, wo kein Asphalt ist.
Zudem sind Sie Mitglied der Trailrunning-Crew Thüringen. Was sind das für Leute?
Die TRCT ist ebenso eine Community, nur größer, schon eher Richtung Verein. Der Hauptwirkungskreis ist rund um den Rennsteig . Durch einige Wettkämpfe dort haben sich Freundschaften gebildet, so dass ich immer wieder gerne mit den Thüringern laufe. Zumal diese Truppe meine Einstellung teilt und dies mit dem Schriftzug „Trail Running against RACISM“ auf der Laufkleidung deutlich macht.
Ist Mannschaftssport so gar nichts für Sie?
Wie Mannschaftssport ist nichts für mich? Zugegeben, Trailrunning ist vielleicht nicht der klassische Mannschaftssport, wie man ihn sich vorstellt, aber dennoch ist es ein Miteinander. In erster Linie laufen wir für uns, sind für uns selbst verantwortlich. Wir brauchen uns aber, um uns zu verbessern, Ratschläge einzuholen und auszutauschen. Hier wird der Konkurrent zum Trainer.
Um einen Einblick in Ihren Sport zu bekommen: Welche Trainings-Umfänge haben Sie in der Woche?
Mein Training umfasst etwa 70 bis 80 Kilometer in der Woche. Könnte mehr sein, aber ich mache das nicht professionell. Um noch etwas schneller zu werden, würden ein paar Kilometer mehr nicht schaden. Ich trainiere meist nach der 80/20-Methode. Das heißt 80 Prozent des Lauftrainings besteht aus einem eher langsamen und gemütlichen Ausdauertraining, während man bei den restlichen 20 Prozent an seine Grenzen geht und alles gibt. Am Wochenende steht immer ein langer Lauf mit etwa 30 bis 50 Kilometern an.
Die Belastung für Füße, Beine, Gelenke ist extrem hoch. Wie schaut Belastungssteuerung bei Ihnen aus?
Ich bekomme immer gesagt, dass das für die Gelenke nicht gut sein kann. Das ein oder andere Mal stimmt dies auch, aber mit der richtigen Technik kann man der Belastung entgegenwirken. Für meine Gelenke ist es viel belastender, wenn ich zum Beispiel einen alpinen Weg bergab wandere und nicht mit vollem Tempo hinab renne. Der Schlüssel ist die Trittfrequenz. Manchmal macht es Sinn viele kleine Schritte statt wenige große zu machen. Wie bei allen Sportarten sind das Training und die Verbesserung der Technik ausschlaggebend.
Haben Sie womöglich mehr Laufschuhe als „normale“ Schuhe daheim? Bei Ultra-Distanzen kommt es ja ganz sicher auf die richtige Material-Wahl an.
Laufschuhe, das ist ein Thema für sich. Ich habe mittlerweile mehr Schuhe als meine Frau. Je nach Länge und Untergrund (Matsch/Sand/Felsen etc.) gibt es eine gesonderte Auswahl. Das Wichtigste an den Schuhen ist die perfekte Passform. Egal welche Marke oder welche Preisklasse, ohne einen perfekt passenden Schuh sind Distanzen jenseits der 50 Kilometer nicht oder nur schlecht zu bewältigen.
Was waren Ihre längsten Distanzen, die Sie zu Fuß bewältigt haben?
Mein bisher längster Weg war der UTMB Istria 100 Lauf in Kroatien. Er umfasste 168 Kilometer mit knapp 7000 Höhenmeter. Dafür benötigte ich 29,5 Stunden. Für dieses Jahr hatte ich mir einen Lauf in Spanien mit 10.000 Höhenmetern vorgenommen. Leider wurde er nach 50 Kilometern und 3600 Höhenmetern aufgrund eines starken Unwetters vom Veranstalter abgebrochen.
Und was waren die schönsten Ultra-Läufe, die ja oft in traumhaften Gegenden stattfinden?
Es ist schwer die schönsten zu benennen, da landschaftlich so viel Abwechslung dabei war. Wenn ich es aber einschränken müsste, kommen mir sofort die Julischen Alpen in den Sinn. Aber auch Katalonien mit den unglaublichen und extrem fiesen Steigungen oder der O-SEE Ultratrail im Zittauer Gebirge zaubern mir immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht.
Zig Kilometer und zig Höhenmeter: Welche Rolle spielt da die mentale Fitness? Und wird diese auch trainiert?
Der Kopf entscheidet tatsächlich häufig das Rennen. Wie man das allerdings trainiert, weiß ich nicht. Bei mir ist es so, dass ich dabei automatisch in eine Art Meditation komme. Das ist, abgesehen von der wunderschönen Natur, einer der Hauptgründe, warum ich das Laufen so liebe. Für mich bedeutet es abzuschalten. Ich konzentriere mich nur auf das Hier und Jetzt. Straßenläufe hingegen bedeuten für mich Stress, da gelingt es mir nicht abzuschalten.
Für den Ultra-Trail am Mont-Blanc in Chamonix sammeln Sie Punkte – was heißt das?
Der UTMB, der Ultra-Trail du Mont-Blanc , ist für uns Läufer wie das Champions League Finale für die Fußballer . Das größte Trail-Event weltweit. Um in den einzelnen Distanzen starten zu können, wird ein Index verlangt. Das heißt, man muss in einem Vorrennen beweisen, dass man die entsprechende Kategorie laufen kann. Es müssen bei großen Veranstaltungen sogenannte Milestones gesammelt werden. Hundert Meilen bringen zum Beispiel vier Punkte. Je mehr Punkte desto mehr Lose beziehungsweise Chancen hat man, um gezogen zu werden. Diese Punkte sind dann maximal zwei Jahre gültig. Ich hoffe sehr, für 2025 gezogen zu werden.
Welche Herausforderungen warten dort auf Sie?
Die größte Herausforderung wird es sein, die 170 Kilometer mit 10.000 Höhenmeter gesund und innerhalb der Cut-off-Zeit von 48 Stunden zu meistern. Ist man zu langsam, ist das Rennen vorbei.
An wen spielen Sie weiter?
In unserer Familie gibt es viele Sportler, vor allem Fußballspieler , aber ich möchte jetzt bewusst an unsere talentierte Leichtathletin Anne Granich weiterspielen. Sie nahm vor kurzem sogar an einer Deutschen Meisterschaft teil.