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Bad Kissingen
Überraschende Normalität ohne Lametta bei der LiederWerkstatt
Das Bad Kissinger Werkstattpersonal war in Corona-Zeiten reduziert: Boss Axel Bauni hatte drei "alte Fahrensleute"eingeladen: die Sopranistin Caroline Melzer, den Bariton Peter Schöne und den Pianisten Jan Philip Schulze.
Der Bariton Peter Schöne und Jan Philip Schulze am Flügel. Foto: Gerhild Ahnert       -  Der Bariton Peter Schöne und Jan Philip Schulze am Flügel. Foto: Gerhild Ahnert
| Der Bariton Peter Schöne und Jan Philip Schulze am Flügel. Foto: Gerhild Ahnert
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 17.08.2022 14:10 Uhr

Zum Glück ist der Kissinger Sommer Corona nicht vollständig zum Opfer gefallen, denn das hätte nicht zuletzt wegen der verfahrenen personellen Situation sein Ende bedeuten können. Und es war besonders wichtig, dass das zarteste und gefährdetste Pflänzchen des Festivals, die Kissinger LiederWerkstatt , im "Spätsommer" überwintern konnte. Denn die stand schon seit einiger Zeit auf der Kippe, bis vor zwei Jahren die Anton und Katharina Schick-Stiftung die finanzielle Absicherung der Veranstaltung bis auf Weiteres übernommen hat.

Dankenswerterweise. Denn den Kissingern ist offenbar nicht so einfach zu vermitteln, welche Bedeutung die Kissinger LiederWerkstatt hat, dass sie eine Veranstaltung ist, die international sehr wohl wahrgenommen und verfolgt wird, weil sie in einzigartiger Weise - sie ist durchaus ein Alleinstellungsmerkmal des Kissinger Sommers - ein Garant für die Sicherung und Weiterentwicklung des Kunstliedes ist. Wer nur mal ein bisschen im Internet recherchiert, kann darüber staunen, wie wenige von den im Rossini-Saal uraufgeführten Werken wieder in der Schublade verschwinden - das war in den Jahrhunderten davor nicht anders. International ist die LiederWerkstatt im Repertoire angekommen.

Uraufführungen fehlen

Natürlich ließ sie sich in diesem Jahr nicht wie gewohnt durchführen. Das Werkstattpersonal war reduziert: Boss Axel Bauni hatte drei "alte Fahrensleute" der LiederWerkstatt eingeladen: die Sopranistin Caroline Melzer, den Bariton Peter Schöne und den Pianisten Jan Philip Schulze. Es fehlten - mit einer vorgezogenen Ausnahme am Ende des Konzerts - die mindestens sechs Uraufführungen, und deshalb fehlten auch die sechs Komponierenden. Das war schade, weil weniger diskutiert wurde. Und es fehlte auch der übliche, durchaus charmante Jahrmarkt der Eitelkeiten. Das war ja nun von vornherein klar.

Erfreuliche Vielfalt

Aber im Konzert verfestigte sich ein Eindruck, der völlig neu war: Axel Bauni hatte wieder ein Programm zusammengestellt von Franz Schubert über die Romantik und Moderne bis in die Gegenwart - und somit auch mit Liedern, die in der LiederWerkstatt ihre Uraufführung erlebt hatten. Nur dass sie dieses Mal nicht mit besonderem Tamtam, sondern einfach so, nur in inhaltlichem Zusammenhang, auf dem Programmzettel auftauchten. Da waren sie plötzlich, die Namen, die man bei den Uraufführungen kennengelernt hatte, aber dieses Mal ohne Lametta. Da saß man in einem der üblichen Liedernachmittag und hörte sie plötzlich "unter anderem" in erfreulicher Vielfalt. Da war plötzlich eine überraschende Normalität.

Mit Franz Schubert wurde die Tür in das Konzert aufgesprengt, mit "Dem Unendlichen" nach einem Text von Klopstock, einem Lied voller Kraft und Pathos, dem Caroline Melzer und Axel Bauni trotzdem einiges an Eleganz entlocken konnten. Dann stand erst einmal der Textlieferant Hölderlin im Mittelpunkt in den unterschiedlichsten Spielarten der Komponisten des 20./21. Jahrhunderts: Paul Hindemith ("An die Parzen" und "Sonnenuntergang"), Steffen Schleiermacher ("Der Spaziergang"), Hanns Eisler ("An eine Stadt") und Aribert Reimann ("Canzona(Elysium)") - vier interessante Herangehensweisen auf sehr individuelle, nicht unbedingt überraschende Art.

Ganz dicht am Text

Im zweiten Teil - "Zeit, sich vom Bernstein zu trennen..." - wurde russisch: zunächst Peter Schöne (mit seiner immer wieder erstaunlich klaren russischen Aussprache) und Jan Philip Schulze mit Peter Tschaikowskys hochromantischen "Zabyt" tak skoro" ("So bald vergessen") und "Kak nad gorjaceju zoloj" ("Gleich einem Brief"). Walter Zimmermann hatte sich bei Lermontov bedient und unter anderem dessen "Schatten" höchst geheimnisvoll vertont. Marina Zwetajewa war einmal mehr die Textlieferantin für Wolfgang Rihm und sein "Warst fort" mit fantastischem Nachhall der Stimme im Flügel und abgrundtiefer Verlorenheit. Und Dmitri Schostakowitsch war bei Michelangelo Buonarroti fündig geworden: mit langem Crescendo führte er dessen "Besmertiye" ("Unsterblichkeit") auf die Höhen des Pathos. Einer durfte nicht fehlen: Hugo Wolf : Caroline Melzer und Axel Bauni steuerten eine Auswahl aus dem Mörike-Liedern bei und gestalteten ganz dicht am Text: Köstlich der "Rat einer Alten", die sich besserwisserisch in eine Gespräch einmischt, aber mit fortschreitender Erinnerung an ihre erste Liebe immer melancholischer wird.

Drängender "Er" und abweisend-schnippische "Sie"

Ein bisschen schade war, dass Johannes Brahms "Vergebliches Ständchen" nur von einer Stimme gesungen wurde. Das ist natürlich legitim, denn Brahms hat "eine oder zwei Singstimmen" vorgesehen. Aber es ist nun mal ein Dialog zwischen einem "Er" und einer "Sie". Und der "Er" wäre ja da gewesen; er saß wartend hinter dem Flügel. Für Caroline Melzer, war das allerdings eine gute Gelegenheit, den drängenden "Er" und die abweisend-schnippische "Sie" wunderbar plastisch zu gestalten.

Und es wurde wieder einmal klar: Wenn in 500 Jahren noch Lieder aus der LiederWerkstatt gesungen werden, dann werden es die von Wilhelm Killmayer sein. Denn einmal mehr zeigten Peter Schöne und Jan Philip Schulze in vier seiner Heine-Lieder von 1994/95, dass er ein Liedkomponist war, der Humor und Leichtigkeit gestalten konnte und der wunderbar mit Heinrich Heines Hintergründigkeit umgehen konnte. Und mit dessen melancholischem Heimatverlust in "Ich hatte einst ein schönes Vaterland". Manfred Trojahn hatte sich hatte sich offenbar allerdings auch von dieser Leichtigkeit anstecken lassen mit "Wenn zwei von einander scheiden" und "Ich mache die kleinen Lieder", die köstliche Vertonung der Eifersucht eines Dichters, der seiner verheirateten Geliebten letztendlich lieber die Kinder als die Lieder gemacht hätte - wunderbares Gestaltungsfutter.

Vorgeschmack auf dramatische Uraufführung 2021

Wenigstens eine Uraufführung gab es ganz am Ende dann doch noch: Alexandra Filonenko, 1972 in der Ukraine geboren und in Berlin lebend, hat für die diesjährige LiederWerkstatt einen fünfteiligen Zyklus komponiert, der jetzt im nächsten Jahr uraufgeführt werden soll. Aber einen Vorgeschmack und eine Brücke nach 2021 gab es schon: "Liebe deine Wunde" nach einem Text des Berliners Hendrik Jackson. Das ist eine zum Panischen neigende Innensicht, grundiert zunächst von dem bedrohlichen Staccato-Thema aus dem zweiten Satz von Beethovens Klaviersonate op. 2/2, ein Rezitieren, dass in Gesang umschlägt, dem sich auch die Musik immer mehr annähert. Caroline Melzer und Axel Bauni machten daraus eine hochdramatische Angelegenheit. Man sollte sich für die nächste LiederWerkstatt schon mal ziemlich starke Nerven bereithalten.

 
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