Wie konnte das passieren? Die Frage steht im Raum, und keiner kann sie beantworten. Wie konnte eine Vertrauensperson eines Vereins über Jahre hinweg in die Kasse greifen und so den Verein um 29 693 Euro bringen? Wie konnten Kontrollen und ein jährlich eingeschalteter Steuerprüfer einen solchen Betrug übersehen? Es ist geschehen, in Münnerstadt.
Karl B. (Name von der Redaktion geändert) hatte seit Jahren eine Vertrauensstellung in der Tennisabteilung des TSV Münnerstadt inne. Ein in den Augen der anderen Vereinsmitglieder integrer Mann, ein Mensch, dem man im Verein Vertrauen entgegenbringt.
Karl B. arbeitet penibel, seine regelmäßigen Informationen in Versammlungen sind stets korrekt. So eben, wie man ihn persönlich auch kennt. Akkurat. Bei Kontrollen findet niemand auch nur eine kleine Unregelmäßigkeit. Alle nachweise sind vorhanden.
„Der laufende
Betrieb für dieses
Jahr ist gesichert.“
Durch die Abteilung fließt viel Geld: Der laufende Betrieb muss aufrechterhalten werden, 5000 Euro kommen an Mitgliedsbeiträgen herein, bei einer jährlichen Großveranstaltung bleibt ein größerer Betrag hängen. Die laufenden Kosten werden bezahlt, für das Vereinsheim, die Trainer, die Pflege der Anlage. Und trotzdem betrügt Karl B.. Immer wieder nimmt er Geld vom Girokonto des Vereins und überweist es an die Barkasse. Und daraus bedient er sich dann.
Diese seltsamen Transaktionen fallen lange Zeit nicht auf. Es sind keine großen Summen, die da bewegt werden. Mal ein paar 100 Euro im März, ein paar 100 Euro im September und November. Die Belege stimmen. Aus der Barkasse wandert das Geld in die Tasche von Karl B. Niemand bemerkt das, auch die Steuerprüfer registrieren es nicht.
Anderen Mitgliedern gegenüber gibt er regelmäßig in sich scheinbar stimmige Berichte ab. „... auf dem Girokonto, auf dem Festgeldkonto und in der Barkasse befinden sich xy Euro“, spricht er dabei immer von einer Gesamtsumme. Alles stimmt, scheinbar.
Aufgefallen wäre das Problem, wenn er die Einzelsummen genannt hätte, denn dann hätte er irgendwann erzählen müssen, dass sich in der Barkasse eigentlich fast 30 000 Euro befinden müssten. Also hat er das nicht getan.
Und im Verein hat man eines vergessen: Während die Kontobewegungen und Kontostände schwarz auf weiß auf den Kontoauszügen stehen und überprüft wurden, schaute niemand in die Barkasse. Da hätten im Laufe der Jahre 29 693 Euro drin sein müssen. Sie waren es aber nicht. „Mit 35 Euro bin ich in diesem Jahr gestartet“, sagt Guido Rose, der Kassier in der Tennisabteilung des TSV Münnerstadt.
Am Abend des vergangenen Dienstags war es nun an der Zeit, die Vereinsmitglieder über die Vorkommnisse in der Abteilung zu informieren. Keine leichte Aufgabe für Abteilungsleiter Martin Eyring, der dabei Unterstützung vom Hauptvorstand des TSV Münnerstadt bekommen hatte. Das komplette Gremium war dabei. Die Mission: alles auf den Tisch legen.
Das tat Martin Eyring. Man habe die frühere Vertrauensperson zum Gespräch gebeten, unumwunden habe er dabei seine Verfehlung und die ihm zur Last gelegte Summe der Unterschlagung zugegeben. Er bereue sein Vergehen und wolle alles zurückzahlen. Diese Absichtserklärung habe man inzwischen zu Papier gebracht, nach eingehender Beratung durch den Bayerischen Landessportverband sowie nach eingehender anwaltlicher und notarieller Beratung.
Das Ergebnis: Ein notarieller Vertrag wurde von beiden Seiten unterzeichnet. Die frühere Vertrauensperson habe die aus der Vereinskasse entnommene Summe bestätigt und sich mit der Abteilung auf einen Rückzahlmodus von 5000 Euro pro Jahr verpflichtet – bei 5,0 Prozent Zinsen. Die erste Teil-Rückzahlung in diesem Jahr ist laut Verein schon überwiesen worden.
Aufgeflogen ist das Ganze, erklärte Abteilungsleiter Martin Eyring jetzt den Mitgliedern, als in diesem Frühjahr das Girokonto der Abteilung plötzlich in die Miesen rutschte. Die Bank forderte die Abteilung auf, das Konto doch wieder bitte auszugleichen. So bekam Martin Eyring Kenntnis von der wirklichen finanziellen Lage der Tennisabteilung und drehte sofort an den notwendigen Knöpfen.
Die Fragen der Mitglieder in der jüngsten Versammlung waren naheliegend: „Warum hat das niemand gemerkt?“, wollte Bärbel Will wissen, es gab doch Prüfungen. Johannes Wolf, Hauptkassier des TSV Münnerstadt, und Guido Rose erklärten gemeinsam das System von Karl B. und die Fehler, die gemacht wurden: „Keiner hat sich die Mühe gemacht, in die Barkasse zu schauen. Jeder hat darauf vertraut, dass das Geld drin ist“, sagte Guido Rose.
„Er hat sich bei mir entschuldigt“, erzählt Martin Eyring. Auf eine Strafanzeige habe der Verein verzichtet. Das helfe nicht, stellte Gesamtvorsitzender Gerd Zeitler fest. Im Gegenteil. Den Mann in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben bringe nichts. Auch jetzt, nach all diesen Vorkommnissen, versuchen sogar die Mitglieder, Verständnis für das Verhalten des Mannes zu finden. Es ist kein Groll im Raum, wenn man sich darüber unterhält.
Abteilungsführung und Mitglieder richteten stattdessen den Blick nach vorn. Wie geht es weiter? „Der laufende Betrieb für dieses Jahr ist gesichert“, sagte Martin Eyring in der Versammlung. Er zählte die Einnahmen und Verbindlichkeiten auf, der Hauptverein, so stellvertretender Gesamtvorsitzender Günter Scheuring, werde natürlich helfen, wenn es nötig ist. Schließlich ist man eine große Sportfamilie in Münnerstadt, und die hält zusammen.
Aber natürlich hat der Verein nach dem Vorfall auch reagiert: Seit dem Frühjahr werden alle Abteilungskassen geprüft. Vierteljährlich. Jeder Verantwortliche muss seine Kasse inklusive der Belege beim Hauptkassier prüfen lassen. Mehr als 1000 Euro dürfen nicht drin sein. Ein Vieraugenprinzip wurde außerdem eingeführt. „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, hat Hauptkassier Johannes Wolf sein Fazit aus der Affäre gezogen.
Die Versammlung endete mit einem Vertrauensbeweis: Für Guido Rose gab es anhaltenden Applaus, ob des Engagements, sich in einer solchen Situation in den Fahrtwind zu stellen und Verantwortung zu übernehmen.