Bad Kissingen
Über das Unfassbare reden
Vor fünf Jahren hat sich der Sohn von Gabi M. umgebracht. Eine Selbsthilfegruppe half ihr, mit Trauer und Wut zu leben. Heute begleitet sie selbst andere Betroffene.
Dieser Verlust wird für immer ein fester Bestandteil ihres Lebens sein: "Vor fünf Jahren hat sich unser Sohn im Alter von 21 Jahren das leben genommen", sagt Gabi M. mit fester Stimme, ohne Tränen, aber mit der tiefen Trauer in den Augen einer Mutter, die ihr Kind verloren hat. "Das Leben danach ist ein anderes", sagt die Frau im Alter von Ende 40 und erzählt, wie sie zur Selbsthilfegruppe des Vereins AGUS (Angehörige um Suizid) kam.
Zehn Menschen haben sich laut Polizei alleine im vergangenen Jahr im Landkreis Bad Kissingen das Leben genommen. "Man begreift es nicht, in der ersten Phase lässt man nur alles mit sich geschehen", erinnert sich Gabi M. an ihre eigene Erfahrung zurück. Zunächst müssten "die äußeren Dinge" erledigt werden: Beerdigung, Formalitäten. Sie selbst sei dann durch einen Notfall-Seelsorger auf AGUS aufmerksam gemacht worden. "Ich habe den Weg nach vorne relativ früh angetreten, aber das ist ganz unterschiedlich", weiß Gabi M. heute.
Das deckt sich mit der Erfahrung von Maritta Düring-Haas von der Christian-Presl-Stiftung: "Manche sitzen fünf Tage nach dem Suizid bei uns, manche kommen erst zwei oder drei Jahre später", sagt die Sozialpädagogin, und: "Gerade Hinterbliebene nach Suizid brauchen eine enorme Unterstützung." Deshalb würden viele parallel die Angebote der Christian Presl-Stiftung nutzen und sich in der Selbsthilfegruppe austauschen.
"Es tut einfach gut, mit jemandem zu reden, der die Situation kennt", sagt Gabi M.: "Wir helfen uns gegenseitig." Einmal im Monat trifft sich die AGUS-Gruppe Bad Kissingen, die für die gesamte Region Main-Rhön zuständig ist. Die 10 bis 14 Teilnehmer pro Sitzung würden sich vor allem austauschen. "Freunde und Angehörige können das irgendwann nicht mehr hören", berichtet Gabi M. über die Reaktion in ihrem Umfeld. "Und wenn man das nicht selbst mitgemacht hat, kann man es auf Dauer auch nicht aushalten." Deshalb gingen Gabi M. und ihr Mann zu AGUS. "Zu sehen und zu hören, wie es andere gemacht haben, das waren für mich immer Strohhalme."
Trotzdem fällt das Reden über das Unfassbare vielen schwer: "Es ist immer noch ein großes Tabu-Thema", sagt Gabi M. über den Suizid. "Zu Schmerzen und Sehnsucht kommt noch Scham und Wut auf den, der gegangen ist, dazu." Und: "Am Anfang hat einen das Schuldgefühl beherrscht." Schließlich habe sie auf Grund einer Depression ihres Sohnes um die Gefahr gewusst: "Es war so eine Angst da, aber wir haben es alle nie ausgesprochen." Diese Selbstzweifel müsse man aber überwinden, denn: "Das einzige, was einen tröstet, sind die schönen Erinnerungen, und das verhindern die Schuldgefühle."
Vieles sehe sie heute zumindest etwas klarer: "Man kommt manchen Fragen näher, aber es wird nie auf alles Antworten geben oder man merkt, dass es viele mögliche Antworten gibt", fasst sie ihre Erfahrungen in der Selbsthilfegruppe zusammen. "Die meisten haben Kinder verloren, andere aber auch Elternteile oder Partner." An sich selbst hat sie erfahren, dass sie mit ihrem Mann und ihrem verbliebenen Sohn vieles gemeinsam bewältigen kann. Heute hilft sie als eine der Sprecherinnen der örtlichen AGUS-Selbsthilfegruppe Betroffenen. Aber auch nach fünf Jahren des Austausches und nach Fortbildungen zu dem Thema weiß sie: "Man hakt das niemals ab."
"Gerade bei so etwas Unfassbarem ist es wichtig, das immer wieder zu sagen", weiß Sozialpädagogin Düring-Haas um die heilsame Wirkung der Selbsthilfegruppen. Der Presl-Stiftung sei ein möglichst breites Spektrum von Hilfen wichtig: "Unser Ansatz ist, dass sich jeder das Angebot nehmen soll, das er braucht", sagt sie. Neben Gruppen- und Einzelgesprächen möchten viele Angehörige manchmal auch gar nicht sprechen: "Es gibt Zeiten, in denen man sich zum Selbstschutz gar nicht austauschen will."
Besonders schwierig sei der Umgang mit Suizid bei Kindern: "Uns ist es ein großes Anliegen, dass alles offen kommuniziert wird", rät sie. Denn irgendwie komme es immer raus. "Es ist ein riesiger Vertrauensverlust für Kinder, wenn sie es über zig Ecken erfahren."
Die AGUS-Selbsthilfegruppe ist ausschließlich für Angehörige nach Suizid offen. Besorgte Angehörige können aber über die Presl-Stiftung oder Behörden Kontaktdaten zu Suizid-Präventionsstellen erfragen.
Vortrag "Suizid - wenn sich ein Mensch getötet hat - zur Situation der Hinterbliebenen" ist der Vortrag von Elisabeth Brockmann überschrieben. Er beginnt am Donnerstag, 22. Oktober, um 19 Uhr in der Klinik Bavaria, Von-der-Tann-Straße 18 bis 22, in Bad Kissingen.
Anmeldung Interessierte können sich bis Montag, 19. Oktober, bei der Christian Presl-Stiftung anmelden: Die Beratungsstelle in der Spargasse 18, Bad Kissingen, ist unter Tel.: 0971/ 699 190 70, E-Mail: info@christian-presl-stiftung.de zu erreichen.
Person Elisabeth Brockmann ist die Leiterin der Bundesgeschäftsstelle AGUS (Angehörige um Suizid) in Bayreuth. Die 60-jährige Sozialpädagogin ist zudem AGUS-Geschäftsführerin.
AGUS Emmy Meixner-Wülker gründete 1989 in Bayreuth AGUS als erste Selbsthilfegruppe für Angehörige von Suizidenten in Deutschland. 1995 entstand ein gemeinnütziger Verein gleichen Namens, der etwa 500 Mitglieder und Kontakt zu etwa 3000 Betroffenen hat. Die AGUS-Selbsthilfegruppe leitet Elfriede Herterich. Sie gibt Informationen unter Tel.: 0971/ 62017.
Christian Presl-Stiftung
2005 kam Christian Presl bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Seine Angehörigen gründeten daraufhin die gemeinnützige Christian Presl-Stiftung, die Menschen in Trauer durch umfassende Angebote professionell, unbürokratisch und ohne finanzielle Interessen hilft.
Statistik Jährlich sterben in Deutschland mehr als 10 000 Menschen durch Suizid. Im Schnitt nimmt sich also etwa alle 52 Minuten ein Bundesbürger das Leben. In drei Vierteln der Fälle handelt es sich dabei um Männer. Experten gehen davon aus, dass sich nach jedem Suizid zwischen sechs und 23 Angehörige betroffen fühlen.
Suizid Nach Angaben des Polizeipräsidiums Würzburg starben 2014 in der Region Main-Rhön 52 Menschen durch Suizid. Im Landkreis Bad Kissingen nahmen sich zehn Menschen das Leben, in Rhön-Grabfeld und den Haßbergen jeweils acht, in Stadt und Landkreis Schweinfurt 26.
Suizidversuche Die Polizeistatistik weist jedoch eine weit höhere Zahl an versuchten Selbsttötungen auf: 2014 waren dies 119 in der Region Main-Rhön: 33 im Landkreis Bad Kissingen, 23 in Rhön-Grabfeld, 41 in Stadt und Landkreis Schweinfurt sowie 22 im Landkreis Haßberge.
Bedarf ist ganz unterschiedlich
Zehn Menschen haben sich laut Polizei alleine im vergangenen Jahr im Landkreis Bad Kissingen das Leben genommen. "Man begreift es nicht, in der ersten Phase lässt man nur alles mit sich geschehen", erinnert sich Gabi M. an ihre eigene Erfahrung zurück. Zunächst müssten "die äußeren Dinge" erledigt werden: Beerdigung, Formalitäten. Sie selbst sei dann durch einen Notfall-Seelsorger auf AGUS aufmerksam gemacht worden. "Ich habe den Weg nach vorne relativ früh angetreten, aber das ist ganz unterschiedlich", weiß Gabi M. heute. Das deckt sich mit der Erfahrung von Maritta Düring-Haas von der Christian-Presl-Stiftung: "Manche sitzen fünf Tage nach dem Suizid bei uns, manche kommen erst zwei oder drei Jahre später", sagt die Sozialpädagogin, und: "Gerade Hinterbliebene nach Suizid brauchen eine enorme Unterstützung." Deshalb würden viele parallel die Angebote der Christian Presl-Stiftung nutzen und sich in der Selbsthilfegruppe austauschen.
"Es tut einfach gut, mit jemandem zu reden, der die Situation kennt", sagt Gabi M.: "Wir helfen uns gegenseitig." Einmal im Monat trifft sich die AGUS-Gruppe Bad Kissingen, die für die gesamte Region Main-Rhön zuständig ist. Die 10 bis 14 Teilnehmer pro Sitzung würden sich vor allem austauschen. "Freunde und Angehörige können das irgendwann nicht mehr hören", berichtet Gabi M. über die Reaktion in ihrem Umfeld. "Und wenn man das nicht selbst mitgemacht hat, kann man es auf Dauer auch nicht aushalten." Deshalb gingen Gabi M. und ihr Mann zu AGUS. "Zu sehen und zu hören, wie es andere gemacht haben, das waren für mich immer Strohhalme."
Scham, Wut, Schulgefühle
Trotzdem fällt das Reden über das Unfassbare vielen schwer: "Es ist immer noch ein großes Tabu-Thema", sagt Gabi M. über den Suizid. "Zu Schmerzen und Sehnsucht kommt noch Scham und Wut auf den, der gegangen ist, dazu." Und: "Am Anfang hat einen das Schuldgefühl beherrscht." Schließlich habe sie auf Grund einer Depression ihres Sohnes um die Gefahr gewusst: "Es war so eine Angst da, aber wir haben es alle nie ausgesprochen." Diese Selbstzweifel müsse man aber überwinden, denn: "Das einzige, was einen tröstet, sind die schönen Erinnerungen, und das verhindern die Schuldgefühle." Vieles sehe sie heute zumindest etwas klarer: "Man kommt manchen Fragen näher, aber es wird nie auf alles Antworten geben oder man merkt, dass es viele mögliche Antworten gibt", fasst sie ihre Erfahrungen in der Selbsthilfegruppe zusammen. "Die meisten haben Kinder verloren, andere aber auch Elternteile oder Partner." An sich selbst hat sie erfahren, dass sie mit ihrem Mann und ihrem verbliebenen Sohn vieles gemeinsam bewältigen kann. Heute hilft sie als eine der Sprecherinnen der örtlichen AGUS-Selbsthilfegruppe Betroffenen. Aber auch nach fünf Jahren des Austausches und nach Fortbildungen zu dem Thema weiß sie: "Man hakt das niemals ab."
"Gerade bei so etwas Unfassbarem ist es wichtig, das immer wieder zu sagen", weiß Sozialpädagogin Düring-Haas um die heilsame Wirkung der Selbsthilfegruppen. Der Presl-Stiftung sei ein möglichst breites Spektrum von Hilfen wichtig: "Unser Ansatz ist, dass sich jeder das Angebot nehmen soll, das er braucht", sagt sie. Neben Gruppen- und Einzelgesprächen möchten viele Angehörige manchmal auch gar nicht sprechen: "Es gibt Zeiten, in denen man sich zum Selbstschutz gar nicht austauschen will."
Besonders schwierig sei der Umgang mit Suizid bei Kindern: "Uns ist es ein großes Anliegen, dass alles offen kommuniziert wird", rät sie. Denn irgendwie komme es immer raus. "Es ist ein riesiger Vertrauensverlust für Kinder, wenn sie es über zig Ecken erfahren."
Die AGUS-Selbsthilfegruppe ist ausschließlich für Angehörige nach Suizid offen. Besorgte Angehörige können aber über die Presl-Stiftung oder Behörden Kontaktdaten zu Suizid-Präventionsstellen erfragen.
Vortrag "Suizid - wenn sich ein Mensch getötet hat - zur Situation der Hinterbliebenen" ist der Vortrag von Elisabeth Brockmann überschrieben. Er beginnt am Donnerstag, 22. Oktober, um 19 Uhr in der Klinik Bavaria, Von-der-Tann-Straße 18 bis 22, in Bad Kissingen.
Anmeldung Interessierte können sich bis Montag, 19. Oktober, bei der Christian Presl-Stiftung anmelden: Die Beratungsstelle in der Spargasse 18, Bad Kissingen, ist unter Tel.: 0971/ 699 190 70, E-Mail: info@christian-presl-stiftung.de zu erreichen.
Person Elisabeth Brockmann ist die Leiterin der Bundesgeschäftsstelle AGUS (Angehörige um Suizid) in Bayreuth. Die 60-jährige Sozialpädagogin ist zudem AGUS-Geschäftsführerin.
AGUS Emmy Meixner-Wülker gründete 1989 in Bayreuth AGUS als erste Selbsthilfegruppe für Angehörige von Suizidenten in Deutschland. 1995 entstand ein gemeinnütziger Verein gleichen Namens, der etwa 500 Mitglieder und Kontakt zu etwa 3000 Betroffenen hat. Die AGUS-Selbsthilfegruppe leitet Elfriede Herterich. Sie gibt Informationen unter Tel.: 0971/ 62017.
Christian Presl-Stiftung
2005 kam Christian Presl bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Seine Angehörigen gründeten daraufhin die gemeinnützige Christian Presl-Stiftung, die Menschen in Trauer durch umfassende Angebote professionell, unbürokratisch und ohne finanzielle Interessen hilft.
Statistik Jährlich sterben in Deutschland mehr als 10 000 Menschen durch Suizid. Im Schnitt nimmt sich also etwa alle 52 Minuten ein Bundesbürger das Leben. In drei Vierteln der Fälle handelt es sich dabei um Männer. Experten gehen davon aus, dass sich nach jedem Suizid zwischen sechs und 23 Angehörige betroffen fühlen.
Suizid Nach Angaben des Polizeipräsidiums Würzburg starben 2014 in der Region Main-Rhön 52 Menschen durch Suizid. Im Landkreis Bad Kissingen nahmen sich zehn Menschen das Leben, in Rhön-Grabfeld und den Haßbergen jeweils acht, in Stadt und Landkreis Schweinfurt 26.
Suizidversuche Die Polizeistatistik weist jedoch eine weit höhere Zahl an versuchten Selbsttötungen auf: 2014 waren dies 119 in der Region Main-Rhön: 33 im Landkreis Bad Kissingen, 23 in Rhön-Grabfeld, 41 in Stadt und Landkreis Schweinfurt sowie 22 im Landkreis Haßberge.
Themen & Autoren / Autorinnen