Eva Reichert-Nelkenstocks Einwand - er wirkte ziemlich ernüchternd. Ein herber Dämpfer für die wunderbare Euphorie. Sie finde das derzeitige Engagement ja toll, glaube aber nicht an die Vision, die dahintersteht, so die Grünen-Stadträtin.
Worauf Reichert-Nelkenstock abzielte, war der Wirbel rund um das staatliche Programm „Starkes Stadtmarketing für lebendige Innenstädte“. Es könnte der letzte Strohhalm sei für eine Rettung speziell der Ludwigstraße und der umliegenden Gassen als Einkaufsstandort (wir berichteten). Dafür braucht es Einigkeit und Bereitschaft der betroffenen Geschäftsleute - und einen finanziellen Beitrag der Stadt.
Vertrauensvorschuss und Unterstützerschreiben
Tatsächlich ist in den vergangenen Wochen gerade von ersterem einiges zu spüren. CSU-Stadträtin Monika Wiesner sammelte Zusagen von Geschäftsleuten nicht nur der Kernstadt über mehr als 10.000 Euro, eine Art Vertrauensvorschuss auf das Programm. der Bürgerverein "Wir für Bad Brückenau" wurde als "Kopf der Sache" gewonnen; namhafte Persönlichkeiten wie Landrat Thomas Bold, Josef Schuster als Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und sogar Kurdirektor Andrea Schallenkammer verfassten "Letters of Intent". Übersetzt wird das aus dem Englischen als "Absichtserklärung", lässt sich aber eher als Unterstützerschreiben bezeichnen.
Der Stadtrat musste nun in seiner Sitzung am 29. August entscheiden, ob 40.000 Euro aus dem aktuellen Haushalt zur Beteiligung am Projekt freigemacht werden. Und zwar schnell, denn die offizielle Interessenbekundung am Förderprogramm musste zwei Tage später verschickt sein.
Tatkraft und Konzept mit Struktur
Zunächst gab es im Stadtrat nur lobende Worte. Zimmermann sah eine Tatkraft am Werk, die man brauche, um innerhalb weniger Wochen Ergebnisse zu zeitigen. "Wir zeigen, dass wir bereit sind, uns die Hand zu reichen und dem Ganzen einen Kickstart zu geben."
Dirk Stumpe (parteilos) hielt es für wichtig, "dass wir uns als Stadt finanziell beteiligen". In den vergangenen Jahren seien viele Papiertiger produziert worden, teure Konzepte für die Schublade. Das erste Mal gebe es etwas mit Struktur, das die Stadt mit Leben füllen könne.
Negativbeispiel Kaiserstraße in Würzburg
Doch dann kam Eva Reichert-Nelkenstock. Sie brachte das Beispiel der Würzburger Kaiserstraße, der Verbindung vom Hauptbahnhof in die Innenstadt. Dort würde ständig Billigläden in leerstehende Geschäfte einziehen und wären genau so schnell wieder weg. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir das hier wollen." Die Grüne findet es schade, dass jetzt Aufbruchstimmung produziert werde, die nicht zum Erfolg führe.
Auch bezweifelte sie, dass jemand mit einer tollen Geschäftsidee ausgerechnet nach Bad Brückenau kommen will. Leider habe auch Volker Wedde vom Einzelhandelsverband, der ja Konzept und Förderprogramm im Juli im Stadtrat vorgestellt hatte, sie auch in einem Telefonat nicht überzeugen können.
Zimmermann: mehr Ereignischarakter für Innenstadt
Andere Räte sahen die Sache ganz anders. Heike Kötzner (CSU) nahm eine Bereitschaft insbesondere der Geschäftsleute wahr, sich auf die Idee einzulassen. Vielleicht entwickele sich eine neue Gemeinschaft.
Adelheid Zimmermann fand, die Innenstadt müsse mehr Ereignischarakter bekommen. Es brauche mehr Kommunikation. "Wir haben kein Leerstands- und Citymanagement gemacht, keine Funktionen und wo sie unterkommen entwickelt." Die Motivation, die bisher nicht dagewesen sei, müsse sich im künftigen Lenkungskreis und in Bürgerbeteiligung wiederfinden.
Zweifel an Zahlen in Projektskizze
Auch Jürgen Pfister (PWG), Dieter Seban (CSU) und Emanuel Fritschka (PWG) sprachen sich für eine Initiative jetzt aus, auch wenn es viel Geld koste und der Erfolg nicht garantiert sei. Laut Pfister hat Volker Wedde den örtlichen Einzelhandel über Jahrzehnte stets gut beraten.
Reichtert-Nelkenstock war immer noch nicht überzeugt. Die Kombination aus Ereignissen und Kommunikation würde schon beim Regionalmarkt nicht funktionieren. Sie bezweifelte auch, ob zum Beispiel die in der von Wedde erstellten Projektskizze für den modularen Ladenbau in den Geschäften angesetzten 20.000 Euro ausreichen.
Trend geht in Bad Brückenau zur Wohnstadt
Ohnehin störte sie sich daran, dass das Konzept zu sehr auf den Einzelhandel zugeschnitten sei. "Ich sehe Bad Brückenau nicht als Einkaufs-, sondern als Wohnstadt. Anderswo kann man besser einkaufen." Mehr Wohnraum könne die Kernstadt auch attraktiver machen.
Wie zur Bekräftigung ihrer Worte stand ein spezieller Bauantrag auf der Tagesordnung: Eine leerstehende Gewerbefläche neben dem Eiscafé Venezia in der Ludwigstraße soll zur Wohnung umgestaltet werden - nicht der erste Antrag in diese Richtung für die einstige Einkaufsmeile. Der Stadtrat stimmte dem zu.
Dach der Fahrradstellplätze am Schulzentrum wird geschoben
Auch Robert Eder (PWG) sah den Trend Bad Brückenaus zur Wohnstadt. Der aktuellen Initiative zur geschäftlichen Belebung will aber auch er eine Chance geben. Bürgermeister Jan Marberg ergänzte, unter Umständen könne man es bedauern, nicht mitgemacht zu haben: "So können wir sagen: Wir haben es als Stadt probiert und waren nicht untätig."
Schlussendlich stimmte der Stadtrat der Beteiligung am Projekt "Starkes Stadtmarketing für lebendige Innenstädte" mehrheitlich zu. Außerdem werden im Haushalt für dieses Jahr 40.000 Euro städtischer Anteil freigemacht. Dafür wird die neue Überdachung der Fahrradstellplätze am Römershager Schulzentrum geschoben. Wahrscheinlich, so Marberg, komme man dieses Jahr eh nicht mehr dazu.