Es mutete fast skurril an, als Deutschlands Fußball-Elite zum öffentlichen Training vorgefahren kam: nicht in glänzenden Luxus-Karossen, sondern auf hellblau lackierten Drahteseln, die eher sperrig denn sportlich wirkten. Samt Körbchen auf dem Gepäckträger.
Die etwas spießig daherkommenden Fahrräder passten so gar nicht zu den mitunter großzügig tätowierten Typen im Sattel. Aber an diesem Nachmittag war eben keine Coolness von hochnäsigen Jung-Millionären gefragt, sondern authentische Nähe zum Fußballvolk.
Die Wahl des Fortbewegungsmittels lieferte eine gewisse Symbolik. Auf Augenhöhe wollten sich die Stars ihren 4000 Fans in Herzogenaurach präsentieren – und taten dies auch. Einzig Aleksandar Pavlovic fehlte aufgrund eines Infekts.
Mit dabei war dafür mit Jan Reichert ein waschechter Franke. Der 22-jährige Keeper des 1. FC Nürnberg , aus der Nähe von Schweinfurt stammend, war bekanntlich kurzfristig als Ersatz für Alexander Nübel „verpflichtet“ worden und wechselte sich in den Übungseinheiten ab mit Manuel Neuer , Marc-Andre ter Stegen und Oliver Baumann .
„Dass Jan hier dabei ist, ist für ihn und den FCN etwas ganz Besonderes. Auch wenn es nur im Training ist, muss man eine gewisse Qualität haben, um bei der Nationalmannschaft dabei sein zu dürfen. Alle, die an seiner Entwicklung beteiligt waren, dürfen stolz darauf sein. Und Jan kann in dieser Zeit richtig viel lernen“, äußerte sich vor Ort Michael Wiesinger .
Der Ex-Profi des 1. FC Nürnberg , mittlerweile Gesamtleiter am Nachwuchsleistungszentrum des Clubs vom Valznerweiher, war auf Wunsch seiner Kinder ins nahe Herzogenaurach gekommen, „dann nutzt man die Gelegenheit und schaut sich das mal an. Wir haben jedenfalls eine superspannende Mannschaft mit viel Potential. Da kann was entstehen."
EM-Euphorie sieht der 51-Jährige aktuell bei sich noch nicht, „aber wenn die Jungs gegen Schottland ihren Geist auf den Platz bekommen, bin ich voll dabei. Als Spieler muss man sich bewusst sein, was man fürs Land bewegen kann, daher freue ich mich auf Freitag.“
Das EM-Auftaktspiel der Nationalmannschaft wird Michael Wiesinger aber eher im gemütlichen Rahmen verfolgen. „In aller Ruhe, vielleicht mit einem Glaserl Wein. Spektakel mag ich nicht so sehr.“
Die neue Nahbarkeit der deutschen Nationalmannschaft mag auch auf einer Marketing-Strategie beruhen. Tatsache ist aber, dass die Begegnung von Spielern und Zaungästen im Adidas Home Ground eine ganz und gar charmante Angelegenheit war.
Natürlich durfte ein bisschen Inszenierung samt musikalischer Untermalung zum Einmarsch der Gladiatoren ebenso wenig fehlen wie Verkaufs- und Fanstände auf dem ausverkauften Adi-Dassler-Sportplatz. Und alles bei wunderbarem Fußballwetter.
So herrschte auf der Stein- und Naturtribüne ein Mix aus Festival- und Zirkus-Atmosphäre, während sich die Protagonisten auf dem akurat gemähten Spielfeld verschiedenen Spielformen widmeten, die Julian Nagelsmann eher stoisch denn emotional begleitete. Dafür hat der Bundestrainer schließlich seine Adjutanten, allen voran Sandro Wagner .
Am lautesten im Rund wurde es immer dann, wenn das Leder spektakulär in die Maschen gejagt oder von den Torhütern mit gekonnten Flugeinlagen pariert wurde. Dass sich Stürmer Niclas Füllkrug und der auch im Training unerbittliche Verteidiger Antonio Rüdiger für einen Moment zofften, bekamen nur die wenigsten mit.
Familie Karches war ebenfalls mit dem Fahrrad angereist, direkt aus Herzogenaurach . Auf Manuel Neuer und Ilkay Gündogan hatten sich die Kinder von Jakob Karches, dem Spielertrainer des 1. FC Herzogenaurach , am meisten gefreut. „Wir sind zum ersten Mal überhaupt auf diesem Sportplatz“, verriet Oma Heidi im Gespräch.
Die Lust auf die Europameisterschaft könnte bei den Nachwuchskickern des ASV Weisendorf nicht größer sein, die mit gleich 17 Spielern aus der E- und F-Jugend sowie den Trainern zum öffentlichen Training kamen. „Das ist für uns natürlich ein Traum, die Nationalmannschaft einmal live erleben zu dürfen. Vor allem auf Toni Kroos und Florian Wirtz freuen sich unsere Jungs“, verriet Nachwuchs-Coach Matthias Förster.
Der ASV wird zu jedem Spiel der deutschen Mannschaft ein Public Viewing nicht nur für die 700 Mitglieder anbieten. „Wir glauben alle daran, dass es mit dem Titel klappt. Das Eröffnungsspiel gewinnen wir jedenfalls mit 2:0“, sagt ASV-Coach Christian Schuster.
Höhepunkt des Happenings, vor allem für die vielen Kinder und Jugendlichen, war die letzte Charm-Offensive der Nationalspieler, die zum „Finale“ bereitwillig Autogramme gaben und Mini-Fußbälle ins Publikum warfen oder kickten, ehe es wieder in Richtung Unterkunft ging. Natürlich auf zwei Rädern.
Aus Unterfranken mit dem Sohn angereist war Matthias Dees, der seine Fußball-Begeisterung quasi auf ein neues Level gehoben hat als Vorsitzender der „Abehäuser Jungs“, einem der frisch gegründeten Fanclubs der deutschen Nationalmannschaft .
„Wir bereiten uns auf die EM genauso gewissenhaft wie die Spieler vor. Bei uns wurden schon neue Lieder getextet und wir haben eine große Fahne besorgt, die künftig bei den Spielen der Nationalmannschaft zu sehen sein wird. Was die Stimmung angeht, war das Länderspiel unlängst in Nürnberg ein guter und wichtiger Schritt. Aber da geht noch mehr.“