"Was vom Leben übrigbleibt, kann alles weg!" - ein banaler Satz, der schwer umzusetzen ist, wenn an den toten Dingen noch viele lebendige Erinnerungen hängen. Authentisch und mit beeindruckender Intensität präsentierte Gilla Cremer in ihrem Stück "Die Dinge meiner Eltern " den inneren Zwiespalt zwischen Loslassen und Behalten.
Dreißig aufeinander gestapelte Umzugskartons stehen auf der ansonsten leeren Bühne im Bad Kissinger Kurtheater - anfangs nur als Projektionsfläche, später als Symbol für die Erinnerungen an ein Zuhause, an die Eltern , an das eigene Leben. Und Agnes steht am Anfang vor dieser bedrohlichen Wand und später mittendrin zwischen diesen Kisten der Erinnerungen , die wie ein Puzzlestücke auf der Bühne verteilt sind.
Agnes - das ist Gilla Cremer, die das Stück "Die Dinge meiner Eltern " schrieb und in den kommenden 90 Minuten ein tiefenpsychologisches Panorama vor den knapp 200 Besuchern entwirft. Dieser Seelen-Striptease beschreibt in wohlbekannten Bildern und Metaphern die emotionalen Verbindungen, die sich in den Familien, zu den Eltern , zu den Geschwistern entwickeln und die mit "toten Dingen" ebenso verbunden sind wie mit Gerüchen und Geräuschen.
Für die Besucher sind es vertraute Bilder, die Gilla Cremer alias Agnes mit ihrer Inszenierung entwirft: Ein Haus, in dem Agnes mit ihren drei Geschwistern aufgewachsen ist, in dem Mutter und Vater bis zu ihrem Tod gelebt und alles gesammelt haben, was zu einem Hausstand vermeintlich gehört. Mit dem Tod des Vaters geht es nun an die Nachlassverwaltung, an die Haushaltsauflösung, denn keine der kinderlosen Töchter möchte ein Haus übernehmen, das für eine Familie gebaut wurde. Agnes ist von ihren Schwestern Bärbel, Milli und Hühnchen für diese Aufgabe ausgeguckt worden und soll nun innerhalb von sieben Tagen entscheiden, was weggeworfen, verschenkt, verkauft oder behalten wird. Eine Bestandsaufnahme und die Farben Rot, Gelb, Grün und Blau sollen dabei helfen.
Detailliert listet sie innerhalb von zehn Minuten auf, was der wachsende Wohlstand im Keller, auf dem Speicher, in Küchenschränken und Bücherregalen übriglässt. Es ist der Restmüll des Lebens, der sich sinnbildlich in den Kisten und Kartons angesammelt hat und dessen emotionale Bedeutung Agnes vom wohlüberlegten Handeln abbringt - und für die Besucher ist es ein amüsantes Déjà-vu-Erlebnis, wenn sie acht Tupperware-Behälter mit Deckel , fünf mal ohne Deckel und neun mal nur den Deckel auflistet.
Mit solchen Wiedererkennungseffekten ist das Theaterstück ebenso gespickt wie mit metaphorischen Übergängen, wenn sie zum Beispiel Vergleiche zwischen dem Faustkeil, dem Schweizer Taschenmesser und dem Smartphone zieht. Aphorismen pflastern Agnes Weg durch die eigene Geschichte und haben ihren Höhepunkt in der Mutation von Hamlets bekannten Zitat in "Sein oder Haben" mit der anschließenden Feststellung: "Was man nicht hat, braucht man auch nicht wegzuschmeißen." Darin spiegelt sich die Sinnhaftigkeit der Dinge ebenso wieder wie der Drang der Wohlstandsgesellschaft nach Materiellem, egal ob diese nötig sind oder nicht.
In den 90 Minuten ununterbrochenen Agierens auf der Bühne findet Agnes in den Kartons nicht nur die Fragmente ihres Lebens, sondern auch Ängste, Hoffnungen und Stimmungen. Intensiv wird der Abschied, die Trauer beleuchtet und die daraus entstehende Befürchtung: Was bleibt von der Familie Heimfeldt, wenn alles an Frau Wagner von der Sozialstation oder vom Rümpel-Trupp abgeholt wurde?
Es braucht etwas Zeit, bevor das Ende des Stückes in die Köpfe der Gäste eindringt. Aber dann brandet Beifall auf - zum ersten Mal in den 90 Minuten und nicht nur "herzlich", wie er von Gilla Cremer in ihren Dankesworten bewertet wird, sondern auch noch ehrlich und anerkennend für die tolle schauspielerische Leistung.