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Bad Kissingen
„Guten Tag, ich bin Oliver 4.0“
Mit der Komödie „Fehler im System“, bei der künstliche Intelligenz eine tragende Rolle spielt, trifft Folke Braband den Nerv der Zeit. Und Jürgen Tarrach konnte sich gestisch und mimisch austoben.
Jürgen Tarrach (von links), Tommaso Cacciapuoti und Jantje Bilkef bei der Aufführung von „Fehler im System“.       -  Jürgen Tarrach (von links), Tommaso Cacciapuoti und Jantje Billker bei der Aufführung von „Fehler im System“.
Foto: Thomas Ahnert | Jürgen Tarrach (von links), Tommaso Cacciapuoti und Jantje Billker bei der Aufführung von „Fehler im System“.
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 04.03.2025 02:40 Uhr

Das war zugegebenermaßen eine echte Überraschung beim Theaterring: eine Vollblutkomödie über ein Thema, von dem man nicht weiß, ob man überhaupt darüber herzlich lachen darf, weil es so viele Ungewissheiten enthält: die KI, die Künstliche Intelligenz. Denn da kann heute niemand sagen, was am Ende der Entwicklungen herauskommen wird.

Ein Viertel aller Arbeiten wird heute bei uns schon von Computern erledigt. Und es könnte schon mehr sein, wenn mehr Geld für Investitionen da wäre. Eine größere Bäckerei etwa bräuchte keinen einzigen Mitarbeiter. Und wenn das autonome Fahren wirklich funktioniert, braucht sie auch keine Ausfahrer. Aber das muss man erst mal mit Brötchen und Nussschnecken erwirtschaften.

Die Komödie „Fehler im System“  im Kurtheater von Bad Kissingen       -  Die Komödie „Fehler im System“  im Kurtheater von Bad Kissingen
Foto: Thomas Ahnert | Die Komödie „Fehler im System“ im Kurtheater von Bad Kissingen

Wenn wir konsequent denken, haben wir Menschen uns mit der KI auf den Weg gemacht, uns selbst überflüssig zu machen und letztlich selbst abzuschaffen. Auch wenn’s der Natur nur recht sein kann, denn sie braucht uns wirklich nicht: Das wäre doch höchst schade um uns! Und darüber soll man lachen?

Klar, so weit sind wir noch nicht. Und über Kinder, die gerade das Laufen lernen, darf man ja, wenn es die Eltern nicht merken, auch lachen. Und an diesem Punkt setzt auch Folke Brabands Komödie „Fehler im System“ ein.

Haushaltsroboter soll Partner ersetzen

Da ist die selbstbewusste, dem Leben zugewandte Emma, die nach einem handfesten Krach gerade ihrem langjährigen Partner Oliver den Laufpass gegeben hat, weil er immer weniger ihren Vorstellungen entsprach.

Da klingelt es an der Tür, und wer steht draußen? Oliver! Sie lässt ihn erstaunlicherweise herein, denn irgendetwas an ihm irritiert sie. Und es stellt sich – auch für die Zuschauer – schnell heraus, dass er nicht das Original, sondern ein Humanoide ist, ein Haushaltsroboter , den die Agentur „Partnercook.com“ für sie aus gesammelten Daten von Oliver passend entwickelt hat – Emma hatte vor zwei Jahren einmal ihr Interesse signalisiert.

Und der sondert bei jeder Gelegenheit seine einprogrammierten Floskeln ab: „Hallo! Guten Tag, ich bin Oliver 4.0“ Und dann rattert der Haushaltsroboter die ganze Litanei der Dienstleistungen herunter, die seine Agentur durch ihn anbietet: Vom An-die-Tür-Gehen, wenn es klingelt, über Kochen bis zum Müllraustragen – was sein Vorgänger offenbar alles nicht konnte.

Die Komödie „Fehler im System“  im Kurtheater von Bad Kissingen       -  Die Komödie „Fehler im System“  im Kurtheater von Bad Kissingen
Foto: Thomas Ahnert | Die Komödie „Fehler im System“ im Kurtheater von Bad Kissingen

Dem Menschen immer ähnlicher

Oft kommt der Satz: „Das habe ich nicht verstanden.“ Aber Oliver 4.0 lernt schnell. Gerade dieser Satz wird immer seltener, und Oliver 4.0 wird bei aller Perfektion immer lockerer, erweitert seinen Wortschatz, nähert sich dem Menschsein immer mehr an.

Natürlich kulminiert das Ganze in der Frage, wie es der Roboter überhaupt mit Emotionen hält, ob er dazu fähig ist oder anders gesagt: Wie hält er es mit der Liebe? Natürlich ist auch diese Frage beantwortet, als Emma und Oliver 4.0 eine Nacht zusammen verbracht haben und er ohne Widerrede von Emma seine Verliebtheit verkündet. Spätestens da hat er den humanoiden Oliver überholt – der seine Niederlage am Bildtelefon staunend und giftig einräumt.

Eigentlich könnte jetzt Schluss sein, denn die oberste Region der Humanitas ist erreicht – abgesehen davon, dass der Haushaltsroboter gewisse Anfälligkeiten systembedingt behält: Er muss immer mal neu gebootet werden, bekommt Updates auf seine Festplatte aufgespielt. Aber vor allem ist das lange Ladekabel hinderlich, denn nachts benutzen es die Roboter zum Aufladen.

Schleichender Datenverlust

Hier könnte die Geschichte eigentlich zu Ende sein, aber das kann sie nicht. Da auch ein Folke Braband nicht weiß, wie es mit der KI weitergeht, registriert Oliver 4.0 einen schleichenden Datenverlust bei sich. Der weist auf ein Ende der Geschichte hin. Aber nicht auf ein Happy End, das eine Komödie immer braucht.

Und so hat der Autor eine zweite, eine – ebenfalls nicht ganz unaktuelle – Parallelgeschichte eingebaut: Emmas Vater Leo befindet sich gerade mitten in einer Geschlechtsumwandlung mit allen psychischen Problemen: auf den ersten Blick durchaus noch Mann, aber durchaus auch erkennbaren weiblichen Formen und Attitüden. Der wird, als er Emma besucht, von dem plötzlich auftauchenden Roboterjäger Chris, der eigentlich hinter Oliver 4.0 her ist, für diesen gehalten und mitgenommen.

Leo kann dem Tod gerade noch vom OP-Tisch springen, denn eigentlich soll er geöffnet und neu verkabelt werden. So kann er seine Wandlung fortsetzen und endgültig zu Lea werden. Und Chris wird sein größter Fan: „ Heißer Käfer“.

Folke Brabant hat seine Komödie 2017 an Dieter Hallervordens Schlosspark-Theater Berlin herausgebracht und zwei Jahre später mit derselben Truppe für das Tourneetheater Thespiskarren erarbeitet. Es ist eine Inszenierung entstanden, die nicht aufs Tempo drücken muss, weil sie auf die Kraft der Dialoge und auf komödien-unübliche Situationen aus der Welt der Computer setzen kann, die man als Zuschauer natürlich auch erst einmal aufnehmen und einordnen muss. Er lässt ihm dazu die nötige Zeit. Und er hat Zeit für eine ausgefeilte Personenregie.

Das kommt natürlich auch der vierköpfigen Truppe zugute, die ihre Rollen sehr bewusst gestalten kann. Und es scheint allen immer noch großen Spaß zu machen – was sich natürlich auf das Publikum überträgt.

Programmierte Phrasen

Tommaso Cacciapuoti ist ein köstlicher Oliver/Oliver 4.0, der seine eckigen Roboterbewegungen allmählich verliert zugunsten einer größeren Geschmeidigkeit, der zunächst überhaupt nicht merkt, wie genervt seine Umgebung auf die einprogrammierten Phrasen reagiert. Aber er wird immer charmanter, ohne dabei Emotionen zu verraten – bis zu der alles verändernden Liebesnacht. 

Jantje Billker ist treffsicher hin- und hergerissen zwischen ihrem neuen Haushaltsroboter und ihrem nervlich belastenden Vater. Mit dem hat sie keine größeren Probleme, aber mit Oliver 4.0. Denn sie gerät immer wieder ins Stocken, wenn sie emotionale Begriffe sagen will wie „Liebe“ oder „Freundschaft“: Damit kann ein Roboter doch wohl nichts anfangen. 

Von der Doppelrolle Leo/Lea muss Jürgen Tarrach geträumt haben. Da kann er sich gestisch  und mimisch austoben.

Ernsthaftigkeit des Themas

Guido Hammesfahr als Roboterjäger Chris ist die Welt um ihn herum ziemlich gleichgültig und vermutlich auch zu kompliziert. Er ist getrieben von seinem Peilsender, mit dem er auf der Jagd ist. Aber als Leo plötzlich zum heißen Käfer Lea geworden ist, bemerkt auch er, dass es noch etwas anderes als Computerfrequenzen gibt, nämlich Seelenschwingungen, wenn  bei ihm auch ziemlich plumpe.

Natürlich wurde in der Aufführung viel gelacht, gab es viel Szenenapplaus und langen Beifall. Aber hinterher hörte man auch viele Stimmen, die die Ernsthaftigkeit des Themas im Hintergrund durchaus erkannt hatten. Die Diskussionen können beginnen. Und künftig werden wir sehr vorsichtig sein, wenn es an der Haustüre klingelt.

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Foto: Thomas Ahnert | Die Komödie „Fehler im System“ im Kurtheater von Bad Kissingen
 
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