Bad Brückenau
Theater in Brückenau: Liebeserklärung an das Leben
Die Gruppe "Kompass" des Bad Brückenauer Franz-Miltenberger-Gymnasiums brillierte in fast schon gewohnter Manier bei der Selbstmörder- Inszenierung.
Wie jedes Jahr ist es Dirk Hönerlage, dem Spiritus Rector der Oberstufentheatergruppe "Kompass" gelungen, beim Stück "Der Selbstmörder" aufs Neue in allen Belangen was Neues zu bieten. Ungewöhnlich war auch, dass trotz vorhandener Bühne im Ausweichort Pfarrheim genau vis a vis davon eine improvisiert wirkende Bühne ohne nennenswerte, dafür eintönig graue Kulissen stand. Der Zuschauer wurde also beim Eintreten direkt hinter die Kulissen gelotst.
Wer den "Intendanten" und seine Truppe kennt, dem muss spätestens jetzt klar sein, dass nur oberflächig betrachtet ein Kleinbürgerschwank mit dem dramatisch wirkenden Titel "Der Selbstmörder" zur Aufführung gelangt, sondern ein zeitkritisches, zeitloses Theaterstück mit zahlreichen Ebenen, versteckten Anspielungen und halboffenen Hintertürchen und einem scheinbar offenen Ende.
Wie immer lässt es sich Hönerlage nicht nehmen, das Stück neu zu interpretieren. Dies zum einen, um allen Mitgliedern der Theatergruppe möglichst geschickt einen Auftritt zu verschaffen, zum anderen aber auch, um das Stück noch zeitnaher, aktueller zu gestalten, den Wortwitz und die Dialoge noch schärfer zu zeichnen. Das eigentlich politisch-gesellschaftskritisch angelegte Stück des in der Stalinzeit lebenden Russen Nikolai Erdman, wurde von Hönerlage geschickt in die Jetztzeit transferiert. Im Schatten vom politischen Hickhack der Flüchtlingskrise, von Paris 2015, von IS, Fifa-Skandal und vielen anderen Weltproblemen zeigt das Stück fast schon grotesk überzeichnet die sozialpsychologischen Mechanismen unserer moralisch korrumpierten Gesellschaft in Gestalt eines arbeitslosen kleinbürgerlichen Antihelden namens Herbert. In der gegenüber der Stalinzeit ideologisch fundamental total gewandelten Welt - vom Hurra-Kommunismus zum Turbo-Kapitalismus - ist die Entscheidung schwierig, welches Lachen man bei Erdmans doppelbödiger Komödie lachen soll, und es ist nicht zu leugnen.
Der Selbstmörder stellt erhebliche Anforderungen an Regisseur und Publikum: Ein Gespür für die Doppelbödigkeit, den Klamauk, die Clownerie, die Dialog- und Situationskomik, die traditionellen Schein-Sein-Verwirrungen aber auch für Trauer und Resignation.
Mancher anfangs heftig mitlachende Zuschauer wurde im Verlauf der Handlung immer nachdenklicher. Dies deutete sich schon in Hönerlages Einführung an: Die Allegorie von Frau Welt, die zum Beispiel am Wormser Dom von vorne als sinnliches Prachtweib dargestellt ist, von hinten aber von Kröten und Schlangen, dem Unrat der Welt übersät ist. Hönerlage führt sie als Mahnung über Verführbarkeit und Vergänglichkeit an. Das Rückwärts-Sitzen im Saal quasi als Sicht hinter den Spiegel des Scheins auf das wahre Sein. Der durch die Umstände der Zeit, durch seine Umgebung und auch durch sich selbst künstlich verkleinerte Herbert zeigt im Verlauf des Stücks, dass er ein eigenständig entscheidendes Individuum, ein lebenswilliger Mensch ist, ein Hoffnungsschimmer vor dem Spiegel einer Welt, der die Werte verloren gehen. Entsprechend dieser Hoffnung wird die Bühne zunehmend bunter.
Ein großes Lob an alle 17 Akteure, denen es bis in die kleinsten Nebenrollen hinein gelang, nuanciert die Balance zu halten zwischen kurzweiliger Posse und sozialkritischem Programmtheater. Trotz zahlreicher Situationskomik, commedyhafter Dialoge und zahlreicher verdeckter Gimmicks wird geschickt der Kern des Stücks herausgearbeitet, der Frage nach dem Sinn des Lebens. Herberts Leben ist grau und trist, seine Träume, durch eine skurrile überdimensionale Tuba angedeutet, sind nichts als warme Luft aus eben dieser Tuba. Den Lebenssinn diskutiert er ausgerechnet mit einem Taubstummen, Sinnbild für seine Selbstreflexion. Treffend ist im Programmheft die Überschrift "Eine Liebeserklärung an das Leben" als knappste Zusammenfassung des Stücks zu lesen.
Eine weitere, im Angesicht von IS-Terror, Pegidawahn und innenpolitischen Erosionen aktuelle Ebene das Problem des forcierten, von der Gesellschaft förmlich erzwungenen Heldentodes. Herberts scheinbaren Selbstmord wollen Gruppen für ihre eigenen Interessen vereinnahmen, der Akteur steht plötzlich im Mittelpunkt statt nur am Rand. Sein Leben ist dadurch scheinbar wieder bunt. Dieser Heldentod für ein höheres, lohnendes Ziel, in unserer Geschichte ein immer wiederkehrendes Phänomen, wird von Herbert erfolgreich konterkariert. Er bemerkt rechtzeitig das Spiel, dass er sein Leben für andere geben soll, statt es sich für sich zu nehmen. Unter den Klängen von Sinatras "My Way" geht er seinen selbstbestimmten Weg zurück ins Leben, als menschelnder, gar nicht mehr kleiner Antiheld.
Kevin Opitz gelingt es, dieses "Würstchen" sehr realistisch verzweifelt darzustellen. Sein Kampf mit dem Revolver und dem geplanten Exitus dagegen war Jerry Lewis würdig. Auch Charlotte Kunkel als Herberts naive, aber auch nervige Ehefrau überzeugte mit nuanciertem Spiel. Auf die Rolle der Seniorin abonniert, Anna Julius als Schwiegermutter, so altklug und lebenserfahren wirkte die junge Akteurin. Der geldknappe, dennoch geldgierige und geschäftstüchtige Nachbar, der als Retter in der Not erscheint, wird überzeugend von Nick Schumm dargestellt. Eine ungeplante Hommage auf eine ähnlich gelagerte Satire eines Underdogs die Rolle des Intellektuellen von Jonathan Jehn. Auch Manuel Helfrich, Dominik Gebauer, Aaron Kinalele und Valentin Leitner, als weitere Vertreter des den Selbstmord ausnutzen wollenden Lobbyismus, waren treffend besetzt.
Nicht nur als Schauspieler überzeugten Isabel Dill und Marcel Vogler, die mit ihren Rollen die musikalischen Parts des Stücks und die Pausengestaltung einfühlsam interpretierten. Auch musikalisch waren im Stück versteckte rote Fäden von Dirk Hönerlage eingewebt worden. Diese kleinen "Winke mit dem Zaunpfahl", roten Fäden, verdeckten Bezüge zu tagesaktuellen Problemen sind eine Spezialität der Gruppe "Kompass" und deshalb in Theaterkreisen selbst überregional viel gelobt. Nicht unerwähnt bleiben darf neben dem kompetenten Technikteam Agnes Kleinhenz. Nahezu 20 Jahre begleitet sie die Truppe von Kompass schmink- und frisurtechnisch mit Rat und Tat.
Zeitkritisch und zeitlos
Wer den "Intendanten" und seine Truppe kennt, dem muss spätestens jetzt klar sein, dass nur oberflächig betrachtet ein Kleinbürgerschwank mit dem dramatisch wirkenden Titel "Der Selbstmörder" zur Aufführung gelangt, sondern ein zeitkritisches, zeitloses Theaterstück mit zahlreichen Ebenen, versteckten Anspielungen und halboffenen Hintertürchen und einem scheinbar offenen Ende.Wie immer lässt es sich Hönerlage nicht nehmen, das Stück neu zu interpretieren. Dies zum einen, um allen Mitgliedern der Theatergruppe möglichst geschickt einen Auftritt zu verschaffen, zum anderen aber auch, um das Stück noch zeitnaher, aktueller zu gestalten, den Wortwitz und die Dialoge noch schärfer zu zeichnen. Das eigentlich politisch-gesellschaftskritisch angelegte Stück des in der Stalinzeit lebenden Russen Nikolai Erdman, wurde von Hönerlage geschickt in die Jetztzeit transferiert. Im Schatten vom politischen Hickhack der Flüchtlingskrise, von Paris 2015, von IS, Fifa-Skandal und vielen anderen Weltproblemen zeigt das Stück fast schon grotesk überzeichnet die sozialpsychologischen Mechanismen unserer moralisch korrumpierten Gesellschaft in Gestalt eines arbeitslosen kleinbürgerlichen Antihelden namens Herbert. In der gegenüber der Stalinzeit ideologisch fundamental total gewandelten Welt - vom Hurra-Kommunismus zum Turbo-Kapitalismus - ist die Entscheidung schwierig, welches Lachen man bei Erdmans doppelbödiger Komödie lachen soll, und es ist nicht zu leugnen.
Der Selbstmörder stellt erhebliche Anforderungen an Regisseur und Publikum: Ein Gespür für die Doppelbödigkeit, den Klamauk, die Clownerie, die Dialog- und Situationskomik, die traditionellen Schein-Sein-Verwirrungen aber auch für Trauer und Resignation.
Das Lachen wird hinterfragt
Mancher anfangs heftig mitlachende Zuschauer wurde im Verlauf der Handlung immer nachdenklicher. Dies deutete sich schon in Hönerlages Einführung an: Die Allegorie von Frau Welt, die zum Beispiel am Wormser Dom von vorne als sinnliches Prachtweib dargestellt ist, von hinten aber von Kröten und Schlangen, dem Unrat der Welt übersät ist. Hönerlage führt sie als Mahnung über Verführbarkeit und Vergänglichkeit an. Das Rückwärts-Sitzen im Saal quasi als Sicht hinter den Spiegel des Scheins auf das wahre Sein. Der durch die Umstände der Zeit, durch seine Umgebung und auch durch sich selbst künstlich verkleinerte Herbert zeigt im Verlauf des Stücks, dass er ein eigenständig entscheidendes Individuum, ein lebenswilliger Mensch ist, ein Hoffnungsschimmer vor dem Spiegel einer Welt, der die Werte verloren gehen. Entsprechend dieser Hoffnung wird die Bühne zunehmend bunter.
Nuanciert die Balance gehalten
Ein großes Lob an alle 17 Akteure, denen es bis in die kleinsten Nebenrollen hinein gelang, nuanciert die Balance zu halten zwischen kurzweiliger Posse und sozialkritischem Programmtheater. Trotz zahlreicher Situationskomik, commedyhafter Dialoge und zahlreicher verdeckter Gimmicks wird geschickt der Kern des Stücks herausgearbeitet, der Frage nach dem Sinn des Lebens. Herberts Leben ist grau und trist, seine Träume, durch eine skurrile überdimensionale Tuba angedeutet, sind nichts als warme Luft aus eben dieser Tuba. Den Lebenssinn diskutiert er ausgerechnet mit einem Taubstummen, Sinnbild für seine Selbstreflexion. Treffend ist im Programmheft die Überschrift "Eine Liebeserklärung an das Leben" als knappste Zusammenfassung des Stücks zu lesen. Eine weitere, im Angesicht von IS-Terror, Pegidawahn und innenpolitischen Erosionen aktuelle Ebene das Problem des forcierten, von der Gesellschaft förmlich erzwungenen Heldentodes. Herberts scheinbaren Selbstmord wollen Gruppen für ihre eigenen Interessen vereinnahmen, der Akteur steht plötzlich im Mittelpunkt statt nur am Rand. Sein Leben ist dadurch scheinbar wieder bunt. Dieser Heldentod für ein höheres, lohnendes Ziel, in unserer Geschichte ein immer wiederkehrendes Phänomen, wird von Herbert erfolgreich konterkariert. Er bemerkt rechtzeitig das Spiel, dass er sein Leben für andere geben soll, statt es sich für sich zu nehmen. Unter den Klängen von Sinatras "My Way" geht er seinen selbstbestimmten Weg zurück ins Leben, als menschelnder, gar nicht mehr kleiner Antiheld.
Sehr realistisch dargestellt
Kevin Opitz gelingt es, dieses "Würstchen" sehr realistisch verzweifelt darzustellen. Sein Kampf mit dem Revolver und dem geplanten Exitus dagegen war Jerry Lewis würdig. Auch Charlotte Kunkel als Herberts naive, aber auch nervige Ehefrau überzeugte mit nuanciertem Spiel. Auf die Rolle der Seniorin abonniert, Anna Julius als Schwiegermutter, so altklug und lebenserfahren wirkte die junge Akteurin. Der geldknappe, dennoch geldgierige und geschäftstüchtige Nachbar, der als Retter in der Not erscheint, wird überzeugend von Nick Schumm dargestellt. Eine ungeplante Hommage auf eine ähnlich gelagerte Satire eines Underdogs die Rolle des Intellektuellen von Jonathan Jehn. Auch Manuel Helfrich, Dominik Gebauer, Aaron Kinalele und Valentin Leitner, als weitere Vertreter des den Selbstmord ausnutzen wollenden Lobbyismus, waren treffend besetzt.
Überzeugend
Nicht nur als Schauspieler überzeugten Isabel Dill und Marcel Vogler, die mit ihren Rollen die musikalischen Parts des Stücks und die Pausengestaltung einfühlsam interpretierten. Auch musikalisch waren im Stück versteckte rote Fäden von Dirk Hönerlage eingewebt worden. Diese kleinen "Winke mit dem Zaunpfahl", roten Fäden, verdeckten Bezüge zu tagesaktuellen Problemen sind eine Spezialität der Gruppe "Kompass" und deshalb in Theaterkreisen selbst überregional viel gelobt. Nicht unerwähnt bleiben darf neben dem kompetenten Technikteam Agnes Kleinhenz. Nahezu 20 Jahre begleitet sie die Truppe von Kompass schmink- und frisurtechnisch mit Rat und Tat. Themen & Autoren / Autorinnen