Sie ist in ihrer Sparte die beste Sportlerin Bayerns und Vize-Meisterin Deutschlands, daneben auch Olympionikin . Sie lebt äußerst zurückgezogen in Schondra, die Grundlage ihres Erfolgs ist eine ausgeklügelte Diät aus Entschlackungskost, Eiweiß und Fett. Die Geheimzutat: eine große Portion Zuneigung. Ihre Sportart: Fliegen. Die Sportlerin: eine Brieftaube aus der Schlaggemeinschaft Heinz Schuhmann und Norbert Helfrich. Ihr Name: Nummer 652. Ihr Wert: geschätzte 50.000 Euro . Doch ein Verkauf kommt für die beiden Männer nicht infrage.
Taubenzucht: Ein Hobby voller Vorurteile
Die Zucht und das Rennen von Brieftauben ist für viele Menschen ähnlich attraktiv, wie Lack beim Trocknen zuzusehen. Das Vorurteil: Am Wochenende warten diese Menschen – es sind auch Frauen darunter – stundenlang, bis ihre Tauben wieder nach Hause kommen. Unter der Woche werden die Viecher nur gefüttert, sie haben keinen Mehrwert, schließlich bringen sie einem weder die Zeitung im Maul zum Frühstückstisch, noch kann man mit ihnen vor dem Fernseher kuscheln.
Taubenzucht ist ein aussterbendes Hobby
So weit, so klischeehaft. Denn: Taubenzucht ist so viel mehr. Und sie wird gleichzeitig immer weniger, denn Heinz Schuhmann und Norbert Helfrich gehören zur letzten ihrer Art. In den 1960er Jahren hatte der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter rund 100.000 Mitglieder, nach der Wende waren es sogar um die 170.000. Seitdem geht es bergab und das sehr steil. Heute gibt es nur noch 21.000 Mitglieder in ganz Deutschland, die ihr Leben dem Federvieh verschrieben haben. In der „Reisevereinigung Bad Kissingen“, zu der der Schlag gehört, gibt es noch 65 Züchter.
Heinz Schuhmann: „Ich wage mal eine Prognose: Ich gehe davon aus, dass wir 2030 nur noch rund 7000 Züchter in Deutschland haben werden.“ Und er versteht die Entwicklung. „Es gibt kein familienunfreundlicheres Hobby als unseres.“
Zucht und Wettbewerbe fressen Zeit
Norbert Helfrich, der Ex-Lehrer aus Wildflecken, der zumindest nachmittags für sein Hobby Zeit hatte, nickt. Heinz Schuhmann war Bauleiter bei Hanse-Bau, danach in leitender Position bei der Sparkasse, zusätzlich engagierter Feuerwehrmann – bei ihm blieb noch weniger Zeit für die Familie. „Gott sei Dank trägt meine Frau es mit.“ Die nickt und hat die einzig erfolgversprechende Einstellung dazu gefunden: „So habe ich mehr Zeit für mich.“ Und er fügt an: „Dafür weiß sie, dass ich abends nicht in der Kneipe sitze“, beide müssen grinsen.
Schuhmann hat nicht nur die Schlaggemeinschaft mit Helfrich – Schuhmann ist für die Jungvögel und Wettbewerbsvögel zuständig, Helfrich für die Zucht -, er ist auch Vorsitzender der Reisevereinigung Bad Kissingen und Regionalvorstand im unterfränkischen Verband. „Wir machen schon viel für die Jugend und da wächst auch was nach – aber leider nicht genug.“ Ein Blick in die Fachzeitschrift „Brieftaube“ (21.000 Auflage) zeigt: Es wird dort unter der Rubrik „Geburtstage“ mehr Mitgliedern in den 90ern zum Geburtstag gratuliert als denen, die ihren 60. Geburtstag feiern.
Die Taubenzucht "ist eine Sucht"
Seit Anfang der 1970er Jahren sind die beiden den Tauben regelrecht verfallen. „Es ist eine Sucht“, bekennt Heinz Schuhmann. Damals sah man in jedem Ort in der Rhön einen Taubenschlag. Auch gegenüber von Schuhmanns Anwesen steht ein solcher: ein windschiefes Häuschen mit den klassischen kleinen Einfallsfenstern. „Damit habe ich angefangen“, sagt er.
Die Tauben aus Schondra leben im Luxus
Was er in Eigenregie auf das Dach seiner Garage gegenüber des alten Schlags gebaut hat, ist so etwas wie die Premiumbaulage im Luxussegment: Seine Tauben trägt er zum Rennen nicht mehr die Stiegen herunter – er hat einen Aufzug für die Transportkisten gebaut. In den Käfigen blicken die Tiere auf einen Steingarten, der auch in Garten-Lifestyle-Zeitungen abgebildet sein könnte.
Auf dem Dach heizen Sonnenkollektoren das Wasser an – selbstverständlich nicht als Platten, sondern als Röhren, „damit in den Lücken zwischen den Röhren unterm Dach noch natürliches Licht auf die Tauben fällt“.
Dass er ein elektronisches Kot-Abtransportband eingebaut hat, wundert schon gar nicht mehr. Vielmehr ist der Besucher froh, Schuhmann noch bei der Handarbeit beobachten zu können: Wenn er auf allen Vieren mit einer breiten Spachtel jeden Tag den Rest der Kotflecken entsorgt, die während des Flugs unvermeidbar dann doch auf den Boden gefallen sind.
Erbsen, Soja, Hanf und Mais
Das Geheimnis der Erfolgstauben: „Unser Futter“, da schwört Norbert Helfrich drauf. Wenn am Wochenende die Tauben zu ihrem Abflugort mit einem Speziallaster gefahren werden, haben sie eine strenge Diätwoche hinter sich. Anfang der Woche wird durch spezielles Futter der Taubenkörper entschlackt. In der zweiten Woche erhalten die Tiere viel Eiweiß, zum Beispiel Erbsen und getoastete Sojabohnen.
Fürs anstrengende Wochenende – die Tiere fliegen bis zu 600 Kilometer – gibt es viel Fett wie Sonnenblumenkerne, Hanf oder exotischen schwarzen Mais. So hat es auch Nummer 627 jüngst zum besten bayerischen Täuberich geschafft.
Heinz Schuhmann sagt allen am Abend "Gute Nacht"
Doch das beste Futter bringt nichts, wenn eine Zutat fehlt: Liebe. Schuhmann: „Wer in den Tauben ein Sportgerät sieht, wird keine Preise einfliegen.“ Zwar haben die Lieblinge der beiden - um die 250 Jungtiere und Reisetauben – keine Namen, sondern Nummern. Aber abends bringt Schuhmann jede einzelne ins „Bett“, in ihre eigene, kleine Koje im Schlag und sagt „Gute Nacht“ zu allen.
Und hier liegt auch der Grund, warum weder Schuhmann noch Helfrich in die Versuchung kommen, die Rekordtaube Nummer 652 zu verkaufen. „Wissen Sie, das erste Angebot für die Taube lag bei 20.000 Euro – das erste! Ich bin mir sicher, wenn es gut laufen würde, könnten wir 50.000 Euro dafür bekommen.“
Sehr viel Geld für zwei Züchter aus der Rhön. Global gesehen aber eher Peanuts: Vor allem reiche Chinesen geben gern mal eine Million für ein Federvieh aus. Und käme Nummer 652 aus dem Tauben-Mutterland Belgien, dann könne man per se schon mal eine Null an die 50.000 hängen.
Vor dem Rennen sind die Züchter nervös
Aber das große Geld würde verpflichten, sagen beide. Und würden das Hobby zum „Muss“ erklären. Schuhmann: „Gewinnen ist nicht wichtig, auch wenn wir uns kürzlich auch über drei sehr gute Platzierungen bei der Deutschen Meisterschaft freuen konnten. Ich muss doch zwischendrin auch mal Luft holen können.“ Er beschreibt, wie es ihm kurz vor einem wichtigen Rennen geht: „Da wache ich nachts auf, weil ich nervös bin.“
Wer erfolgsverwöhnt sei, der entwickle sich „irgendwann zum FC Bayern München “, sagt Schuhmann. „Ich aber brauche mehr: Es ist für mich so wichtig, dass ich mich darüber freuen kann, dass sie überhaupt wieder zu uns nach Hause, in ihren Schlag, kommen. Und ich möchte auch die Tauben Tauben sein lassen können – wenn sie nur jede zweite Woche einen guten Flug macht, dann muss das doch auch okay sein. So eine Auszeichnung ist doch auch nur ein Stück Blech.“
Wanderfalke ist der Tauben Tod
Der größte Feind ihrer Tauben ist der Wanderfalke. „Seit für diese Vögel Nistplätze gebaut werden, sterben immer mehr unserer Tiere.“ Die Riedenberger Autobahnbrücke ist Luftlinie sechs Kilometer von Schondra entfernt. „Auf einem der alten Pfeiler haben wir rund 200 Ringe von Brieftauben gefunden“, die beringten Taubenfüße als Speisereste hatte der Wanderfalke verschmäht. „Jede tote Taube tut uns im Herzen weh.“
Viele Pokale, Urkunden und Auszeichnungen hängen in der Wohnung der Schuhmanns, trotz allem Understatement zeigen beide Züchter ihre Freude über Erfolge gern. „Aber beweisen muss ich mir nichts mehr“, wenn er sich zurückerinnert, dann ist die Freude darüber so groß, dass sich seine Härchen auf dem Unterarm stellen.
Die Super-Taube kommt in die Zucht
Und was passiert jetzt mit der Nummer 652? „Die kommt in die Zucht“, sagt Norbert Helfrich. Und auch da sind sich beide einig und bleiben bodenständig: „Es ist ja gar nicht gesagt, dass ihre Nachkommen die besten Flieger werden. Vielleicht geht es uns ja so wie mit dem berühmten Dressurpferd Totilas.“ Nicht umsonst wird die Brieftaube auch als das „Rennpferd des kleinen Mannes“ bezeichnet.
Totilas heimste um 2020 herum einen Rekord nach dem anderen ein – seine Nachfahren sollen aber allesamt Nieten gewesen sein. „Und wenn das mit den Jungtauben von 652 passieren sollte – dann ist das eben so.“ Das ist das Leben, sagen beide. Und die Taubenzucht soll eben ein Hobby bleiben. Denn da sind Rückschläge eingepreist – oder lassen eben den Hobbyzüchtern Heinz Schuhmann und Norbert Helfrich die Luft, die sie dafür brauchen.