
Sommersonne, inspirierendes Ambiente und hochgestimmte Gäste, die auf vielversprechende Künstler treffen. Das Solo-Recital in Maria Bildhausen wurde wie ein Aufbruch in lange vermisste Kulturerlebnisse empfunden. Martín García García rückt sich gerade seinen Stuhl zurecht, da ruft die Glocke des Klosters zum Gebet . Nahe, laut, eindringlich. Kleines Zögern, aber wer sich beim Klavierolymp bewährt hat, weiß, was er spielt und Franz Liszts "Études d'Exécution Transcendantes beginnen mit Tastengewitter und donnerndem Nachhall, da türmen sich wahre Wolkenberge aus Tönen übereinander. Was sind da schon Glockenklänge vom Kirchlein. Wer den Spanier im vorigen Jahr beim Klavierolymp erlebte, konnte schon ahnen, dass er sich wieder an ein klangmächtiges Werk wagen würde. Die Etüden setzen allerhöchste Virtuosität voraus, Liszts Zeitgenossen hielten sie für unspielbar, der Meister selbst spielte nur zwei der insgesamt zwölf Stücke öffentlich. Dem Parforceritt über die Tasten gibt sich García hochkonzentriert, aber mit sichtbarer Freude hin. Wie seine Locken, ist auch sein Selbstbewusstsein seit dem letzten Jahr nochmals gewachsen. Er fächert die Stimmungen der einzelnen Sequenzen auf, gibt ihnen eigenständige Klangfarben. Der formalen Strenge des Preludio stellt der aus Gijón, am Kantabrischen Meer stammende Twen schon bei der 2. Etüde deren melodisches Motiv gelassen in den Mittelpunkt, um in der 3. eine fast lyrische ländliche Geschichte mit Glockengeläut zu erzählen.
Todesritt des Kosakenkönigs
Der Sagengeschichte um den Pagen Mazeppa, der festgebunden auf dem Pferd ins Verderben geschickt werden soll, von Liszt nach einer Vorlage von Victor Hugo musikalisch umgesetzt, gibt García zunächst der klagenden Melodie Ausdruck und Raum um mit den zerrissenen Akkorden, den Ritt um Leben und Tod des späteren Kosakenkönigs virtuos zu untermalen. Nur ganz kurzes Innehalten zwischen den einzelnen Etüden - knappes Luftholen für Pianist und Publikum - erhält den Spannungsbogen von rauschhaften Akkorden, rasenden Läufen, perlenden Wassertropfen, geheimnisvollen Gnomenreigen, wilder Jagd und Schneetreiben in Moll. So können Etüden klingen und wenn sie so gespielt werden, bleibt auch der Pianist in Erinnerung.
Wie Chopin Trauer ausdrückt
Wie Martin García García war auch der 22-jährige Ziyu Liu Teilnehmer des letztjährigen Klavierolymp und hat sich inzwischen einen beachtlichen Namen gemacht. Zurückgenommen, eher defensiv wirkend, vermag er mit seinem bravourösen Spiel Brillanz mit konzeptioneller Diktion in Einklang bringen, konnte bei der Chaconne der Bach'schen Logik stringent folgen, hie und da vielleicht ein wenig zu sehr mit dem Pedal Effekte untermalend. Erstaunlich abgeklärt, gelingt ihm der Gefühlsumschwung in der F-Moll Fantasie Chopins, deren Melodienfülle zunächst leicht schwebend ins Ohr geht, um später eigentümlich andere, aufgewühlte Stimmung zu vermitteln. Auch bei der Sonate in B-Moll gelingt dem chinesischen Pianisten die Klangfülle Chopins zu gestalten, da sind Stimmungen ausdrücklich zugelassen, tauchen über verschlungene Umwege brillante Gedanken wieder und wieder verändert auf. Geniale Klänge, die jeder kennt, hat Chopin im "Trauermarsch" genannten 3. Satz komponiert, wo vielfach wiederholte, nur unwesentlich veränderte Akkorde eine fiktive Trauergesellschaft begleiten. Mit großem Ernst und gemessenen Schrittes, bis auch der Letzte die Stätte des Abschieds verlassen hat. Im großzügigen Ambiente des Abteigebäudes wirkt die Melodie , von Liu ergreifend gespielt, unglaublich eindringlich. Jeder Ton so, wie Chopin ihn gesetzt hat, glauben sich Pianist und Zuhörer einig, nur der Musik verpflichtet.
Wunderbar, dass Maria Bildhausen wieder Spielstätte für Künstler am Beginn vielleicht großer Karrieren sein durfte.