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RANNUNGEN
Tamboras Asche über Rannungen
Nach einem Vulkanausbruch im Jahr 1815 versank die Welt im Aschenebel. Auf den Feldern wuchs nichts mehr, die Menschen hungerten. Ein historisches Dokument von 1817 schildert das Leben in Rannungen.
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Isolde Krapf
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:00 Uhr

Im Jahr 1816 war es in Rannungen zu massiven Ernteausfällen und zu einer großen Hungersnot gekommen. Daher wurde der Erntebeginn am 3. August 1817 im Ort mit der Einholung der ersten Getreidegarben festlich begangen. Das geht aus einem historischen Dokument hervor, das die Familie Berninger (früher Schlembach) in der Scherzergasse vor einiger Zeit auf ihrem Dachboden fand. Die Gemeinde hat das kleine Büchlein über das „Erntefest 1817“ zum bevorstehenden Erntedankfest am kommenden Sonntag, 24. September, neu aufgelegt.

Alfred Memmel bearbeitet den Text

Zur Feier des 3. August 1817 hatte der damalige Kaplan Maximilian Joseph Schleiß eine besondere Predigt vorbereitet. Der pensionierte Rannunger Lehrer Alfred Memmel nahm sich jetzt dieses historischen, in deutscher Kurrentschrift verfassten, Schriftstücks an und übertrug es in die lateinische Schrift, damit jeder Rannunger nachlesen kann, wie die Lebensumstände zu jener Zeit waren.

Damals war in weiten Teilen des Kontinents ein Jahr der bittersten Not vorausgegangen: Im Sommer 1816 hingen dunkle Wolken am Himmel, die sich nicht auflösten. Es regnete sintflutartig, was vielerorts zu Überschwemmungen führte, berichteten Zeitgenossen. Hinzu kamen Hagelstürme, Frost und Regen. Die Unbill des Wetters zerstörte die Ernten, löste Hungersnöte und soziale Unruhen aus. Zahlreiche Menschen wanderten in die USA aus.

Schlechte Ernte als Strafe Gottes gesehen

Was die Menschen damals als lebensbedrohliche Katastrophe erfuhren, war für sie schwer einzuordnen. Die Kirche trug dazu bei, dass man das Jahr 1816, das als „Jahr ohne Sommer“ in die Geschichte einging, als die Strafe Gottes für sündhaftes Verhalten deutete. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts brachte der amerikanische Forscher William J. Humphreys die Klimaverhältnisse von 1816 in Zusammenhang mit einem „apokalyptischen Vulkanausbruch“, der sich 1815 in Indonesien ereignete. Der Ausbruch des Tambora soll einer der größten Vulkanausbrüche der jüngeren Menschheit gewesen sein.

Die Aschewolken zogen monatelang um den Globus und verdunkelten die Sonne. So versank die Welt 1816 in Kälte, Schnee und Regen. Auf den Feldern verfaulte das Korn, der Hagel gab dem Getreide den Rest. Es gab weder Getreide noch Obst. So mussten vielerorts der Hauptteil des ohnehin kargen Viehbestands wegen Futtermangels geschlachtet werden. In entlegenen Dörfern der Mittelgebirge, wie auch in der Rhön, wurden Baumrinde, Stroh und Kleie zu Brot verbacken.

Kornschieber und Wucherer hatten Hochsaison

Die Leute kochten und aßen Gras und Heu. Zeitgenössische Autoren schreiben, dass sich die Ärmsten von Sauerampfer, Moos und Katzenfleisch ernährten. Kornschieber, Wucherer und skrupellose Händler hatten Hochkonjunktur. Krankheiten wie Typhus und Cholera breiteten sich aus und rafften viele dahin.

„In den Tälern der Rhön verzögerten sich die Arbeiten auf den Feldern und die Aussichten auf eine gute Ernte waren noch nie zuvor so schlecht wie in diesem Jahr“, schreibt der Nürnberger Friedens- und Kriegskurier im Juni 1816. Bayerische Städte richteten Suppenküchen ein. Vermehrt aß man Silberdisteln, die man als „Jagerbrod“ bezeichnete.

Auch in Rannungen hatten die Menschen im Jahr 1816 gedarbt. Es war alles im Ort aufgezehrt, der letzte Laib Brot den Armen verabreicht, heißt es in dem historischen Dokument von 1817, das vermutlich vom damaligen Rannunger Ortspfarrer Christian Friedrich Hofmann stammt. Die Kinder beteten vor den Häusern der Rannunger Bürger, die etwas besser bemittelt waren: Der „alte Schleippmann“ gab den Kindern dann sogar seinen letzten Bissen, steht dort geschrieben.

Angst vor Gewitter mit Hagelkörnern

Zwei Wochen sollte es noch bis zur Ernte in jenem Jahr 1817 dauern. Dann, am 24. Juli, zog plötzlich ein schweres Gewitter herauf und es fielen „Schloßen (Hagel) in außerordentlicher Menge und Größe“. Wieder bangten die Dorfbewohner um die Ernte. Doch dann kam der „greise Schlembach“ das Dorf herauf und beruhigte die Gemüter. Er hatte nämlich bereits draußen in der Flur gesehen, dass das Wetter „wenig oder gar nicht geschadet“ hatte.

Beim Erntefest am 3. August war die Freude in Rannungen dann freilich groß. Vor dem Hochamt wurde in einer Prozession vor dem Allerheiligsten her eine große Korngarbe „von vier Dorfjünglingen“ um die Kirche getragen. Am Nachmittag um zwei Uhr begann die eigentliche Erntefeier. Man ging in feierlicher Prozession aufs Feld hinaus, wo drei große Erntewagen standen. Der Pfarrer gab seinen Segen. Dann setzten sich alle erneut in Bewegung, an der Spitze ein Erntewagen.

"Unser tägliches Brot gib uns heute!"

Hinterher lief die Schuljugend, an deren Spitze „das jüngste adelige Fräulein des Herrn Hauptmann von Münster“ einen mit den Farben des Königreichs gezierten Erntekranz trug, heißt es in dem Büchlein weiter. Später hielt Kaplan Schleiß dann seine (lange) Rede, die alle selbstverständlich im Stehen anhörten. „Auch in den Tagen der Not war Gott unser liebreicher himmlischer Vater!“, so Schleiß' Fazit. Die später von den Rannungern gemurmelten Worte des Vaterunsers – „Unser tägliches Brot gib uns heute“ – hatten also sehr reale Bedeutung.

Alfred Memmel hat das 50-seitige Heft zum Rannunger Erntefest von 1817 mit ein paar historischen Bildern aus dem Dorf ansprechend gestaltet. Für sein Anliegen, aus dem historischen Dokument ein Buch zu machen, hat er bei so manchem Rannunger Klinken geputzt. Und das mit Erfolg. Finanziert wurde der Druck des Büchleins in einer Auflage von 200 Stück denn auch teilweise aus Spenden. Den ausstehenden Restbetrag hofft man durch den Verkauf des Hefts zu erlösen.

Kaufen kann man das Büchlein „Erndtefest zu Rannungen“ ab sofort im Rathaus.

Erntedankfest: Nach dem Gottesdienst am Sonntag, 24. September, findet, zusammen mit dem Musikverein, ein Festzug zum Gückerbrunnen statt. Anschließend Festbetrieb im Pfarrheim.

Regen       -  _
Foto: Mainfr. Museum
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