Hundert Fachleute aus ganz Deutschland, aus Kommunen, Behörden, Ministerien, fachspezifischen Organisationen und Forschungseinrichtungen trafen sich in Bad Kissingen zur 43. Bundestagung der Deutschen Landeskulturgesellschaft (DLKG).
Neben dem österreichischen Zukunftsforscher Andreas Reiter sprachen an zwei Tagen Wissenschaftler und Praktiker zum Thema „Digital, mobil und vernetzt – der ländliche Raum als Chancenraum“. Über Beispiele zukunftsweisender Umsetzung informierten sich die Teilnehmer am dritten Tag auf Exkursionen in der Region.
Demografischer Wandel: Drastischer Umbruch
In seinem Einführungsvortrag ging DLKG-Vorsitzender Karl-Heinz Thiemann (München) auf den demografischen Wandel als „drastische Umbruchphase“ und dessen Folgen für den ländlichen Raum ein, wobei hier zwischen drei Gruppen zu unterscheiden ist:
- Ein Drittel der ländlichen Regionen liegt in direktem Einflussbereich der Großstädte . Während diese vom vielfältigen Angebot der Großstädte profitieren, ermöglichen sie gleichzeitig ein preiswerteres Wohnen. Dies macht solche Regionen für junge Menschen und Start-ups attraktiv.
- Ein weiteres Drittel weist eine dichte zentralörtliche Gliederung auf, verbunden mit einer leistungsfähigen Infrastruktur-Ausstattung und guten Anbindung an Großstädte . Solche Regionen sind durch ein moderateres Bevölkerungswachstum geprägt und haben keine besonderen Entwicklungsprobleme sowohl in wirtschaftlicher als auch in soziokultureller Hinsicht.
- Ganz anders sieht es beim letzten Drittel ländlicher Regionen aus, die unter einer starken Abwanderung vor allem junger Menschen leiden. Denn neben günstigem Wohnen und guten Betreuungs- und Bildungsangeboten für Kinder sind attraktive Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeitsplätze die wichtigsten Haltefaktoren. „Wo diese fehlen, sehen sich viele Menschen aus beruflichen Gründen zum Fortzug gezwungen.“
Die Nachteile dieser Randlage und infrastrukturellen Schwächen konnten in der Vergangenheit trotz intensiver Bemühungen in der Strukturförderung nicht ausgeglichen werden, so Thiemann weiter. „Hier eröffnet die digitale Transformation völlig neue Möglichkeiten, die es gezielt zu nutzen gilt.“
Andreas Reiter: „Smart Countrys“ als Chance
Über die mögliche Umwandlung von Dörfern und ländlichen Regionen zu „Smart Countrys“ in Folge technischen und gesellschaftlichen Wandels berichtete der österreichische Zukunftsforscher Andreas Reiter in seinem Einführungsvortrag.
„Auf dem Land bleiben heute die drei A’s zurück: die Alten, die Abgehängten und die Aussichtslosen“, beschrieb er die Ausgangslage. „Mehr als zwei Drittel aller Deutschen leben heute in Städten.“ Doch diese Situation ändert sich allmählich – besonders stark seit der Corona-Pandemie.
Ländliche Regionen brauchen Digitalisierungsschub
Im Gegensatz zur historischen Aussage „Stadtluft macht frei“ werden künftig auch ländliche Regionen vermehrt „zu Sehnsuchts- und Projektionsräumen für ein besseres Leben“, ermöglicht durch den Digitalisierungsschub, durch eine zunehmend „ortlose“ Gesellschaft, die „Arbeit und Produktion von überall her“ organisiert.
Reiter: „Das Land wird zur co-produktiven Provinz, in der Menschen an neuen Lebensentwürfen basteln“, mit achtsamen Lebensmodellen sowie einer nachhaltigen, Ressourcen schonenden Ökonomie.
Strategie für Ländlichen Raum benötigt
Der ländliche Raum kann somit zu einem attraktiven Zukunftsraum entwickelt werden, wozu es allerdings eine langfristige Strategie braucht, die den meisten Ortschaften heute noch fehlt, so Reiter in seinem Vortrag. „Das Leitbild einer Region dockt nicht an eine Retro-Idylle an, sondern verknüpft die hohe Lebensqualität des Landes mit der Daten-Ökonomie von morgen.“
Daraus folgert der Zukunftsforscher : „Dank der strategischen Verschränkung von Big Data, Green Tech, Künstlicher Intelligenz, Manufaktur und Präzisionswirtschaft kann auf dem Land ein regenerativer Lebensraum entstehen, der auch für Start-ups und junge Wissensarbeiter attraktiv ist.“
Tagungsmitglieder lernen die Stadt kennen
Thiemann und Reiter waren zum ersten Mal in Bad Kissingen, weshalb zweiter Bürgermeister Anton Schick (DBK) die Gelegenheit nutzte, ihnen und den anderen Tagungsteilnehmern die Besonderheiten der Unesco-Welterbestadt näherzubringen.
Am ersten Tagungsabend nutzten viele das Angebot einer Stadtführung, um sich über die Historie und die aktuellen Auswirkungen des gesellschaftlichen und demografischen Wandels in Bad Kissingen und seinen dörflichen Ortsteilen zu informieren.
Über die DLKG und die Tagung
Die DLKG umfasst 250 Mitglieder, die in unterschiedlichen Bereichen der ländlichen Entwicklung verantwortlich tätig sind. Sie organisiert als interdisziplinäre Organisation zusätzlich zu ihren Regionalkonferenzen an wechselnden Standorten alljährlich eine Bundestagung.
Mitorganisatoren sind die Bayerische Verwaltung für Ländliche Entwicklung und die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft „Nachhaltige Landentwicklung“, eine Förderung gibt es von der Landwirtschaftlichen Rentenbank.
Schwerpunkte der DLKG-Arbeit sind die Landnutzung, die Landeskultur und -entwicklung, die Dorferneuerung sowie die Orts- und Regionalplanung. Regional ist die DLKG in fünf Landesarbeitsgruppen aktiv, die maßgebliche Erkenntnisse in die bundesweite Diskussion einbringen. Vor allem die Jahrestagung dient diesem bundesweiten Erfahrungsaustausch.
Mehr aus Bad Kissingen: