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LKR Bad Kissingen
Im Landkreis Bad Kissingen: Bedürftige müssen weggeschickt werden
Droht der Kollaps bei den örtlichen Tafeln? Zwei der drei Vereine im Landkreis haben einen Aufnahmestopp. So angespannt ist die Situation bei den Ehrenamtlichen.
Aufnahmestopp Tafeln       -  Bei der Kissinger und Bad Brückenauer Tafel herrscht Aufnahmestopp von Neukunden, Hammelburg beschränkt sich auf den Altlandkreis.
Foto: Angelika Despang | Bei der Kissinger und Bad Brückenauer Tafel herrscht Aufnahmestopp von Neukunden, Hammelburg beschränkt sich auf den Altlandkreis.
Angelika Despang
 |  aktualisiert: 22.08.2024 16:50 Uhr

Werner Bergmann fühlt sich in der Zwickmühle. Einerseits kann die Tafel Hammelburg keine neuen Bedürftige mehr aufnehmen, andererseits kommen immer mehr. „Es ist eine fürchterliche Situation, wenn man die Leute wegschicken muss“, erklärt Bergmann betroffen. Er ist seit acht Jahren Schriftführer und Vertreter des Vorstandes.

Die Tafel in Hammelburg hat zu wenig Waren und zu wenig Personal. Ein allgemeiner Aufnahmestopp von Kunden wurde noch nicht verhängt, „deshalb kamen in letzter Zeit Bedürftige aus Zeitlofs oder Münnerstadt hierher, um Lebensmittel zu erhalten.“ Aber die Regelung, dass nur Kunden aus dem Altlandkreis Hammelburg aufgenommen werden können, muss der gemeinnützige Verein beherzigen, denn, „die Umstände zwingen uns dazu.“ Den Menschen außerhalb des Altlandkreises könne nur eine Notration gegeben werden. „Das ist unbefriedigend und das widerspricht dem Selbstverständnis einer Tafel.“

Die Tafeln in Deutschland verhindern die Entsorgung von essbaren Lebensmitteln und versorgen arme Haushalte preiswert mit Lebensmitteln. Damit ergänzen sie die Sozialleistungen des Staates. Berechtigt zur Tafel zu gehen ist, wer ein geringes Einkommen hat, mit dem der Lebensunterhalt nur schwer zu bestreiten ist. Als Orientierung dient die Schwelle der Armutsgefährdung.

Helfer an der Grenze der Belastbarkeit

Die Menge der von den Geschäften gespendeten Lebensmittel wird immer weniger. „Das führt dazu, dass wir Lebensmittel dazu kaufen, um einen einigermaßen sinnvollen Warenkorb füllen zu können“, so Bergmann. Gleichzeitig sei das ehrenamtliche Helferteam an die Grenze ihrer Belastbarkeit angelangt, denn die Dauer der Ausgabe ist deutlich gestiegen – der Altersdurchschnitt liegt bei 70 Jahren.

Und auch die Energiekosten sind gestiegen. „Vor diesem Problem stehen auch die anderen Tafeln im Landkreis und haben einen generellen Aufnahmestopp verhängt. Wir versuchen es noch mit der Beschränkung auf den Altlandkreis“, erklärt der 75-Jährige. Derzeit versorgt die Tafel Hammelburg 80 Haushalte mit zwischen ein bis sieben Personen.

Lebensmittel noch nie so knapp

Bei der Bad Brückenauer Tafel besteht seit Weihnachten ein genereller Aufnahmestopp, also sowohl für Bedürftige aus dem gesamten Landkreis wie auch aus dem Altlandkreis. „Wir haben einfach zu viele Kunden und andererseits zu wenige Waren“, erklärt zweiter Vorsitzender Klaus Hartmann resigniert. Seit zehn Jahren arbeitet er ehrenamtlich für die Tafel, „diese Warenknappheit gab es in der Vergangenheit noch nie.“ Über hundert Haushalte versorgt das Brückenauer Team, Familien mit Kindern werden mit Obst bevorzugt, „damit sie wenigstens einmal in der Woche ordentlich essen.“

Auch Klaus Hartmann tue es leid, Menschen wegzuschicken: „Wir versuchen sie dann wenigstens mit Brot oder Reis zu versorgen. Aber wir müssen ihnen dann sagen, dass sie das nächste halbe Jahr nicht kommen können.“

Kein Tafel-Hopping möglich

In Bad Kissingen hat die Tafel schon länger einen Aufnahmestopp verhängt. „Als die Flüchtlinge aus der Ukraine kamen, waren wir total überfordert“, berichtet die erste Vorsitzende Dagmar Ziegler , „jetzt können wir neben unseren Stammkunden nur Notfälle versorgen.“ Weil die Supermärkte beispielsweise vorgepackte Drei-Euro-Tüten mit Gemüse verkaufen, fehle mehr Ware „und die Tafeln fungieren eher als Entsorger, das heißt, die Helfer müssen länger aus dem, was die Supermärkte zur Verfügung stellen, aussortieren.“

Die drei Tafeln im Landkreis sind untereinander und über die Landkreisgrenze hinweg gut vernetzt: „Wir wissen, woher die Leute kommen, da ist kein Tafel-Hopping möglich“, begegnet Werner Bergmann Skepsis. Trotzdem: „Es wird immer mehr, die Situation ist verfahren“, ergänzt Dagmar Ziegler .

Von heut auf morgen in der Armut

Werner Bergmann von der Hammelburger Tafel weiß, wie schwer es ist, mit dem Bürgergeld, das seine Kunden beziehen, zurechtzukommen: „Wenn man das Geld nur für Essen ausgeben müsste, würde es gehen. Aber es hängen ja so viele andere Kosten noch mit dran, wie Schuhe, Hygieneartikel oder zum Beispiel Winterreifen.“ 

Als ehemaliger Beratungslehrer weiß er, wie schnell die Menschen in die Armut rutschen. „Der häufigste Fall ist, wenn der Haupternährer so krank wird, dass er arbeitsunfähig ist. Viele Familien sind von heute auf morgen mit dieser Situation konfrontiert.“ 

Keine weitere Anlaufstelle

Doch wohin können sich die Menschen wenden, wenn sie bei der Tafel abgewiesen werden müssen, das Geld aber nicht ausreicht? Laut Landratsamt gibt es keine weiteren Anlaufpunkte für die Versorgung mit Essen. 
„Menschen, die grundsätzlich zu wenig Geld haben, können sich beim Sozialamt oder beim Jobcenter – je nachdem, ob sie arbeitsfähig sind oder nicht – erkundigen, ob ihnen Sozialleistungen zustehen. Über diese Leistungen sollte der Lebensunterhalt sichergestellt werden“, heißt es in einer Stellungnahme.

So können Sie helfen:

  • Spenden in Form vom Lebensmitteln: lange haltbare Lebensmittel oder frisches Obst und Gemüse aus dem Garten am Tag der Ausgabe geerntet
  • Spenden in Form von Gutscheinen von Lebensmittelgeschäften
  • Geldspenden für Investitionen
  • Mitglied in einem der Tafelvereine werden
  • Helfer bei der Tafel werden
  • Weitere Informationen unter: tafel.de/ueber-uns/die-tafeln/tafel-suche

 

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