Der Angeklagte wird von zwei Polizeibeamten in den Gerichtssaal geführt. Er ist mit Hand- und Fußfesseln gesichert. Die Handschellen werden ihm auf Geheiß der Richterin abgenommen. Was macht den schlanken Mann mit dem pechschwarzen Haar und Vollbart so gefährlich?
Vollstreckung eines Haftbefehls
Die Anklageschrift der Staatsanwältin erklärt es. Am 17. April dieses Jahres sollen Beamte der Polizeiinspektion Hammelburg einen Haftbefehl vollstrecken und den 27-Jährigen zum Antritt einer sechsmonatigen Haftstrafe in die Justizvollzugsanstalt Schweinfurt bringen.
Doch der Arbeitslose ist damit nicht einverstanden – ganz und gar nicht. Er wehrt sich mit Händen und Füßen, spuckt und tritt um sich. Nur mit Mühe gelingt es den mit zwei Streifenwagen angerückten Polizisten, den Mann zu bändigen.
"Wer geht denn freiwillig in den Käfig?"
Warum er sich so stark gewehrt hat, fragt die Richterin. „Wer geht denn freiwillig in den Käfig?“, antwortet der Angeklagte . Er sagt dies mit fester Überzeugung und kann vermutlich nicht verstehen, warum ihm diese Frage gestellt wird.
Die Staatsanwältin fährt fort: „Er trat einem Beamten in den Unterleib, was nicht unerhebliche Schmerzen zur Folge hatte.“ Im weiteren Verlauf der Festnahme habe er noch mehrmals in Richtung der Polizisten getreten, sie aber nicht getroffen.
Spuckattacken und Beleidigungen
Neben mehreren Spukattacken prasselt auf die Gesetzeshüter ein ganzes Arsenal an derben und vulgären Schimpfwörtern und Beleidigungen ein. Die Staatsanwältin zählt einige Beispiele auf.
Später können die Prozessbeteiligten sich mit eigenen Ohren davon überzeugen. Die Bodycam eines Beamten hat die Festnahme dokumentiert. Auf einem TV-Gerät wird das Geschehen vorgeführt.
Tritt in den Unterleib
Das Video zeigt, wie die Vollstreckungsbeamten im Zimmer des Angeklagten beruhigend auf den Mann einreden. Ein Schwall von Flüchen ist die Antwort. Gemeinsam versuchen die Ordnungshüter, den aufgebrachten Mann zu Boden zu drücken und ihm Handschellen anzulegen.
Das gelingt ihnen nach einem kurzen Gerangel schließlich. Aber auch am Boden wehrt sich der 27-Jährige noch heftig und tritt einem Beamten in den Unterleib. Schließlich werden ihm Fußfesseln angelegt und eine Spuckschutzhaube über den Kopf gezogen.
"Reden wir normal weiter"
Ein Polizist will den jungen Deutschen besänftigen: „Reden wir doch ganz normal weiter. Ich habe hier einen Haftbefehl und lese ihn jetzt vor.“ Und: „Es wäre gut, wenn du dich jetzt zusammenreißt, denn die Bodycam läuft.“
Der Widerspenstige wird schließlich die Treppe teils heruntergeführt, teils getragen und in einen Streifenwagen gesetzt. Erst jetzt beruhigt sich er Mann einigermaßen.
Axt und Machete im Rucksack
Im Zimmer des 27-Jährigen stellen die Ordnungskräfte einen Rucksack sicher. Der Inhalt macht schnell klar, dass die Polizisten in tödlicher Gefahr waren. Ein Kampfmesser, eine Klappsäge, eine Axt und eine Machete werden sichergestellt.
Was er damit wollte, fragt die Richterin. „Das ist mehr ein Hobby – Bushcraft“, versichert der Mann. Dabei handelt es sich um ein Training, das Techniken zum Überleben in der Wildnis vermitteln soll.
Im Wald war es zu kalt
Diese Fertigkeiten wollte der Angeklagte vermutlich anwenden, um sich der drohenden Verhaftung zu entziehen, schildert ein 65-jähriger Hammelburger. „Er wollte sich im Wald verstecken, aber dort war es ihm wohl zu kalt“, sagt der Mann, der mit dem 27-Jährigen zeitweise in einer Hammelburger Obdachlosenunterkunft gelebt hat.
Er beschreibt den Angeklagten als „ruhig und nett“. Mit einer Einschränkung: „Außer, wenn er Polizisten sieht - dann sieht er rot. Da muss wohl in der Kindheit etwas vorgefallen sein.“
Trauma vom G20-Gipfel?
Der Anwalt wird in seinem Schlussplädoyer von einem Trauma sprechen, das sein Mandant während einer Demonstration beim G20-Gipfel in Hamburg erlitten habe.
Wie sich dieses angebliche Trauma auf Uniformierte auswirkt, schildert ein 37-jähriger Polizist, der bei der Verhaftung dabei war. Eine Schürfwunde am Schienbein und mehrere blaue Flecken waren die Folge, „aber nichts Ernstes“.
Keine ärztliche Behandlung notwendig
Das Gericht hat genug gesehen und gehört. Auf die Aussagen weiterer Polizeibeamter wird verzichtet. Das Bodycam-Video dokumentiert den Vorfall schließlich lückenlos.
Die Staatsanwältin führt in ihrem Schlussplädoyer auch Punkte auf, die für den Angeklagten sprechen. So sei er geständig und habe die aggressiven Handlungen größtenteils zugegeben. Auch sei nur ein geringer Schaden entstanden, weil die attackierten Beamten nicht ärztlich behandelt werden mussten.
Einschlägige Vorstrafen
Zu seinen Lasten führt die Vertreterin der Anklage seine einschlägigen Vorstrafen an. Bereits mehrfach stand der 27-Jährige wegen Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vor Gericht.
Anfangs wurden Geldbußen verhängt, später eine Strafe zur Bewährung, die wegen weiterer Vorfälle in Haft umgewandelt wurde. Die Staatsanwältin fordert für diesen Fall eine Strafe von einem Jahr und zwei Monaten.
"Für meinen Mandanten gibt es Grenzen"
Der Anwalt gibt zu bedenken, dass der Angeklagte vor der Verhaftung ausreichend Zeit gehabt hätte, sich mit dem Inhalt des Rucksacks zu bewaffnen. Dies habe er aber nicht getan: „Für meinen Mandanten gibt es Grenzen.“ Er hält eine Haftstrafe von sechs Monaten für angemessen.
Welche Rolle der Rucksack mit dem gefährlichen Inhalt spielt, wird im Verlauf des Prozesses nicht klar. Auch der als Zeuge geladene Polizeibeamte konnte nur feststellen, dass der 27-Jährige vor seiner Ergreifung mehrmals in die Richtung des Tornisters geblickt haben soll.
Seit sechs Monaten um Arbeit bemüht
Der Angeklagte hat das letzte Wort und liest von einem Zettel ab. Er habe während seiner derzeitigen Haft in Schweinfurt keinerlei Probleme gemacht und bemühe sich seit fast sechs Monaten um eine Arbeitsstelle. Doch seine Gesuche seien regelmäßig abgelehnt worden, weil keine Stellen frei wären.
Auch an einem Antiaggressionstraining möchte er gerne teilnehmen. Doch seit Juni sei dieser Kurs mehrmals verschoben worden und soll voraussichtlich erst am 15. Oktober starten.
Bruder angegriffen
Die Richterin nimmt seine Einlassungen zur Kenntnis. Die Behauptung, dass der Beschuldigte nur gegen Ordnungskräfte aggressives Verhalten zeige, lässt sie nicht gelten.
Der Mann stand schon mehrmals vor ihrem Richtertisch. Einmal auch wegen Körperverletzung an seinem Bruder.
Ein Jahr Haft ohne Bewährung lautet das Urteil.
Zurück in die JVA Schweinfurt
Die Vollstreckung eines Haftbefehls ist diesmal nicht notwendig. Der 27-Jährige wird von den beiden Beamten in Hand- und Fußfesseln aus dem Gerichtssaal geführt und in die Justizvollzugsanstalt Schweinfurt gebracht.
Gegen das Urteil kann noch Berufung eingelegt werden. Die Kosten des Verfahrens trägt der Angeklagte .
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