
Tragödien, die sich im Schatten eines nahenden Krieges ereignen - das ist der Stoff, aus dem sich Stefan Zweigs Roman "Ungeduld des Herzens" speist. Familiäre Geheimnisse, Ängste, Schuldgefühle, Liebessehnsucht, Feigheit, Lüge, enttäuschte Erwartungen, moralische Erpressung, militärischer Kadavergehorsam. Unnachahmlich empathisch betrachtet Zweig seine Figuren. Nun wagte sich Regisseurin Susanne Pfeiffer an eine Dramatisierung des Stoffes auf der Bühne des Theaters Schloss Maßbach.
Sommer 1914 in einem österreichisch-ungarischen Garnisonsstädtchen. Der junge Leutnant Anton Hofmiller findet Zugang zum Hause des Gutsbesitzers von Kékesfalva. Der Offizier ist zugleich ergriffen und verunsichert vom Schicksal der gelähmten Tochter des Hauses, Edith. Der alte Vater und die betreuende Nichte Ilona sind angetan von der Freundlichkeit des jungen Mannes und sehen, wie Edith in Antons Nähe aufblüht.
Doch das, was sie als Zeichen tiefer Zuneigung interpretiert, ist für Hofmiller ein diffuses, schwankendes Mitgefühl. Weil er sich aus Rücksichtnahme und Feigheit nicht klar äußert, gerät er tiefer und tiefer in den Sog von Erwartungen der Tochter, des Vaters, und nicht zuletzt der Regimentskameraden, die die Eskapade misstrauisch beäugen. Die Katastrophe ist unausweichlich, nachdem Hofmiller dem Drängen von Ediths Vater und des Hausarztes der Familie nachgibt und einer Verlobung zustimmt. Damit will man die trügerische Hoffnung von Vater und Tochter auf Heilung bestärken. In seinem Regiment verleugnet der Offizier die Verlobung allerdings vehement.
"Schlosskind" Fanny SchmidtS erster großer Auftritt
Fünf Schauspielerinnen und Schauspieler schlüpfen souverän in neun Rollen, zeitgemäß ausgestattet von Kostümbildnerin Daniela Zepper. Das Bühnenbild von Patrick Schmidt lässt sich nahtlos verändern: mehrere Paravents, ein dominierender Fauteuil vor weißem Vorhang. In der Rolle der Edith: das Maßbacher "Schlosskind" Fanny Schmidt in ihrem ersten großen Auftritt am Haus. Sie spielt die behinderte junge Frau zauberhaft natürlich, in all ihren Launen, bis hin zum sehnsuchtsvollen Augenaufschlag.

Die Regisseurin hat ihr in Anna Schindlbeck als Leutnant einen durch und durch vom Militär geprägten Charakter gegenübergestellt. In der ungewöhnlichen Hosenrolle (die offensichtlich mehr einer kurzfristigen Umbesetzung geschuldet ist und weniger einer dramaturgischen Idee) mimt die Schauspielerin einen äußerlich bis in die Haarspitzen selbstdisziplinierten Mann, dem nur selten ein Lächeln auf den Lippen erscheint. Von charmanten Entgleisungen, die Edith bezirzen könnten, keine Spur. Nur eine um Korrektheit bemühte Freundlichkeit dringt nach draußen. Diesen neurotischen, zwiegespaltenen Charakter – der im Roman als Ich-Erzähler wesentlich differenzierter erscheint - spielt Anna Schindlbeck mit unerschütterlicher Konsequenz.
Dass der Leutnant damit wie eine Charaktermaske wirkt, steht im Kontrast zu der Menschlichkeit der anderen Figuren auf Gut Kékesfalva, die von Ingo Pfeiffer (Vater), Silvia Steger (Ilona) und Marc Marchand (Dr. Condor) glaubwürdig interpretiert werden, wenn auch die Erzählung der Familiengeschichte durch den Hausarzt arg in die Länge gezogen wird.
Wie groß muss die Sehnsucht nach Anerkennung und ehrlicher Liebe eines leidenden Menschen wohl sein, wie groß die Ungeduld des Herzens, wenn er sich selbst an die kleinste Zuneigungsgeste klammert? Die Eigendynamik eines unvermeidlichen Untergangs tritt in der Inszenierung deutlich zu Tage. Nur, dass die Spielenden vor Beginn und nach Ende des Stückes als weißgewandete Wesen durch den Raum wandeln, um die Zeitlosigkeit der Geschichte hervorzuheben, das hätte nun wirklich nicht sein müssen. Allzu leicht könnte man die ätherischen Geschöpfe mit dem Küchenpersonal eines Gourmetrestaurant verwechseln.
Im Intimen Theater und auf Gastspielen bis 6. April. Infotel. 09735-235. www.theater-massbach.de