Der Winterzauber versucht eine heitere Reise "aus der neuen Welt" über Prag und Wien in die Kurstadt. Dass dabei eine Symphonie in Teile zerlegt wird, irritiert die Anhänger der Klassik.
Varietas delectat: Abwechslung erfreut, sagte schon der alte Lateiner. Auch der Winterzauber beherzigt das. Fünfzehn Jahre zündeten Lior Shambadal und die Berliner Symphoniker ein Feuerwerk guter Laune am Neujahrstag im Regentenbau. Mal für Mal ein äußerst unterhaltsamer Start ins neue Jahr. Die Berliner samt ihrem monumentalen Schlitzohr am Pult hatte man ins Herz geschlossen, das war fast schon Kult, wenn Shambadal neben mitreißendem Dirigat, immer noch eine Überraschung parat hatte, witzige Ansagen einstreute, mit lustigen Accessoires daherkam.
2019 hat der Maestro den Taktstock bei den Berliner Symphonikern zurück aufs Pult gelegt, und so durfte erstmals das Prager Rundfunkorchester das Veranstaltungsjahr in Bad Kissingen eröffnen. So weit so gut.
Rauch über Lagerfeuern
Mitgebracht hatten Dirigent Christian Schulz und die Prager Dvoráks neunte Symphonie, "Aus der neuen Welt," die heimliche tschechische Nationalhymne, zusammen mit Beethovens Fünfter die meistgespielte Symphonie überhaupt. Die slavische Seele dieser Musik haben sie natürlich verinnerlicht, die Prager. Da sollte auch der Wiener Schulz mit dem ausgefallenen Zweitnahmen Walterssohn, sie zum Klingen bringen können. Aber auch all die Zugaben aus Amerika, die Dvorák so beeindruckten. So sollten sie die indianischen Melodien als prägende Motive herausarbeiten, Bilder malen, wie der Rauch über Lagerfeuern in den Himmel steigt, der Wind die Gräser der Prärie bewegt, die Hufe der Bisons donnern.
Er habe die "Eigenheiten der indianischen Musik verkörpert, und mit den Mitteln moderner Rhythmen, Harmonie, Kontrapunkt und orchestraler Farbe entwickelt", meinte Dvorák 1893 nach der triumphalen Erstaufführung in New York.
Schaffen Schulz und das Orchester auch die vorwärts gerichtete Dynamik, die das Finale als Hommage an "die neue Welt" prägt? Sie schaffen es nicht so wie erhofft, und das liegt nicht am Orchester. Die Prager können böhmischen Originalklang, sind einige Jahre von Jirí Belohlávek geformt worden und mehr tschechisch-böhmische Seele geht ja fast gar nicht. Wie oft hat das der tschechische Ausnahmedirigent und das viel zu früh verstorbene Kuratoriumsmitglied des "Kissinger Sommers" auch mit Dvorák das Festival beglückt.
Es klingt nicht nach
Die "neue Welt" aus dem Neujahrskonzert hingegen klingt nicht nach und das liegt nicht am anderen, wienerischen Verständnis für das Werk, es liegt vor allem daran, dass die Symphonie nicht am Stück gespielt wird. Obwohl jeder einzelne Satz ganz eigenständige Stimmungen vermittelt, fehlt der große Spannungsbogen, mit dem er ein großes Land - Amerika - abbilden will.
In Häppchen serviert, zwischen Strauss, Lehar und Kálmán eingeschoben, das wird einem so großen Wurf nicht gerecht. Vielleicht können sich die Musiker nicht so schnell umstellen, nach einem Strauss-Galopp indianische Rauchzeichen zu beschreiben.
Dirigent und Musiker verständigen sich in Englisch, nicht unüblich, aber Schulz hätte hören müssen, dass die Akustik im Regentenbau auch die Blechbläser mühelos bis in die Loge transportiert und hätte ihnen sanftere Töne anzeigen müssen.
Auch Minji Kim hatte unter der Orchesterwucht zu leiden. Die in Rom lebende Koreanerin, eine hübsche, charmante Sopranistin mit geheimnisvollem Fernost-Lächeln, kann einen in der Höhe beachtlichen Sopran zum Klingen bringen, der Tiefe fehlte es - an diesem Tag - an Volumen. Aber wenn sie bei "Meine Lippen, die küssen so heiß" fortissimo singen müsste, um sich mit dem Orchester auf Augenhöhe zu messen, dann passt die Abstimmung Orchester-Solistin nicht.
Publikum wirkte mit
Schade, dabei hatte das Programm durchaus das Potential zum willkommenen Neujahrsstart zu werden, wie es das schon seit Jahren Gewohnheit ist, denn einen fast ausverkauften Max-Littmann-Saal schafft auch der Kissinger Sommer nur selten. Das Publikum wirkte mit bei Josef Strauss' "Ohne Sorgen", das ist der Walzer mit dem Haha, ha, auch bei der Bauern Polka von Johann Strauss-Sohn, die Schulz mit wienerischem Schmäh durch Klatschen und Stöckelschuhtrampeln im ehrwürdigen Saal einübt.
Auch die Csárdásfürstin passt in so ein Programm, und das Heia, heia konnte Minji Kim durchaus schmettern, während der Champagner bei der Huldigung an den "König aller Weine", aus der Fledermaus, doch nicht so recht perlte. Witzig, pfiffig und viel beklatscht die Geschichte mit dem Kuckuck Instrument. Gelungener Spaß, wie es sich an Neujahr gehört.
Zum stehenden Applaus konnten sich dann doch nur einige der Gäste erheben. Die Puristen der Klassik trauerten noch immer der "Neuen Welt" nach, während das Gros des Publikums sich längst mit Donauwalzer und Radetzkymarsch ausgesöhnt hatte.