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Sterbfritz
Sterbfritz: Rücksichtslose Adrenalin-Junkies
Die Straße von Sterbfritz nach Oberzell wird im Sommer zur illegalen Rennstrecke
Matthias Balk/dpa       -  Matthias Balk/dpa
| Matthias Balk/dpa
Redaktion
 |  aktualisiert: 18.08.2022 01:15 Uhr

Wenn sich der Sommer dem Ende zuneigt und im Herbst durch Feuchtigkeit oder fallendes Laub glitschige Straßenbeläge drohen, dann können normale Verkehrsteilnehmer in Sinntal wieder angstfreier fahren. Was sich auf den ersten Blick wie ein Widerspruch liest, ist seit Jahren ein großes Ärgernis in der Gemeinde. Der Tatort: Die Landesstraße 2304 zwischen Sterbfritz und Oberzell. Die Täter: Offenkundig lebensmüde Motorradfahrer aus ganz Deutschland, womöglich auch darüber hinaus. Der Tatbestand: Das Durchrasen der Strecke mit teils mehr als 250 Stundenkilometern. Der Sachverhalt ist nicht neu, sondern seit einigen Jahren bekannt. Allerdings fällt es den Ordnungsbehörden schwer, die unverantwortlichen Verkehrsrowdys in flagranti zu erwischen.

Spitzel an der Straße

Denn sie absolvieren ihre lebensgefährlichen Fahrten nicht allein, sondern "sichern" den Straßenabschnitt mit Streckenposten. Wird ein Polizeiwagen oder ein Fahrzeug gesichtet, das eine Zivilstreife sein könnte, erhält der Raser per Funk einen Hinweis und fährt dann urplötzlich ganz vorbildlich. Nun steht es jedem frei, auf einer ausgewiesenen Rennstrecke seine Sucht nach Geschwindigkeit zu befriedigen und dabei sein Leben aufs Spiel zu setzen, sofern dabei keine Dritten gefährdet werden. Der besondere Kick liegt für die Adrenalin-Junkies auf zwei Rädern aber ganz offensichtlich darin, ihr rechtswidriges Treiben im öffentlichen Verkehrsraum auszuleben.

Dabei nehmen sie billigend in Kauf, dass andere Verkehrsteilnehmer schwer oder sogar tödlich verletzt werden könnten. Und zwar sowohl jene, die ahnungslos pfeilschnell überholt werden, als auch jene, die auf der Gegenfahrbahn die Krafträder auf sich zurasen sehen. Selbst wenn sich ein überraschter Verkehrsteilnehmer nur kurz erschreckt und deshalb eine unbedachte Lenkbewegung macht, kann diese fatale Folgen haben.

Kameras dokumentieren Raserei

Den rücksichtslosen Rasern reicht der Temporausch an sich oft gar nicht aus, sondern sie rüsten sich meist mit einer Helmkamera aus, um ihre wahnwitzigen Fahrten sowie die Tempo-Höchststände auf dem Tachometer zu dokumentieren. Die Videos solcher Fahrten finden sich dann auf einschlägigen Online-Portalen im Internet wieder, etwa unter der Überschrift "Sinntal Eskalation! Von Sterbfritz nach Oberzell geballert".

"Petz-Posten"

Zu sehen ist darauf unter anderem auch, wie die Motorradrüpel zeitweise nur auf dem Hinterrad fahren. Mitunter betätigen sich die Streckenposten, die im Polizeijargon auch Petz-Posten heißen, ebenfalls als Kameraleute, um den Tempo-Wahnsinn "von außen" zu filmen. Ein Bürger aus Oberzell berichtet unserer Zeitung, ihn habe auf besagter Strecke neulich ein grün gekleideter Motorradfahrer mit hoher Geschwindigkeit an sehr unübersichtlicher Stelle überholt. Nur wenig später sei ihm derselbe Fahrer in einer Kurve "fast querliegend" wieder entgegen gekommen. Einen Verkehrsunfall habe er nur durch ein schnelles Ausweichmanöver vermeiden können.

Der Oberzeller Hardy Lins bestätigt, dass er selbst "schon öfter an einem Unfall mit diesen Rasern gerade noch so vorbeigekommen" sei. Hinzu komme die Lärmbelästigung für die Bewohner der angrenzenden Ortsteile. Bei Hardy Lins in der Schneidmühle könne sich die Familie an sonnigen Wochenenden "nur eingeschränkt im Freien aufhalten", um aufheulende Motoren nicht hören zu müssen.

Zivilstreifen fahren Kontrolle

In der Polizeistation Schlüchtern ist das Problem bekannt, allerdings wissen die Beamten dort auch, dass sie meist niemand Verdächtigen mehr antreffen, wenn sie auf einen Hinweis die Strecke abfahren. Dennoch stehe die Landesstraße von Oberzell nach Sterbfritz mit Blick auf Motorradraser auf der Agenda. Hilfreich seien hierbei vor allem Kontrollfahrten von Zivilstreifen. Sinntals Bürgermeister Carsten Ullrich ( SPD ) bestätigt, 2017 und 2018 eine entsprechende Eingabe erhalten zu haben, die sich "explizit auf die Problematik mit verantwortungslosen, rasenden Motorradfahrern" bezog. Als Chef der örtlichen Straßenverkehrsbehörde habe er den Vorgang zusammen mit dem Landrat an die Polizeistation Schlüchtern herangetragen und um Tempokontrollen insbesondere von Motorradfahrern gebeten. Von Seiten der Polizei seien Kontrollen zugesagt und auch umgesetzt worden.

Die Straßenverwaltung Hessen Mobil erklärt dazu auf Anfrage, sie werde vor Ort nicht als Verkehrsbehörde aktiv, sondern setze als Baubehörde nur deren Anordnungen um. Überdies sei Hessen Mobil keine Ordnungsbehörde. Kontrollen und Ahndung von Verstößen seien Sache von Orts- oder Landespolizei. Weitere Tempolimits oder auch die Sperrung der Strecke für Motorradfahrer wären letztlich zwar möglich, beeindrucken notorische Raser auf Krafträdern aber wohl kaum. Zitat von Carsten Ullrich, Bürgermeister von Sinntal: "Mit den technischen Möglichkeiten der Gemeinde sind Tempomessungen von Motorrädern nicht möglich." Hanns Szczepanek

 
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