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Bad Kissingen / Achim
Sterbehilfe: Ein nüchterner Blick aus Bad Kissingen
Eine ruhige Entscheidung inmitten von Parkinson und Abschied. Matthias Schultz, der in Bad Kissingen wohnt, spricht über den selbstgewählten Tod seines Vaters.
Matthias Schultz im Friedhof von Bad Kissingen. Er ist für aktive Sterbebegleitung.       -  Matthias Schultz im Friedhof von Bad Kissingen. Er ist für aktive Sterbebegleitung.
Foto: Riccarda Rascher | Matthias Schultz im Friedhof von Bad Kissingen. Er ist für aktive Sterbebegleitung.
Karl Kovacs
 |  aktualisiert: 07.03.2025 15:12 Uhr

Matthias Schultz aus Bad Kissingen ist kein Unbekannter in der Region – und darüber hinaus. Mit seinem Schiff in einer Glasflasche, einem sogenannten Buddelschiff, hat er einen Rekord aufgestellt: das größte in einer Flasche aufgehängten Buddelschiff der Welt . 

Es geht um ein ernstes Thema: den Tod

Beim Besuch in der Redaktion geht es nicht um Miniaturschiffe, sondern um ein ernstes Thema: den Tod. Genauer: den selbstgewählten Tod seines Vaters in Achim (Niedersachsen), wo Matthias Schultz gebürtig herkommt. 

Schultz, ein kräftiger Mann mit festem Händedruck, spricht ruhig und sachlich über das Thema, das viele lieber verdrängen. Für ihn ist der Tod kein Tabu, sondern ein Teil des Lebens, über den man sprechen sollte. Mit seiner Geschichte möchte er auf die Möglichkeit der Sterbehilfe in Deutschland aufmerksam machen. „Das ist gerade in einer Stadt und einem Landkreis wie Bad Kissingen mit der älteren Bevölkerungsstruktur von besonderer Relevanz“, sagt er. 

Ein Tannenzapfen und ein Abschied

Es war ein stiller Moment, als Matthias Schultz das letzte Mal am Grab seines Vaters in Achim (Landkreis Verden in Niedersachsen) stand. Ein Tannenzapfen fiel vor seine Füße und auf das Grab – eine kleine Begebenheit, die ihn innehalten ließ. „Das haben wir so vereinbart“, sagt er mit einem leichten Schmunzeln. Sein Vater hatte einst im Scherz gesagt, er werde ihm nach seinem Tod ein Zeichen schicken. Schultz glaubt – ebenso wenig wie sein Vater – zwar nicht an ein Leben nach dem Tod, aber diese Szene bleibt ihm im Gedächtnis. „Er war Agnostiker und ich bin es auch. Aber das war schon ein schöner Zufall.“

Im Frühjahr des vergangenen Jahres nahm Matthias Schultz endgültig Abschied von seinem Vater . Der 82-Jährige litt an Parkinson, einer Krankheit, die ihn zunehmend einschränkte. Selbst alltägliche Tätigkeiten waren zuletzt ohne Hilfe nicht mehr möglich. In ein Pflegeheim wollte er jedoch nicht ziehen – für ihn war das keine Option.

Sterbehilfe als Ausweg

Der Vater von Matthias Schultz entschied sich für einen selbstbestimmten Tod. Bereits seit einiger Zeit war er Mitglied beim Verein Dignitas-Deutschland, der unter bestimmten Voraussetzungen Beihilfe zum Suizid anbietet. Im April 2024 setzte er seinen Entschluss in die Tat um – mit der Unterstützung seiner Familie.

„Wir alle haben den Entschluss offen aufgenommen“, berichtet Schultz. Die Familie traf sich am Tag des geplanten Abschieds mit einem Arzt und Vertretern von Dignitas-Deutschland im Wohnzimmer. Es gab Schnittchen und Schnaps – eine fast alltägliche Szene, die jedoch kurz vor einem außergewöhnlichen Moment stand: dem selbstbestimmten Tod des Vaters . Und selbst in diesem Moment des Abschieds, erinnert sich Schultz, habe sein Vater seinen Humor behalten. „Der ist gut im Abgang, sagte er über den Schnaps.“

Rechtliche Lage in Deutschland

Viele Menschen wissen nicht, dass assistierte Sterbehilfe in Deutschland seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2020 möglich ist. „Voraussetzung ist, dass die Betroffenen geistig klar und körperlich in der Lage sind, den letzten Schritt selbst auszuführen“, erläutert der 53-jährige Schultz. Ein Arzt darf das tödliche Medikament bereitstellen und den Vorgang begleiten.

Obwohl oft von einer rechtlichen Grauzone die Rede ist, sieht Dignitas-Deutschland die Lage anders: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts habe klare Regelungen geschaffen. Auch Matthias Schultz bestätigt diese Einschätzung durch seine eigenen Erfahrungen.

Am Tag des Abschieds prüfte der Arzt zunächst die geistige Verfassung seines Vaters . Ein Zugang wurde gelegt, den der Patient selbst aktivieren musste. Nachdem alle Formalitäten erledigt waren, ging es schnell: Um 18 Uhr läuteten die Glocken der Kirche – zwei Minuten später war der Tod festgestellt. Er starb durch das Narkosemittel Thiopental.

Würdevolles Sterben

„Es war ein würdiges Sterben“, sagt Matthias Schultz rückblickend. Trotz der Tragik des Moments beschreibt er eine gelöste Stimmung in den letzten Stunden im Leben seines Vaters . Dieser hatte noch am Vormittag versucht, seinen Handyvertrag zu kündigen – eine Übersprunghandlung, wie sein Sohn vermutet.

Nach dem Tod wurde die Polizei informiert, wie es bei solchen Verfahren üblich ist. Der Raum wurde wie ein Tatort behandelt: Fotos wurden gemacht und Zeugen befragt. „Am nächsten Tag gab die Staatsanwaltschaft den Leichnam frei“, berichtet Schultz.

Ein Thema für Bad Kissingen

Mit seiner Geschichte möchte Matthias Schultz nicht nur informieren, sondern auch zum Nachdenken anregen – besonders in Bad Kissingen, wo viele ältere Menschen leben. „Der Tod gehört zum Leben“, sagt er nüchtern und betont die Bedeutung eines offenen Umgangs mit diesem Thema.

Sterbehilfe bleibt eine kontroverse Debatte in Deutschland. Doch für Menschen wie Matthias Schultz und seine Familie kann sie einen Weg bieten, das Leben bis zum Ende selbstbestimmt zu gestalten, wie der 53-Jährige betont. 

Hinweis der Redaktion

Dieser Artikel befasst sich mit dem Thema Suizid. Wenn Sie Gedanken quälen, sich selbst das Leben zu nehmen, dann kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800/1110111 oder 0800/1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können. 

 
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