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Bad Kissingen
Sterbehilfe: Das sagen Experten aus Bad Kissingen und Bad Neustadt
Palliativmediziner und Hospizbegleiter sehen die Entscheidung kritisch. Die Reaktion einer Fränkin, die 2013 ihren Mann zum Sterben in die Schweiz begleitete, ist gänzlich anders.
Viele unheilbar kranke Menschen wünschen sich den Tod. Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt ein Urteil zum Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe in Deutschland gekippt. Foto: Sebastian Kahnert/zb/dpa       -  Viele unheilbar kranke Menschen wünschen sich den Tod. Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt ein Urteil zum Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe in Deutschland gekippt. Foto: Sebastian Kahnert/zb/dpa
| Viele unheilbar kranke Menschen wünschen sich den Tod. Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt ein Urteil zum Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe in Deutschland gekippt. Foto: Sebastian Kahnert/zb/dpa
Susanne Will
 |  aktualisiert: 17.08.2022 20:00 Uhr

Auch Schwerkranke im Landkreis äußern den Wunsch, selbstbestimmt sterben zu dürfen. Bei einem Suizid wären viele auf Hilfe angewiesen. Seit 2015 sahen sich Ärzte, Betroffene und Vereine für Sterbehilfe vom Paragrafen 217 bedroht, das Strafgesetzbuch sah Geld- oder Haftstrafen vor. Gestern fiel das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes: Die sogenannte geschäftsmäßige Sterbehilfe darf in Deutschland nicht verboten werden. Was sagen Hospizverein oder Palliativstation im Landkreis dazu? Und wie bewertet es eine Frau, die 2013 ihren todkranken Mann bei seinem Suizid in der Schweiz begleitete?

Die sogenannte "Geschäftsmäßige Sterbehilfe " war bislang in Deutschland durch den 2015 erlassenen Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch verboten. Geschäftsmäßig heißt in dem Fall aber nicht kommerziell und meint nicht nur Organisationen wie Dignitas, die als Dienstleister gegen Geld beispielsweise in der Schweiz einen Suizid mit einem tödlichen Medikamentencocktail ermöglichen. Unter die geschäftsmäßige, weil wiederholende Sterbehilfe fielen auch Vereine, Organisationen und Ärzte. Sie machten sich strafbar, "wenn ihr Handeln auf Wiederholung angelegt ist", wie auf der Webseite des Bayerischen Rundfunks erklärt wird. Angehörige blieben straffrei, da sie die Handlung "einmalig" begingen.

Freiheit, sich das Leben zu nehmen

Ärzten drohte eine Geldstrafe oder Gefängnis bis zu drei Jahren. Doch Karlsruhe ging diese Einschränkung nach Verfassungsklagen von Ärzten, Betroffenen und Vereinen zu weit. Der Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle sagte bei der Urteilsbegründung: Es gibt ein Recht auf selbstbestimmtes Leben. Und das schließe auch die Freiheit ein, sich selbst das Leben zu nehmen und dabei Unterstützung von Vereinen und Ärzten in Anspruch zu nehmen.

Auf Ablehnung stößt das Urteil bei "Palliativo" in Schweinfurt. Veit Oertel, der Geschäftsführer der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung "SAPV Palliativo" in Schweinfurt: "Der Träger unserer Palliativstation ist unter anderem die Kongregation der Schwestern des Erlösers. Wir haben einen Wertekontext, der für unser SAPV-Team gilt. Wir werden uns an Beihilfe zum Suizid nicht beteiligen." Leopoldina-Krankenhaus und Kongregation sind Träger einer Gesellschaft für die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPF) in den Städten und Landkreisen Schweinfurt, Bad Kissingen , Bad Neustadt und Rhön-Grabfeld. Die "Palliativo Main, Saale, Rhön Gmbh" richtet sich an Patienten im fortgeschrittenen Stadium einer unheilbaren Erkrankung. Die Betroffenen haben dank Palliativo die Möglichkeit, in ihrem gewohnten Lebensumfeld versorgt zu werden.

Festhalten am Wertekodex

Der Wertekodex, auf den sich Veit Oertel bezieht, hat unter Paragraf 2 folgenden Eintrag: "Palliativo geht respektvoll mit Suizidwünschen um, ohne diese zu verurteilen. Sie bietet aus ihrem lebensbejahenden Ansatz heraus Hilfe beim Sterben an, jedoch nicht Hilfe zum Sterben. Beihilfe zum Suizid lehnt Palliativo entschieden ab."

Freude über das Urteil

Sabine Dittmar , SPD-Bundestagsabgeordnete aus Maßbach, begrüßt das Urteil . "Ich freue mich sehr, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem heutigen Urteil den Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch für nichtig erklärt hat. Das Bundesverfassungsgericht hat unmissverständlich klar gemacht, dass der Gesetzgeber das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben gemäß Paragraf 2 des Grundgesetzesachten muss", sagt die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion in einer Pressemitteilung.

Sie hat schon 2015 gegen den Gesetzentwurf gestimmt. "Ich war und bin der Meinung, dass der nun gekippte Paragraf die Beihilfe zur Selbsttötung durch den behandelnden Arzt quasi unmöglich gemacht hat." Dadurch wurden schwerst kranke Patienten in der Stunde der Not allein gelassen, sagt Dittmar, die selbst praktische Ärztin ist. "Mit dem heutigen Tag erhalten Patienten und Ärzte Rechtssicherheit."

Christel Mebert , ist Pfarrerin der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Bad Kissingen und daneben und Vizevorsitzende des Ambulanten Hospizdiensts in Bad Kissingen . Sie hält vom Urteil nichts. "Es ist und bleibt unser Grundsatz: Leben bis zuletzt - und nicht: ,Wir beenden das Leben'". Das seien ihre Grundsätze, "auch persönlich". Sie sagt: "Manchmal ist das Leben unerträglich, aber wir können da sein - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Vielmehr kämpfen wir als Hospizbewegung darum, mehr Orte zu bekommen, an denen Kranke ihre letzten Lebenstage verbringen können. Hat sie Verständnis für andere Hospizvereine , die das Urteil begrüßen? "Nein. Weil es nicht das ist, was wir begleiten und vertreten."

Kritik vom Palliativmediziner

Dr. Michael Schneider ist Palliativmediziner und Vorsitzender des Fördervereins Palliativmedizin in Bad Neustadt. "Wie die Deutsche Palliativstiftung kritisiere ich das Urteil auch ein wenig. Wir Palliativmediziner können auch Schwerstkranke in den Tod begleiten und das ohne schlimme Schmerzen und mit guter Versorgung." Er hält es für falsch, wenn Sterbehilfeorganisationen den Suizid als "selbstverständliche Therapieoption" anpreisen. "Ich halte es für falsch, sich erst mit dem Suizid auseinanderzusetzen, ohne sich vorher palliativ zu orientieren." Er selbst habe es noch nie erlebt, dass ein Sterbenskranker um den Tod gebeten habe. "Durch die palliative Betreuung haben wir keinen Patienten , der schwerste Schmerzen erleiden muss."

Was würde er einem Krebspatienten mit untherapierbaren Metastasen im Gehirn raten, der sich - wie vor dem Urteil geschehen - in der Schweiz das Leben nehmen will? "Ich würde ihn auf unser Angebot hinweisen. Aber letztendlich ist es ein Wille. Wenn er in die Schweiz gehen will, dann kann er das machen - er ist ein freier Mensch." Dieser freie Mensch hieß Peter Schwarz. Er lebte in Franken. Er entschloss sich, am 28. April 2013 seinem Leben ein Ende zu setzen. Seine Lebenserwartung lag damals bei nur noch drei, vier Monaten, er entschloss sich, diese Erwartung nicht mehr zu erfüllen. Seine Frau Maria begleitete ihn in die Schweiz. Durch eine Sterbehilfeorganisation gelangte er an ein starkes Medikament, das zu seinem Tod führte. Was sagt Ehefrau Maria jetzt dazu, dass der Bundesgerichtshof das Urteil gekippt hat? Sie sagt nur ein Wort: "Endlich!"

Die Namen von Peter und Maria Schwarz wurden geändert, Anmerkung der Redaktion.

 
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