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Münnerstadt
Starke Nerven waren nötig
Am Morgen der Aufführung musste erst der Klavierstimmer kommen. Das sorgte für Aufregung. Für die Besucher war es am Ende ein Spaß, dem Ensemble Vokal Münnerstadt bei der "Petite Messe solennelle" zuzuhören.
Beinahe wäre das schief gegangen. Am Morgen des Konzerts musste 'Klavierdoktor' Uwe König anresien und den Flügelin die richtige44-hertz-Stimmung zu bringen. An den Instrumenten waren Gregor Frede und der Pianist Rudolf Ramming.  Fotos: Gerhild Ahnert       -  Beinahe wäre das schief gegangen. Am Morgen des Konzerts musste 'Klavierdoktor' Uwe König anresien und den Flügelin die richtige44-hertz-Stimmung zu bringen. An den Instrumenten waren Gregor Frede und der Pianist Rudolf Ramming.  Fotos: Gerhild Ahnert
| Beinahe wäre das schief gegangen. Am Morgen des Konzerts musste "Klavierdoktor" Uwe König anresien und den Flügelin die richtige44-hertz-Stimmung zu bringen.
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 17.08.2022 22:10 Uhr

Das ist ja gerade noch mal gut gegangen. Denn beinahe hätte das Weihnachtskonzert in der Stadtpfarrkirche abgesagt werden müssen - und zwar aus einem durchaus ungewöhnlichen Grund. Da hatte Peter Rottmann - weil man das gar nicht früh genug tun kann - bereits im Februar bei der Firma Steinway in Frankfurt einen Leihflügel für den 15. Dezember bestellt. Denn da sollte Gioacchino Rossinis "Petite Messe solennelle" für Soli, Chor, Klavier und Harmonium aufgeführt werden. Ein Orchesterwerk wäre wegen der Baustelle unter Umständen räumlich problematisch geworden. Und der Flügel wurde auch, wie vereinbart, am Samstagnachmittag geliefert. So weit, so gut.

Aber dann stellte sich heraus, dass man im Steinway-Haus eine kleine Zahl in dem Mietvertrag übersehen hatte: Peter Rottmann hatte einen Flügel mit einer 440-Hertz-Stimmung bestellt. Das ist der absolut übliche Kammerton "a", der weltweit gültig ist. Aber man kann aus klanglichen Gründen Abweichungen vornehmen, und das war bei dem Leihinstrument geschehen: Da hatte das "a" 444 Hertz. Das ist nicht viel, und natürlich kann man sagen: Dann sollen Solisten und Chor halt eine Spur höher singen. Deshalb gerät niemand an seine Grenzen. Das hätte auch in der Stadtpfarrkirche funktioniert, wenn es nicht das zweite Begleitinstrument gegeben hätte: das Harmonium. Und das steht unverrückbar auf 440 Hertz.

Rasche Abhilfe musste her. Also reiste am Sonntag im Morgengrauen der "Klavierdoktor" Uwe König an, der es bis 13.30 Uhr schaffte, den Flügel so runterzudrehen, dass er die leicht "entspanntere" Stimmung auch hielt. Er war schon deshalb der richtige Mann dafür, weil er den Flügel genau kennt: Auf ihm spielt Grigory Sokolov immer im Kissinger Sommer . Erst dann konnte die Generalprobe mit den letzten Feinabstimmungen beginnen. Da waren halt starke Nerven gefragt.

Allerdings auch für das aufgeführte Stück. Rossinis "Petite Messe solennelle" ist wegen seiner Besetzung ein ziemliches Unikum in dem Reigen der lateinischen Messvertonungen, auch wenn sie noch alten Traditionen entsprach. Das Werk war eine Auftragskomposition eines Pariser Grafen zur Einweihung seiner neuen Hauskapelle 1863, und da spielte die Platzfrage eine entscheidende Rolle. Für Harmonium und zwei Klaviere war das Original, aber das zweite Klavier wird heutzutage gerne und ziemlich verlustfrei weggelassen. Drei Jahre später erstellte Rossini auch noch eine heutigen Ohren vertrautere Orchesterfassung.

Orchesterersatz statt Begleiter

Der Vorwurf, die "Petite Messe" sei viel zu opernhaft, ist dem Werk von Anfang an gemacht worden. Opernhaft ist es in der Tat, aber muss man das dem Werk zum Vorwurf machen? Ein Glaubensbekenntnis muss, bei aller Feierlichkeit, nicht zwangsläufig eine bierernste und emotionslos zelebrierte Angelegenheit sein. Man kann sich ja auch mal freuen. Und warum darf denn auch in dieser Musik nicht einmal eine italienische Banda auftauchen. Bei Verdi tut sie das an unpassenderen Stellen. Gewöhnungsbedürftig wie immer war die Kombination für Ausführende und Publikum gleichermaßen. Denn operaler Chorgesang mit Klavier, das hat immer ein bisschen etwas von Korrepetitionsprobe. Der Chor kann sich nicht hinter ein Orchester zurückziehen, und die Zuhörer müssen die Sache ernst nehmen.

Man muss Rudolf Ramming, der den "Sokolov-Flügel" traktierte, ein Riesenkompliment machen. Er ließ sich gar nicht erst auf die Rolle des dezenten Begleiters ein, sondern verstand sich als Orchesterersatz und spielte mit großer akustischer und gestalterischer Präsenz, machte Peter Rottmann das Dirigieren leicht und war dem singenden Personal eine ausgezeichnete Stütze. Natürlich klang das mitunter opernhaft, aber es tat seine Wirkung.

Sein Kollege Gregor Frede hatte es etwas schwerer. Je schlechter ein Harmonium ist, desto mehr unpassende Obertöne produziert es und desto stärker setzt es sich akustisch durch. Das Leihinstrument aus dem Ostheimer Orgelbaumuseum muss so gesehen ein sehr gutes sein, denn es konnte sich nie wirklich gegen den Flügel durchsetzen. Im Grunde genommen ergänzen sich die beiden Instrumente in ihren Defiziten: Das Klavier kann keinen Ton halten, das Harmonium kann keinen Stakkato-Anschlag generieren. Vielleicht waren sie auch nur zu perfekt aufeinander abgestimmt. Man sah Gregor Frede spielen, konnte ihn aber schon in der zweiten Reihe nicht mehr verlustfrei hören. Das war ein bisschen schade, denn der altmodische Klang des Instruments hat einen ganz eigenen Reiz. Peter Rottmann hatte wieder ein ausgezeichnetes Solistenquartett eingeladen: Radka Loudova-Remmler (Sopran), Katrin Edelmann (Alt), Tobias Schäfer (Tenor) und Maximilian Angmann (Bass) sangen mit großer Empathie die Partien der einzelnen Seelen und passten auch stimmlich bestens zusammen, fanden in den Terzetten und Quartetten zu einer glänzenden Harmonie. Und sie sangen auch technisch begeisternd die so interessant klingenden, aber enorm schwierigen Linien, in denen Rossini vollste Konzentration fordert.

Natürlich war die Messe für das Ensemble Vokal Münnerstadt ein ziemlich dickes Brett, das da durchbohrt werden musste. Aber andererseits war die Entscheidung Rottmanns für dieses Werk richtig. Denn wenn er seinen Chor auf dem erreichten hohen Niveau halten will, muss er ihn fordern. Klar hatte man den Eindruck, dass am Anfang ein bisschen Muffensausen mitschwang wie bei jedem schwierigen Werk. Aber das verflüchtigte sich schnell, und der Chor fand zu einer wunderbaren Intensität. Es war erstaunlich zu welchen Differenzierungen in Dynamik und Ausdruck dieses Ensemble fähig ist, mit welcher Sicherheit es auch durch komplizierte Fugen - die beherrschte Rossini durchaus - und andere komplizierte Strukturen steuerte, wie gut sich die einzelnen Register in Szene setzten und emotional gestalteten. Das Miserere des Schlusses war ein bleibendes Beispiel: ganz leise und flehend zu Beginn und sich immer mehr steigernd bis ins Fortissimo - aber nicht drängend und fordernd, sondern mit einem großen Teil Verzweiflung und wirklich ergreifend. Darf man trotzdem sagen, dass diese Messe zu hören großen Spaß gemacht hat?

Natürlich ging's nicht ohne Weihnachtliches. Mit John Rutters "Angel"s Coral" konnte der Chor wieder Bodenhaftung gewinnen. Und bei dem gemeinsam gesungenen "Nun freut euch, ihr Christen" konnten auch die Zuhörer wieder in die Normalität zurückkehren.

 
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