Wer die Namen Gerd Schaller und Philharmonie Festiva hört, der denkt zu allererst an einen Komponisten: an Anton Bruckner . Es gibt kaum einen Dirigenten und ein Orchester , die sich derart intensiv und gültig mit dem Werk des Linzer Domorganisten auseinandersetzen und immer wieder verblüffende Einspielungen vorlegen wie Gerd Schaller und seine Leute. Und so war es auch nicht überraschend, das jetzt, beim Gastspiel des Ebracher Sommers im Regentenbau, eine Bruckner-Sinfonie auf dem Programm stand - und zwar eine, die gar nicht so oft gespielt wird: seine 1. Sinfonie.
Suche nach Individualstil
Das war schon aus einem Grund ausgesprochen interessant - und vielleicht auch der Grund, warum sie nicht oft gespielt wird. Sie ist in keiner Weise so, wie man sich eine Bruckner-Sinfonie gemeinhin vorstellt: massiv, wuchtig, gedankenschwer, x-mal überarbeitet, dem lieben Gott gewidmet, lang. Ganz im Gegenteil: Als 1866 das Werk uraufgeführt wurde, hatte sich der Komponist mit seinen 42 Jahren erst auf die Suche nach seinem Individualstil begeben. Übrigens nicht ganz uninteressant: Dass Bruckner so lange gewartet hat, wird selten thematisiert. Bei Johannes Brahms , der bei der Premiere seiner 1. Sinfonie nur ein Jahr älter war, wird sein "sinfonisches Zaudern" immer angesprochen. Vielleicht, weil die Vorstellungen von Bruckner gerne von einem von Anfang an fertigen Sinfoniker ausgehen, der allerdings sehr skrupulös und mit sich unzufrieden war.
Wiener Fassung gespielt
Seit sich die Musikwissenschaft von dieser Vorstellung verabschiedet hat, sucht sie deshalb in Bruckners Erster nach Einflüssen anderer Komponisten. Und es war nie allzu schwer herauszuhören, dass der Komponist begonnen hatte, Richard Wagner zu schätzen. Dass es auch Spuren von Beethoven, Mendelssohn oder Schubert gibt, ist letztlich unerheblich, denn unterm Strich ist es Bruckners Musik . Und es gibt auch keine Musik im luftleeren, ideenfreien Raum, und wenn es nur die Beeinflussung in Form von Abgrenzung ist. Bruckner wäre auch nicht Bruckner gewesen, wenn er nicht auch diese Sinfonie 25 Jahre (!) nach der Uraufführung noch einmal bearbeitet und aus der Linzer Urfassung die Wiener Fassung gemacht hätte. Und die spielten Gerd Schaller und seine Leute.
Nicht allzu viel verändert
Bruckner hat zum Glück nicht allzu viel verändert. Im Wesentlichen sind es einige Instrumentierungen und ein paar rhythmische Glättungen und Vereinheitlichungen. Und Gerd Schaller ist es in erstaunlicher Weise gelungen, diesem Werk des letztlich 67-Jährigen den Charme des sinfonischen Erstlings zu bewahren. Das Werk entstand in einer Zeit, in der Bruckner noch nicht seine eigenen sinfonischen Strukturen entwickelt hatte, ihm aber auch der traditionelle Rahmen zu eng geworden war. Denn das machte die Aufführung wunderbar deutlich: dass Bruckner, damals noch in Linz, den Kopf voller Ideen gehabt haben muss und auf keine verzichten wollte, dass er alles in seine Musik gepackt hat. Dadurch entstand eine Kleinteiligkeit, die zur Unübersichtlichkeit verleitet. Aber Gerd Schaller hatte sich dagegen gewappnet mit einem ganz klaren Dirigat und guten Übergängen, die den Zusammenhalt sicherten. Und das Orchester musizierte hoch konzentriert und konturenscharf, zeichnete starke Kontraste und Klangfarben und vertuschte dadurch auch nicht Bruckners Schwächen. Und wenn es nur der Umstand ist, dass sich das Scherzo mit einer Wucht verabschiedet, dass es das Finale (bewegt, feurig) gar nicht mehr gebraucht hätte. Bei diesem Zugriff zeigte sich, dass auch ein Projektorchester wie die Philharmonie Festiva auf höchstem Niveau musizieren kann, wenn es durch Kontinuität einen inneren Zusammenhalt schafft.
Auch etwas zum Schmunzeln
Dass man diese Musik , "das kecke Beserl" (Bruckner) ausgesprochen gerne hören konnte, weil man auch mal schmunzeln durfte und eben nicht immer wusste, wie sie in fünf Takten weitergeht, war angesichts der allgemeinen Tendenz, Bruckners Sinfonien in andachtsvollen Weihrauch zu tauchen, eine überraschende Erfahrung. Und es war gut, dass der Bayerische Rundfunk die Sinfonie aufgezeichnet hat, sodass man sie wohl auch irgendwann wieder einmal hören kann.
Vielleicht waren aber auch die Mikrofone des BR der Grund, dass der erste Teil des Konzerts schon etwas hinter den Erwartungen zurückblieb. Robert Schumanns Klavierkonzert a-moll hätte einfach etwas mehr Vorbereitungszeit gebraucht. Nicht nur, weil sich dann einige kleinere handwerkliche Irritationen hätten vermeiden lassen können, sondern auch, weil das Orchester dann weiter über die Routine des Begleitens hätte hinauskommen können, obwohl Gerd Schaller immer wieder Impulse gab. Man muss aber auch sagen, dass vom Klavier kaum Forderungen oder Vorschläge an das Orchester kamen.
Geheimnisvolle Zugabe
Luiza Borac suchte nicht den Kontakt, sondern spielte schnurgerade vorwärts, agogisch wenig gestaltend und mit flachen emotionalen Kurven. Dass Musik auch Geheimnis braucht, um zu wirken, war ihrem Spiel nicht zu entnehmen. Dafür war es vor allem an Phrasenschlüssen nicht immer bis zuletzt konzentriert. Schade, denn Luiza Borac hat im Regentenbau auch schon ganz anders gespielt. Als Zugabe hatte sie Robert Schumanns "Träumerei" dabei. Da war es dann plötzlich: das Geheimnis.