
Das Deutsche Sinfonieorchester Berlin mit seinem Ehrendirigenten Kent Nagano ist in diesem Jahr beim Kissinger Sommer stark vertreten. Es gab nicht nur zwei Konzerte im Max-Littmann-Saal, sondern das Orchester war auch das Fundament des Symphonic Mob im Kurgarten mit Kent Nagano in erhöhter leitender Position. Und dann darf man nicht übersehen, das das Bläserquintett des Orchesters mit der Sopranistin Sua Jo zum Freiluftkonzert in den Aschacher Schlosshof einlädt. Sollte es wider Erwarten regnen, wird in den Rossini-Saal umgezogen.
Beliebte Ouvertüre von Rossini
Am Samstagabend waren die heiteren Klänge angesagt. Natürlich nicht, weil Kent Nagano seine Leute für den Symphonic Mob schonen wollte. Denn nichts ist so schwer wie das Leichte. Und so war – man hätte ja fast drauf wetten können – eine der beliebtesten Ouvertüren von Gioachino Rossini der Türöffner: die Eingangsmusik zu seiner letzten Oper „Guillaume“ oder „Wilhelm Tell“.
Kent Nagano nimmt das Stück ernst
Was sofort auffiel und durchaus angenehm war: Kent Nagano erlag nicht der Versuchung, die Musik zum Klamauk zu machen, sondern er nahm sie ernst – und ein bisschen langsamer, als man erwartet hätte.
Naturlyrische Klänge
Das hatte zwei positive Effekte: Zum einen konnte 1. Solocellist Mischa Meyer sein einleitendes halbes Cellokonzert in aller nötigen Ruhe ausformulieren und einen starken emotionalen Boden bereiten. Vor allem aber konnte man mal hören, wie viele naturlyrische Klänge in dieser Musik stecken, welche Idylle mit Vogelgezwitscher und Kuhtreiben sie beschreibt, aber auch, wie sich, erst im Hintergrund, Nervosität breit macht angesichts der politischen Situation.
Kontrast
Da wirkte dann natürlich auch der aggressive Rhythmus aus Achteln und Sechzehnteln im Originaltempo des letzten Teils umso kontrastierender. „Wenn der Hund mit der Wurscht übern Eckstein springt“, sangen unsere Großväter zu dieser verlockenden Musik. Tatsächlich heißt dieses in 251 Takten vorüberrauschen Finale „Marsch der Schweizer Soldaten“.
Was beweist uns das? Dass Gioachino Rossini in seinem Leben nie eine Schweizer Truppe hat marschieren sehen. Denn hätte er dann wirklich „Allegro vivace“ darübergeschrieben mit 152 Viertelschlägen pro Minute?
Viel Raum für den Solisten
Bei Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert Nr. 24 c-Moll KV 491 konnte man das DSO als Begleitorchester genießen, das sehr differenziert musizierte und dem Solisten viel Raum für eigene Vorstellungen ließ. Schon die Exposition mit dem dramatischen Eingangsthema im Tutti und dem lyrischen Gegenthema in den mal wieder bestens disponierten Holzbläsern bereitete dem Klavier einen breiten Boden für seine Gestaltung.
Chopin-Wettbewerb gewonnen
Aber man musste leider feststellen, dass der polnische Pianist Rafał Blechacz enttäuschte (fast möchte man sagen: mal wieder). Man konnte sich nicht vorstellen, dass er vor 17 Jahren den Chopin-Wettbewerb in Warschau gewonnen hat. Denn er wirkte ideenlos, fast desinteressiert, ging nicht auf die vielen Vorschläge ein, die ihm das Orchester machte.
Einheitsschlag
Manuell ist er sehr sicher, aber sich nicht zu verspielen heißt noch nicht Musik machen. Er zelebrierte ein nahezu durchgehendes Mezzoforte – egal, was das Orchester machte – und spielte mit einem Einheitsanschlag. Nicht einmal in den Kadenzen, vor allem nicht in der letzten, zeigte er Interesse an einer Profilierung. Schade! Das Orchester hätte mehr verdient gehabt.
Nachts im Puppenladen
Ottorino Respighis „La Boutique fantasque“ oder „Der Zauberladen“ ist wiederum eigentlich von Rossini, aber von Respighi bearbeitet und orchestriert. Das Stück spielt in einem nächtlichen Puppenladen, ist aber eine Sammlung von damals typischen Tänzen wie Tarantella, Mazurka , Danse cosaque, Can-Can oder Valse lente, zum Teil etwas ironisiert (obwohl von Respighi), aber immer sofort rhythmisch erkennbar. Kent Nagano zelebrierte diese Tänze, sodass man sie in ihrem Charakter sehr gut erfassen konnte. Aber manchmal, wie etwa beim Can-Can, hätte man sich auch ein bisschen mehr Pfiff vorstellen können.
Geheimnisvolle Entwicklung
Ein bisschen verhaltener als üblich ging er zum Schluss auch Maurice Ravels „Boléro“ an. Aber hier war das höchst spannungsfördernd, den so lief er nicht, wie manche seiner Kollegen, Gefahr, den Deckel zu früh vom Topf zu nehmen. Man konnte die zunächst höchst geheimnisvolle Entwicklung sehr schön nachverfolgen, registrierte, wie sich allmählich die Klangfarben verändern, wie sich ein einziges ununterbrochenes Crecendo durch das Stück zieht, wie mit der Lautstärke langsam auch der Druck steigt.
Fantastischer Abschluss
Man konnte erkennen, dass es durchaus markante Punkte in dem Werk gibt, die einen Tonartwechsel bringen oder das Hinzutreten von weiteren Perkussionsinstrumenten. Denn der arme, aber nervenstarke Trommler bleibt ja nicht allein. Das war strukturell und musikalisch ein fantastischer Abschluss, von dem man viel Begeisterung mitnehmen konnte.
Aber vorher gab’s noch eine Zugabe: die mitreißend schmissig musizierte „Farandole“ aus Georges Bizets Arlésienne-Suite Nr. 2.
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