
Der Nahost-Konflikt ist in den Werken des Schriftstellers Leon de Winter (70), Sohn niederländischer Juden, ein immer wiederkehrendes, wenn auch von Buch zu Buch unterschiedlich behandeltes Thema.
So spielt auch sein neuer Roman, an dem er nach eigener Aussage zehn Jahre lang gearbeitet hat und der im Januar mit dem Titel „Stadt der Hunde “ im Diogenes Verlag erschien, in Tel Aviv und der Wüste Negev vor dem Hintergrund der anhaltenden politischen Verwicklungen und diplomatischen Schwierigkeiten Israels im Umgang mit seinem Nachbarland Saudi-Arabien.
Diesmal ist es die Mischung aus Familiendrama , der Erörterung philosophischer und psychologischer Fragen sowie mystischer Fabel, die sein Buch zu einem recht ungewöhnlichen Leseerlebnis macht.
Eine aussichtslose Suche
Vor zehn Jahren verschwand Lea Hollander mit ihrem Freund spurlos in der Negev-Wüste. Seitdem reist ihr Vater, der inzwischen im Ruhestand lebende Neurochirurg Jaap Hollander, Jahr für Jahr dorthin in der Hoffnung, Hinweise auf ihren Verbleib zu finden.
Seine Suche ist mittlerweile zu einer Obsession geworden. Je aussichtsloser die Wahrscheinlichkeit ist, seine Tochter noch lebendig zu finden, desto intensiver wird seine emotionale Bindung zu ihr.
Bei Hollanders jetzigen Aufenthalt tritt der israelische Ministerpräsident mit einer außergewöhnlichen Bitte an ihn heran: Er soll die Tochter eines befreundeten saudischen Prinzen operieren, die an einem lebensbedrohlichen Gehirntumor leidet.
Frieden oder Krieg
Zwar sind die Erfolgsaussichten dieser Operation minimal, doch muss sie gelingen, ist das Mädchen doch die designierte Herrscherin des arabischen Königreichs. Unter ihrer baldigen Regentschaft hoffen beide Seiten auf Liberalisierung des Wüstenstaats sowie auf gute nachbarschaftliche Beziehungen zwischen den Ländern.
Doch unter den jetzigen politischen Bedingungen muss diese in Israel vorzunehmende Operation streng geheim bleiben, weshalb die Vorbereitungen über eine Vermittlerin laufen. In diesem Fall geht es nicht nur um das Überleben oder Tod der jungen Patientin, sondern um Frieden oder bei Misslingen der Operation in Israel vielleicht um Krieg.
Trotz aller Selbstzweifel nimmt Jaap Hollander, der als bester Neurochirurg der Welt gilt, für ein Honorar von einer Milliarde Dollar diesen Auftrag an, um eine teure Suchaktion zu finanzieren in der verzweifelten Hoffnung, Spuren zu seiner Tochter zu finden.
Philosophischer und psychologischer Tiefgang
„Stadt der Hunde “ ist ein vielschichtiger Roman mit philosophischem und psychologischem Tiefgang, der allerdings – vom Autor so gewollt – nicht jede Frage bis ins Letzte beantwortet. So bleibt dem Leser ausreichend Freiraum, seinen eigenen Gedanken nachzugehen und selbst Antworten auf existenzielle Fragen zu finden.
Hollanders obsessive Suche steht sinnbildlich für seine tiefe Sehnsucht nach Wahrheitsfindung, nach Erlösung von eigener Schuld und auf Versöhnung, hatte er sich doch zu Lebzeiten seiner Tochter kaum um sie gekümmert. Das jährliche Pendeln zwischen den Niederlanden und Israel zeigt seine innere Zerrissenheit.
Leas Vater steht jetzt vor der Entscheidung: „Musste er seine Tochter aufgeben und dafür die Tochter eines anderen am Leben halten?“ Muss er bei der eigentlich aussichtslosen Operation auf etwas Höheres vertrauen, statt sich nur auf sein Wissen als Mediziner zu verlassen?
Ein vielschichtiger Roman
Den philosophischen und psychologischen Grundsatzfragen stellt der Autor in seiner atmosphärisch dichten, deshalb durchaus spannenden Handlung die aktuellen Probleme der immer noch unlösbar scheinenden geopolitischen Verstrickungen zwischen Israel und Saudi-Arabien sowie ethische Fragen der Medizin gegenüber.
Diese Vielschichtigkeit des Romans wird zusätzlich verstärkt, in dem Leon de Winter in einer Art Fabel einen sprechenden Hund erscheinen lässt, der den verunsicherten und verzweifelten Jaap Hollander auf den rechten Weg führt. Dadurch vermischen sich im Roman die Erzählungsebenen von Wirklichkeit und Traum.
Keine leichte Lektüre
Dieses Spannungsverhältnis zwischen grausamer, gnadenloser Realität und der metaphysischen Dimension, in der es die Hunde sind, die dank ihrer „übermenschlichen“ Weisheit uns Menschen in unserer Unzulänglichkeit und Unvollkommenheit den Weg zu Wahrheit und Erkenntnis zeigen, macht den Roman so interessant.
„Stadt der Hunde “ ist keine leichte Lektüre, keine entspannende Feierabend-Unterhaltung, sondern wirkt nachhaltig und lässt seine Leser nachdenklich zurück.
Informationen zum Buch: Leon de Winter : „Stadt der Hunde “, Diogenes Verlag , gebunden, 272 Seiten, Preis: 26 Euro, ISBN 978-3257072815