
UPDATE, Freitag, 18. April 2025, 9.45 Uhr:
Preisvergabe ruht bis zum Prozessende
Wie eine Sprecherin des Bundesbildungsministeriums dem Bayerischen Rundfunk mitgeteilt hat, werde das Verfahren der Preisvergabe im Einvernehmen mit dem Deutschen Studierendenwerk (DSW) bis zu einem "rechtskräftigen Abschluss des laufenden Strafverfahrens ruhend gestellt".
Das für sie vorgesehene, anteilige Preisgeld in Höhe von 3.345 Euro werde damit erst einmal nicht ausgezahlt. Der Bundespreis für Kunststudierende würdige nicht nur das künstlerische Werk von Kunststudierenden, sondern ist auch mit einer Förderung der jeweiligen Person verbunden, heißt es zur Begründung. Dabei seien die in Rede stehenden Vorwürfe "sehr schwerwiegend". (Quelle: br.de)
Dieser Vorgang dürfte einmalig in der Kunstszene der Bundesrepublik Deutschland sein: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) lobt alle zwei Jahre den staatlich geförderten Bundespreis für Kunststudierende aus. Eine der Preisträgerinnen heuer: Hanna S., 30 Jahre alt, geboren im Landkreis Bad Kissingen und derzeit Studentin der Akademie der bildenden Künste in Nürnberg.
Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und versuchter Mord
Ob Hanna S. allerdings ihr preisgekröntes Kunstwerk im November 2025 bei der dazugehörenden Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn sehen können wird, ist fraglich. Denn Hanna S. steht derzeit vor Gericht. Anklage erhoben hat der Generalbundesanwalt – er wirft der vom Bundesministerium ausgezeichneten Frau die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sowie versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung vor.

Hanna S. soll Teil der mittlerweile in den Medien als „Hammerbande“ bezeichneten linksextremen Gruppierung sein, die im Februar 2023 in Budapest beim sogenannten „Tag der Ehre“ (ein Neo-Nazi-Treffen mit Teilnehmern aus ganz Europa) mindestens fünf Menschen angegriffen haben soll, die aus Sicht der Angreifer dem rechten Spektrum zuzuordnen waren.
„Blitzartiger“ Überfall in Budapest
Die Verletzungen, die diesen Menschen vor allem am Kopf zugefügt wurden, sind teilweise schwer gewesen. Der Anklage zur Folge soll Hanna S. Beine und Arme eines der Opfer am Boden fixiert haben, nachdem andere mit einem Teleskopschlagstock laut Anklage „blitzartig“ den Opfern auf Kopf und Oberkörper schlugen. Durch das Fixieren von Armen und Beinen soll verhindert worden sein, dass die Opfer eine Schutzhaltung einnehmen konnten.

Bei einem weiteren Überfall auf ein anderes Opfer sollen als Schlagwerkzeug ein kleiner Hammer sowie Schlagstöcke verwendet worden sein. Ein Opfer erhielt mindestens 15 Schläge auf den Kopf.
Sie erhielt zwei Stipendien und den Akademiepreis
Hanna S. wurde am 6. Mai 2024 festgenommen , derzeit muss sie sich vor Gericht verantworten. Bis dahin galt sie als hoffnungsvolle Studentin: Seit 2020 studiert sie in der Klasse für Schmuck und Gerät bei Professorin Suska Mackert. Sie war bis Mai 2023 Stipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung und wurde im Juni 2023 in die Studienstiftung des deutschen Volkes aufgenommen. 2024 erhielt sie den Akademiepreis der Nürnberger Hochschule.
Und nun also ergattert Hanna S. den bei Studierenden so begehrten Bundespreis für Kunststudierte. Ein Preis, der direkt in die Galerien Deutschlands führt, der automatisch eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle, also dem Vorzeigeraum für Kunst in der Bundesrepublik, beinhaltet.
Hier also die Bundesregierung , die stolz aufs Werk der Künstlerin ist, dort der Generalbundesanwalt , der Anklage erhoben hat.
Hanna S. webte aus Frauenhaar einen Fußabstreifer
Um dieses Kunstwerk geht es: Hanna S. hat sich mit Macht- und Gewaltmechanismen auseinandergesetzt, kann man auf der Homepage der Akademie nachlesen. So hat sie aus verschiedenfarbigem Frauenhaar einen Fußabtreter gewebt.
Und sie hat „eine Kette aus Papierausdrucken von Gesetzestexten, Aussagen von Politikern und Medienberichten geknüpft, bei der jedes Glied der Kette für eine auf der Flucht im Mittelmeer ertrunkene Person steht“. Subtil und komplex, befindet Stefanie Kleefeld, Jurymitglied: „Hanna S.’ künstlerische Praxis findet ihren Ausgangspunkt in einer Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen – wie etwa dem ansteigenden Rechtsruck, der Flüchtlingskrise oder strukturellen Sexismen.“
Vorschlag kam von der Nürnberger Akademie
Der Vorschlag, Hanna S.’ Werke beim Preis einzureichen, kam von der Nürnberger Akademie, erklärt Stefan Grob, Stellvertreter des Vorstandsvorsitzenden des Deutschen Studierendenwerks, das den Wettbewerb mit Förderung vom Bund organisiert.
Die Auswahl der Vorschläge aus der Akademie in Nürnberg fand am 28. Mai 2024 statt – am 6. Mai 2024 wurde Hanna S. in ihrer Nürnberger Wohnung verhaftet.
Eine dreiköpfige Fachjury von Experten aus der Bundeskunsthalle plus Kunstprofessoren wählten unter rund 50 Arbeiten auch Hanna S. als Preisträgerin zusammen mit sieben weiteren Studierenden aus.
Gesamtpreisgeld für acht Preisträger: 30.000 Euro
Das Preisgeld – 30.000 Euro plus 18.000 Euro, um eine Ausstellung, eine Webseite und einen Katalog zu finanzieren – muss sich Hanna S. mit den anderen Preisträgern und Preisträgerinnen teilen.
Dass ihr überhaupt ein Preisgeld zusteht, scheint einige zu stören, was man vor allem auf einschlägigen Seiten wie tichyseinblick.de derzeit nachlesen kann. Die bis zum Urteil geltende Unschuldsvermutung scheint keine Relevanz zu haben. Dass Hanna S. nicht die vollen 30.000 Euro erhalten soll, sondern ein Achtel davon, wird in kaum einem Bericht erklärt, auch nicht auf dem Onlineportal bild.de.
Wettbewerbs-Organisator überrascht von Haft
Das Studierendenwerk wie auch das Bundesministerium waren von der Vita der Studierenden überrascht. Nachgefragt, wie denn das Studierendenwerk mit der Inhaftierung der Studentin umgeht, antwortet Stefan Grob: „Wir haben erst kürzlich davon erfahren, dass Hanna S. in U-Haft sitzt, beziehungsweise, dass sie sich vor Gericht verantwortet.“ Grob bittet um Verständnis: „Wir können uns derzeit noch nicht dazu äußern.“
„Etwaige Konsequenzen“ für Hanna S.
Ähnlich kurz ist auch die Antwort des Bundesministeriums für Bildung und Forschung , das derzeit Cem Özdemir (Grüne) untersteht: Fragen, ob der Umstand, dass sie derzeit vor Gericht steht, rückwirkend Auswirkungen auf die Preisverleihung haben könnte, oder ob das Werk vom Künstler getrennt gesehen werden kann, wurden nur mit einem Satz beantwortet: „Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat Anfang April (2025, red.) von der Situation erfahren. Die Kolleginnen und Kollegen sind gerade dabei, gemeinsam mit den Partnern den Sachverhalt zu erheben. Über etwaige Konsequenzen wird im Anschluss entschieden.“
Verweis auf Persönlichkeitsrecht der Studentin
Auch zugeknöpft gibt sich die Pressestelle der Akademie der bildenden Künste Nürnberg. Ob und wie die Angeklagte ihr Studium weiterführt und wie die Kommunikation mit ihrer Professorin aussieht? Keine Antwort aus Gründen des Datenschutzes. „Die AdBK Nürnberg achtet das Persönlichkeitsrecht der Beschuldigten. Im Fall von Hanna S. gilt – wie für alle Angeklagten während der gesamten Dauer eines Strafverfahrens – die Unschuldsvermutung“, so Sprecherin Petra Meyer in einer E-Mail.
Akademie „bestürzt“ über die „Schwere der gegen sie erhobenen Vorwürfe“
Im Juli 2024 hat sich Akademiesprecherin Petra Meyer den Nürnberger Nachrichten gegenüber wie folgt geäußert: „Wir sind bestürzt und besorgt angesichts ihrer Verhaftung und der Schwere der gegen sie erhobenen Vorwürfe. Unsere Hochschule hat ein Leitbild, das für Offenheit, Toleranz und gegen jede Art von Extremismus und Gewalt ist.“