Das „Hochschulpodium“ im Kuppelsaal des Dorint Resort & Spa Bad Brückenau, dieses Jahr erstmals nicht mehr samstags, sondern am Sonntagabend, ist eine kleine, aber hochinteressante und immer wieder erfreulich gut besuchte Veranstaltungsreihe. Das ist eine spannende Sache, weil das Publikum junge Musikerinnen und Musiker erleben kann, die es zuvor noch nie gehört hat, und weil dank dieser Veranstaltung die jungen Leute die Möglichkeit haben, unbeeinflusst von Vermarktungswünschen der Veranstalter auch Werke außerhalb des Standardrepertoires zu spielen, die sie gerne spielen, in denen sie sich wohlfühlen und sich zeigen können.
Robert Schumanns Fantasiestücke
Dieses Mal waren die Klarinettistin Magdalena Lipska und der Pianist Enrico Rizzi eingeladen, die ein Programm unter dem Titel „Eine musikalische Reise durch Europa“ mitgebracht hatten.
Magdalena Lipska studierte in ihrer Heimatstadt Jelenia Góra (Polen) und an der Musikakademie von Kattowitz, bis sie 2000 an die Musikhochschule Nürnberg zu Shirley Brill wechselte. Enrico Rizzi studierte Klavier am Konservatorium von Trento (Südtirol), wo er 2020 mit dem Master abschloss. Beide haben prominente Meisterkurse besucht, haben erfolgreich an internationalen Wettbewerben teilgenommen und als Orchestersolisten konzertiert.
Die Reise begann mit einem Werk aus dem Standardrepertoire: Robert Schumanns Fantasiestücke für Klarinette und Klavier op. 73. Ein schöner Einstieg, denn die drei Sätze erlauben – fordern – ein zupackendes, munteres Musizieren, sozusagen ein romantisches Drängen. Da waren die Stücke bei Lipska genau an die Richtige geraten. Sie nahm die Umsetzung der Satzanweisungen sehr genau und differenziert, spielte wunderbar zupackend und zielstrebig und mit ausgezeichneter virtuoser Sicherheit.
Wille zur kreativen Konfrontation
Bei Enrico Rizzi merkte man schon, dass er in seiner Entwicklung noch nicht ganz am Zielpunkt angelangt ist – aber das sollte man als Musiker natürlich nie sein. Er spielte seinen Part absolut tadellos.
Aber der Pianist Robert Schumann hatte sich seinen Part bestimmt anders vorgestellt: wesentlich stärker auf eine Auseinandersetzung mit der Klarinette orientiert. Er sah sich zu sehr als Dienender, der sich von der Klarinette immer wieder zudecken ließ. Wo er da noch zulegen kann, ist der Wille zur kreativen Konfrontation und Selbstbehauptung.
So bekam man tatsächlich den Eindruck, dass er wie ein freundlicher Korrepetitor spielte – auch ohne Kenntnis seiner Biografie. Bei Magdalena Lipska könnte man sich insgesamt lediglich an manchen Stellen eine bewusstere Gestaltung des wirklich Leisen vorstellen.
Die Wende kam schon mit dem nächsten Stück: mit der Fantasia da concerto su motivi del „Rigoletto“, die Giuseppe Verdis Zeitgenosse Luigi Bassi ursprünglich für Klarinette und Streichorchester geschrieben hat. Er hat nicht nur die schönsten „motivi“ herausgesucht, sondern er war selber gelernter Klarinettist .
Und da wusste er natürlich, mit welchen virtuosen Mitteln er seine Kollegen fordern – oder auch überfordern – konnte. Magdalena Lipska schienen die enormen Schwierigkeiten eher Vergnügen zu bereiten. Sie fegte durch die Girlanden und Kaskaden und waghalsigen Intervallsprünge in einer Dichte bis hin zur vermeintlichen Zweistimmigkeit, überspielte damit aber nicht glasklare, ansteckende Rhythmen.
Den Italiener in ihm geweckt
Für Enrico Rizzi war das eine Art Heimspiel. Bassi hatte ganz offensichtlich den Italiener in ihm geweckt. Er haute die wuchtigen Einleitungsakkorde in die Tasten und dramatisierte, wo immer es möglich war, um gleichzeitig ein absolut berechenbarer Partner für die Klarinette zu sein.
Hier machte es nicht nur Spaß, die berühmten Melodien zu verfolgen, sondern auch das durchaus konkurrierende Zusammenspiel der beiden Stimmen. Ob Verdi so viel Humor hatte?
Schnell wurde klar, dass die Sonate für Klarinette und Klavier op. 28 von Mieczyslaw Weinberg viel zu selten aufgeführt wurde. Natürlich hört man den Einfluss des befreundeten Dmitri Schostakowitsch .
Aber das sind vor allem das Ostinate, das differenziert Stereotype, die der Musik viel Kraft geben, vor allem im Mittelsatz, dem Allegretto, aber in den lyrischen, melancholischen Passagen, sehr schön weich und emotional von dem Duo gespielt, hat er seine eigene Welt in Musik gefasst.
Die wird vor allem im Schlusssatz des 1945 komponierten Werkes deutlich, in dem eine plötzlich aufkommende Verhärtung und Brutalisierung Assoziationen zu Weinbergs Flucht aus Warschau vor den deutschen Truppen in die Sowjetunion weckt. Und dennoch endet die Musik versöhnlich – eine tolle Gestaltung von Magdalena Lipska und Enrico Rizzi.
Zwei Zugaben erforderlich
Zwei kleinere Werke beendeten das Konzert, zunächst Claude Debussys Première Rhapsodie für Klarinette und Klavier, eine zunächst sehr sangliche Musik, die mit kleinen technischen Raffinessen wie einem wunderbaren Klarinetten-Stakkato, das vom Klavier rüde unterbrochen wird, und starken emotionalen Schwankungen aufwartet – ein Kabinettstückchen, das die beiden jungen Leute zu genießen schienen.
Und zum Schluss – natürlich – die Carmen-Fantasie von Pablo de Sarasate in der Bearbeitung von Nicolas Baldeyrou – also ein höchst dankbares Stück für Virtuosen.
Auch hier beeindruckte der souveräne Umgang mit den technischen Schwierigkeiten, aber auch die spannungsfördernden rhythmischen Raffinessen einer eigentlich sattsam bekannten Musik. Der Beifall war entsprechend: Zwei Zugaben aus dem Programm waren erforderlich.