
Eigentlich ist es bei der Familie Löwenhaupt nicht anders als bei anderen Familien in der Vorweihnachtszeit : Der Vater, der dröhnende Opernsänger Ludwig Löwenhaupt, hat schon Anfang November eine Weihnachtsgans gekauft, damit er die beste bekommt und sie noch mästen kann. Denn der Gänsebraten ist für ihn das Wichtigste am ganzen Fest. Und natürlich hat er sie lebend gekauft, damit sie bis zum Weihnachtsabend nicht verdirbt. Man kennt das ja auch von dem Karpfen in der Badewanne. Die Gans wurde in eine Kiste in den Kartoffelkeller gepackt. Oder geparkt. Da war es dunkel – und sie begann laut zu klagen.
Kinder können in Etappen mitfiebern
Man ahnt, wie die Geschichte ausgeht. Also als Erwachsener. Aber nicht die Kinder , die mit Gedanken an die Zukunft noch sehr sparsam sind. Da war das Märchen „Die Weihnachtsgans Auguste“, das Friedrich Wolf 1951 geschrieben hat, und das auch schon als Film, Fernsehspiel, Puppentrickfilm und Theaterstück bearbeitet wurde, genau das Richtige für die beiden Familienkonzerte des Bayerischen Kammerorchesters Bad Brückenau (BKO) im Ludwig-I.-Saal.
Denn da konnten die Kinder in Etappen mitfiebern. Und es kam, wie es kommen musste. Vor allem Peter, der Jüngste der drei Geschwister, war ganz vernarrt in das Federvieh, und der schaffte es, Auguste in ihrer Kiste neben seinem Bett zu installieren, ohne dass der Vater es merkte. Und sie schaffte es sogar bis in sein Bett. Eigentlich nicht schlecht, denn so hatte der Junge zumindest andeutungsweise ein Daunenbett.
Aber die Katastrophe trat ein. Der erzürnte Vater bestand auf seinem Gänsebraten, auf den er sich als Einziger in der Familie freute. So musste die Mutter das arme Vieh rupfen. Aber irgendwie hatte sie vergessen, dem Tier vorher den Hals umzudrehen. Denn plötzlich kam Auguste aus der Speisekammer herausgewatschelt, splitterfedernackt und erbärmlich frierend. Da musste schnell ein weißer Pullover gestrickt werden.
Märchen als konzertantes Sprechstück
Der Vater hatte schließlich ein Einsehen und kaufte bei letzter Gelegenheit eine neue Gans – diesmal bratfertig. Denn mit der Einkleidung war Auguste in der Familie angekommen – und hatte wohl den dröhnenden Vater aus dem Mittelpunkt verdrängt.
In bereits bewährter Weise hat der Dirigent Carlos Domínguez-Nieto aus dem Märchen ein konzertantes Sprechstück gemacht. Was sich als Musik dazu natürlich geradezu aufdrängte, war Maurice Ravels „Ma mère, l’oie“ (Mutter Gans“) und in weiteren Ausschnitten sein „Le tombeau de Couperin“, das vor allem das Pathos des Gänsebratenfreundes Löwenhaupt hörbar machte.
Mit Leichtigkeit und Humor
Das war eine ausgezeichnete Zusammenstellung, die in ihrer Interpretation sehr gut auf die Kinder zugeschnitten war. Denn die Brückenauer musizierten mit außerordentlicher Transparenz und Klangfreudigkeit, die neugierig machten, und die die Stimmungen leitmotivischer Elemente erfahrbar werden ließen. Und das alles mit Leichtigkeit und Humor.
Als Sprecherin war die Schauspielerin Sophie Wendt eingeladen. Sie ist als Sprecherin beim ORF in der Produktion von Hörbüchern tätig – also eine Sprecherin, die die Deutlichkeit und erzählte Spannung pflegt, was vor allem wichtig war, als sie in die Musik hineinsprach.
Schrilles Gänseschnattern kommt an
Was vor allem den Kindern besonders gefiel, war ihr schrilles Gänseschnattern – denn reden kann Auguste nicht.
Wobei Carlos Domínguez-Nieto für die Farbigkeit einen kleinen Kunstgriff anwendete: Die Stimmen der Familienmitglieder sprachen fünf Leute aus dem Orchester. Das Mikrofon wanderte also ständig von Hand zu Hand – durchaus eine logistische Herausforderung. Es war eine liebevoll gemachte und stimmungsvolle Einstimmung auf das Weihnachtsfest .
Und Achtung, liebe Kinder zwischen 4 und 99: Wenn euch ein weißes, seltsam watschelndes Wesen begegnet, ist das nicht irgendeine Gans im Schafspelz, sondern Auguste. Die beißt nicht, sondern will nur spielen. Denn sie ist froh, Weihnachten überlebt zu haben. Und wenn der Frühling kommt, wachsen auch wieder ihre Federn.