
Der Kissinger Sommer nimmt in diesem Jahr wieder einen langen Anlauf. Drei Wochen vor dem Eröffnungskonzert des Festivals gab's im Max-Littmann-Saal ein Sonderkonzert des Kissinger Sommers - mit der Sopranistin Diana Damrau und dem Harfenisten Xavier de Maistre . Natürlich hätte der Liederabend auch gut in das Zeitfenster des Festivals gepasst. Aber ein Weltstar wie Diana Damrau sitzt nicht mit freigehaltenem Terminkalender neben dem Telefon und wartet auf einen Anruf aus Bad Kissingen . Man muss sie nehmen, wenn sie Zeit hat, und wenn der Kissinger Sommer beginnt, singt sie an der Deutschen Oper in Berlin. Der Kissinger sommer kann sich glücklich schätzen, dass sie überhaupt kommt.
Aber vielleicht liegt das auch ein bisschen an ihrer Biographie. Natürlich war sie in den letzten Jahren ein paar Mal im Regentenbau, allerdings nicht allzu oft. Trotzdem konnte man ihre Entwicklung sehr gut verfolgen. Denn als sie das erste Mal zum Kissinger Sommer kam - das war Ende der 1990er Jahre - da tauchte sie mit ihrer Pianistin Michaela Schlotter im Kloster Maria Bildhausen auf. Da hatte sie noch niemand an vorderster Stelle auf der Rechnung. Ihre Opernlaufbahn hatte sie 1995 in Würzburg begonnen - als Eliza in "My Fair Lady". Aber mit dem Liedgesang hatte sie sich noch Zeit gelassen. Ihr Liednachmittag in Bildhausen war einer ihrer ersten derartigen Auftritte, vielleicht sogar der erste. Kein Wunder, dass sie da noch etwas blass um die Nase war, dass Michaela Schlotter ein fürsorgliches Auge auf sie warf.
Der Weg zur Primadonna assoluta war relativ kurz - heute kann sie sich an der MET in New York aussuchen, welche Partien sie singen will, und nicht nur da. Dabei hat sie ihre Stimme sehr behutsam aufgebaut und in jeder Hinsicht erweitert und komplettiert. Es gibt eigentlich nichts mehr - und das macht sie zu einer absoluten Primadonna - was sie mit ihrer Stimme nicht machen kann: Sie singt traumwandlerisch genau, bewältigt mühelos auch die größten und unbequemsten Intervalle, macht unhörbare Registerwechsel und hat ein ungemein reiches Klangfarbensprektrum. Man fragte sich immer wieder, wie sie das, was sie gerade tat, atem- und ansatztechnisch überhaupt machen konnte. Das bedeutet auf der anderen Seite, dass sie sich sehr stark auf die Gestaltung konzentrieren konnte.
Dazu kam die besondere Situation durch die Begleitung mit der Harfe. Natürlich ist die nüchterne, aber höchst effiziente Spielweise von Xavier de Maistre schon ein Ereignis an sich: Seine enorme Klarheit und Strukturiertheit, mit der er die Schichten seiner Begleitung hörbar macht, mit der er den eigentlich recht trockenen, angerissenen Harfentönen große Emotionalität verleiht, wie er mit dem Nachhall spielt. Es wurde wieder einmal deutlich, dass der Kontakt zwischen den beiden Interpreten wesentlich enger ist, dass sie viel besser aufeinander reagieren können. Ein Sänger sieht ja normalerweise nie die Hände des Pianisten . Dadurch wird die Kommunikation wesentlich aufwendiger. Die Harfe hat dadurch eine durchaus befreiende, entlastende Wirkung, die der Intensität zugutekommt.
Das Programm war aus stilistischer Sicht sehr gut zusammengestellt, weil es einen Zeitraum von 100 Jahren Kunstlied-Entwicklung in Europa zeigte - mit Werken von Felix Mendelssohn-Bartholdy , Sergej Rachmaninow , Alexander Vlasov, Reynaldo Hahn und Francis Poulenc. Besonders spektakulär war es deshalb nicht. Aber das Publikum merkte schnell, dass die Interpretationen an diesem Abend das Spannende waren. Wie etwa bei Mendelssohns "Auf Flügeln des Gesanges" nach einem Text von Heinrich Heine oder "Des Mädchens Klage" nach Friedrich Schiller , in denen die beiden komprimiertes romantisches Lebensgefühl entwickelten, ohne groß auf die emotionale Tube drücken zu müssen, sondern zu einem wunderbaren erzählerischen Tonfall fanden.
Das galt auch für die Romantik eines Sergeij Rachmaninow und seine viel zu wenig bekannte Lieder aus Opus 21 und 26 (es kann halt nicht jeder russische Originaltexte singen). Denn bei "Siren" ("Flieder") oder "Sumerki" ("Dämmerung") wurde deutlich, wie sehr die Weichheit der russischen Sprache sich mit der der Musik verbindet, wie sie dabei selbst zu Musik wird. Und bei Vlasovs mystisch verklärtem "Die Brunnen von Bachtschyssarai" nach Alexander Pushkin öffneten sich weite Räume.
Der zweite Teil ging an den franko-belgischen Raum. Diana Damrau ist eine der wenigen deutschen Interpreten, die wirklich französische Lieder singen können, weil sie nicht nur mit den Vokalen und Nasalen, sondern auch mit den Konsonanten mühelos spielt. Das kommt der etwas distanzierteren Romantik eines Reynaldo Hahn, außerordentlich zugute. Vor allem aber der Koproduktion des Franzosen Francis Poulenc und des belgischen Dichters Maurice Carême, "La courte paille" ("Das Hölzchenspiel"), in der die lockere Sprache der Fantasie reichlich Kapriolen schlägt und die Musik ihr folgt. Ein charmanter, witziger, aber höchst präzise gestalteter Schmarrn - da wurde das Zuhören zum puren Vergnüngen. Und dank Diana Damrau wissen wir jetzt auch, dass man Poulencs "Les chemins d'amour" auch ohne Schmalz singen kann.
Natürlich gönnte Xavier de Maistre seiner Partnerin auch zwei Atempausen mit Werke für Harfe solo: mit dem klangmalerisch raffinierten "Le rossignol", einer ungemein klangmalerischen Musik von Franz Liszt . Und mit "Légende" der Harfenistin Henriette Renié nach einem Gedicht von Leconte de Lisle, einem Kleindrama zwischen Elfen und Erlkönig, dessen tödlichen Ausgang man geradezu körperlich spüren konnte. Und das nur mit einer Harfe.
Drei Zugaben ließen sich Diana Damrau und Xavier de Maistre noch herauslocken: "Nichts" und "Wiegenlied" von Richard Strauss sowie "La vilanella", das die belgische Sängerin und Komponistin Eva dell"Acqua 1893 geschrieben hat. Der Kissinger Sommer 2019 hat fulminant begonnen.