1981 fing alles an. Dem Medizinaldezernent der Landesversicherungsanstalt Baden fiel auf, dass die Kurpatienten medizinisch sehr gut behandelt wurden, geistig aber verkümmerten. „Er fragte den Chefarzt einer Schwarzwaldklinik, Professor Fischer, und mich, ob wir nicht etwas für Geist und Gedächtnis der Patienten tun können“, erinnert sich Siegfried Lehrl, der seinerzeit an der Uni-Nervenklinik in Erlangen arbeitete. Die beiden erarbeiteten ein Programm und nannten es „Gehirnjogging“.
Lehrl, der 1962 am Frobenius-Gymnasium sein Abitur abgelegt hat, entwickelte das Programm in den Folgejahren mit Kollegen weiter, heute heißt es „Braintuning“. Eine der Übungen sieht zum Beispiel so aus: Die Geistessportler suchen in einem Text alle Wörter mit einer bestimmten Silbe und kreisen diese ein. „So gelangt man von einem schläfrigen oder entspannt wachen Zustand auf geistiges Hochleistungsniveau“, erklärt der 70-Jährige.
Bei dem mentalen Aufwärmen werde die Stimmung optimistisch. Zudem wachse der Drang weiterzumachen und sich geistig stärker zu fordern. Wer von sich oder anderen von jetzt auf gleich geistige Höchstleistungen erwarte, der erzeuge nur Misserfolge. „Sie sind leider in der heutigen Erziehung durch Eltern, Lehrer, Dozenten noch weit verbreitet, weil sie die Mechanismen des geistigen Arbeitens nicht kennen“, bedauert der Experte.
Bewegung hebt den IQ
Die Erforschung des Gehirns bescherte Lehrl auch einige kurios anmutende Erkenntnisse. Zum Beispiel, dass Kaugummikauen Aufmerksamkeit und Intelligenz erhöht. Und das kam so: Ein amerikanischer Sportwissenschaftler beobachtete, dass Basketballspieler, die am Spielfeldrand auf ihren Einsatz warteten, die Spielzüge nicht verfolgen konnten, weil diese zu schnell waren. Sobald sie aber selbst mitspielten, kamen sie wieder mit. „Nachdem ich das gelesen hatte, habe ich mit einem Internisten und einem Sportmediziner mehrere Studien durchgeführt“, berichtet Lehrl.
Sie maßen die Intelligenz von Personen auf Heimtrainern. Wenn diese in die Pedalen traten, stieg ihre geistige Leistungskapazität um 20 Prozent gegenüber den Ruhephasen. „Da lag der Gedanke nahe, dass Kaugummikauen ähnliche Effekte haben müsste. Die acht von uns dazu durchgeführten Studien bestätigten es ausnahmslos“, betont der Psychologe.
„Braintuning“ ist ein Sport für jedermann. Wen Ausbildung, Beruf und Alltag geistig unter- oder überfordern, sollte nach Lehrls Empfehlung wenigstens einmal täglich trainieren, und zwar mindestens eine Viertelstunde auf hohem Niveau. „Das bedeutet, mittelschwere bis schwere Aufgaben lösen bei hoher Geschwindigkeit“, erläutert er.
Anstiege des Intelligenz-Quotienten „vom geistigen Normalo zum Hochbegabten“ in wenigen Wochen seien keine Seltenheit. „Das belegen Studien mit Geistig-fit-Programmen an Grundschülern, Gymnasiasten, Berufstätigen und Ruheständlern“, unterstreicht der Psychologe. Das „Braintuning“ umfasst drei Phasen: 1. Aufwärmen (mentales Aktivierungstraining), 2. Übungen auf hohem Niveau, 3. Erholungsphase (Relaxationstraining).
„So erreicht man auf Dauer sehr hohe Intelligenzleistungen und brennt nicht aus“, erklärt der Präsident der internationalen Gesellschaft für Gehirntraining. Unter Anleitung können schon Kinder ab etwa sechs Jahren ihre grauen Zellen trainieren, nach oben gibt es keine Altersbegrenzung.
Finanzielle Interessen verfolgt Siegfried Lehrl mit seinen Programmen nach eigenen Worten nicht. „Im Vordergrund stand damals wie heute mein Forschungsinteresse. Nach wie vor fasziniert mich zu prüfen, ob das stimmt, was auf dem Gebiet der geistigen Leistungsfähigkeit behauptet wird. Als noch befriedigender empfinde ich es, wenn ich dabei etwas tun kann, das auch anderen Menschen weiterhilft“, erklärt er.
Seine spätere Arbeit wurde auch durch die Schulzeit in Hammelburg beeinflusst. „Die mathematisch-naturwissenschaftliche Ausrichtung der Oberrealschule erleichterte mir gegenüber vielen Kommilitonen an der Uni mein Studium und den Einstieg in erste wissenschaftliche Veröffentlichungen“, schildert der 70-Jährige.
Wichtig war ihm auch, dass ihm die Schule in Hammelburg genug Zeit ließ, sich in Jugendgruppen zu engagieren. „Bei den Pfadfindern lernte ich viel über den Umgang mit Angehörigen unterschiedlicher sozialer Schichten und sehr viel über die Natur“, berichtet er.
Siegfried Lehrl ist hin und wieder auch in Hammelburg zu Besuch. Nicht nur, weil dort die Grabstätten seiner Mutter und ihrer Eltern liegen. „Sondern auch, weil ich dort alte Bekannte, Nachbarn und ehemalige Schulkameraden treffe“, erzählt er. Allerdings liegt der letzte Besuch schon fünf Jahre zurück.