"Tilt!" oder "Gelöscht" - passt das zu einem Jahresrückblick 2024? Ja, doch, eigentlich schon. Oder doch nicht? Priol machte zu Beginn auf das große Problem aufmerksam: Die Politik erschwere ihm sein Leben. Denn die Sätze, die aus allen Ecken auf die Bürger einströmen, haben mittlerweile einen so starken satirischen Charakter, dass er eigentlich nichts mehr hinzufügen oder auf die Spitze treiben könne.
Als ob die Inquisition hinter ihm her ist
Natürlich hat er trotzdem problemlos abendfüllende Angriffsflächen gefunden. Und er ist auch einer, der mit einer verblüffenden Wortakrobatik die Dinge auf den Punkt bringen kann. Der sein Publikum enorm fordert, weil er den ganzen Abend mit einer Geschwindigkeit redet, als sei der Leibhaftige oder die Inquisition hinter ihm her. Man kann sich als Zuhörer nicht das kleinste Abschalten erlauben, sonst fliegt man raus. Aber Priol kann die Sache spannend machen mit seinen Ausflügen in die Dialekte und die perfekten Stimmimitationen der Politiker und des Mannes aus dem Volk, mit denen er bruchlose Dialoge entwickeln kann. Köstlich und erschreckend zugleich. Denn man fragt sich oft: Wo ist denn da Satire?
Von Donald Trump und dem Aus der Ampel-Koalition
Was sich im Blick auf frühere Programme geändert hat: Urban Priol hatte dieses Mal keine abgrenzbaren Themenblöcke, an denen er sich abarbeiten konnte, sondern er sprang geradezu ausgelassen zwischen Personen und Ereignissen hin und her. Nicht erstaunlich, denn 2024 war ein ungewöhnlich bewegtes Jahr mit dem 6. November als dramatischem Höhepunkt: Es hätte ja schon genügt, dass morgens Donald Trump gewählt war. Aber dann musste am Abend auch ein völlig überraschend emotionaler Olaf Scholz vor die Kameras treten und das Ende der Ampel-Koalition verkünden.
Christian Lindner als roter Faden des Programms
So etwas setzt auch einen Kabarettisten unter Druck, der möglichst viel in seinem Programm unterbringen will. Aber Urban Priol hatte einen roten Faden oder Running Gag: Christian oder Chrissy Lindner. Der tauchte immer wieder auf, nicht nur im Zusammenhang mit dem unappetitlichen "D-Day-Papier" der FDP , das er "nicht zur Kenntnis genommen" haben will – also gekannt haben muss: "Wahrscheinlich hat's der Bruder vom Aiwanger geschrieben. Und auch Informationen, dass Lindner Vater wird." Das mache Hoffnung auf eine Elternzeit, "am besten, bis das Kind volljährig ist".
Politgrößen bekommen ihr Fett weg
Auch andere Politgrößen bekamen ihr Fett weg – besonders intensiv CDU-Chef Friedrich Merz mit seiner rückwärtsgewandten Politik, die an Klaus Staecks berühmtes Wahlplakat für die CDU erinnert mit dem Satz: "Sicher zurück in die 50er-Jahre". Das manifestiere sich in der geplanten personellen Besetzung mit Namen, die in der Vergangenheit nicht mit großen Erfolgen aufgefallen sind.
Olaf Scholz kam fast glimpflich davon. In seinem TikTok-Auftritt habe seine alte Aktentasche mehr Charisma als er selbst. Aber er würdigte die Bemühungen des Kanzlers, Deutschland so weit wie möglich aus dem Ukraine-Krieg herauszuhalten. Markus Söders lückenhafte Kenntnisse in der Energiepolitik, insbesondere der Atomenergiepolitik , kamen ebenso zur Sprache wie die Verdienste des "Bauernschmeichlers" Hubert Aiwanger , des "bayerischen Wirtschaftsministers im Nebenerwerb" mit seiner "pathologischen Grünen-Angst". Und die AfD ? Naja: "Nicht jeder AfD-Wähler ist ein Nazi, aber er ist dumm."
Die Meckerkultur auf dem Höchststand
Ein bisschen nahm Urban Priol die Politik allerdings auch in Schutz. Die Meckerkultur habe in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht. Und sie habe sich eingeschossen auf die Hauptschuldigen: "Die Ampel ist schuld" daran, dass es an vielen Ecken kriselt. Sicher teilweise richtig. Aber keine Regierung habe "die Wirtschaft gezwungen, wichtige Entwicklungen nicht zur Kenntnis zu nehmen oder zu verschlafen. "Mal sehen, wer künftig schuld sein wird."
Einen kleinen Rippenstoß bekam auch Ex-Kanzlerin Angela Merkel für ihre Autobiografie: "Ein Buch von 740 Seiten, so lang wie ihre bleiernen 16 Jahre: "Ich habe 30 Seiten gelesen. Schade, dass es das Literarische Quartett mit Marcel Reich-Ranicki nicht mehr gibt."
Die Welt ist aus den Fugen geraten
Natürlich verließ man den Regentenbau mit einem Lachen im Gesicht. Aber spätestens in der nächtlichen Kälte musste man sehr schnell feststellen, dass das ein Lachen auf verdammt dünnem Eis war. Denn man hatte gelernt, dass die Welt wirklich aus den Fugen geraten ist, dass im Moment wirklich viel zu heftig an ihr gerüttelt wird und das "Tilt" nur eine Frage der Zeit zu sein scheint.
Wobei man Urban Priol dankbar sein konnte, dass er den Fokus vor allem auf den heimatlichen, überschaubaren Raum richtete, wo Politik als Daseinsfürsorge betrieben wird, allerdings nicht nur für die Bürger, sondern erkennbar auch für das eigene Wohlbefinden der Akteure. Und dass er die barbarischen Kriege außen vor ließ, denn da gibt es wirklich nichts zu lachen. Der Titel "Tilt!" passt schon deshalb, weil wir auch im kommenden Jahr wieder verdammt viel Geld in die Erdkugel einwerfen müssen, um sie in Gang zu halten.
Nur in einer Hinsicht passt das "Tilt!" nicht: Es gibt kein Zurücksetzen auf null. Wir werden die ganzen Probleme ungekürzt mit ins neue Jahr hinübernehmen. Und eine Besserung ist nicht in Sicht. Das Licht am Ende des Tunnels kann auch der entgegenkommende Zug sein.
Personen nichts mehr zu tun !
Selbst wenn man die Alt -Bundeskanzlerin nicht leiden mag , sollte man wenigstens die
Würde des Menschen berücksichtigen . Das geht schon sehr unter die Gürtellinie und
hat mit Kabarett einfach nichts mehr zu tun .
Anscheinend traut sich das ihm aber keiner so wirklich mal zu sagen !
Man konnte oft schon über das Programm geteilter Meinung sein und auch die künstlerische Freiheit in den Beiträgen noch mit einem Augenzwinkern bewerten.
Diesmal jedoch kann ich für mich sagen, das ist das letzte Mal war, dass ich ihn mir angesehen und angehört habe. P. Schlammschlacht und billig verpackte Wahlkampf. Polemik ließen die Veranstaltung in meinen Augen zu einem negativen Kabarettist Lieschen Höhepunkt werden.
Wenn man den Zenit seines Wirkens überschritten hat, und diese Art der Darbietung auspacken muss, dann sollte man vielleicht doch überlegen, eine schöpferische Pause einzulegen.