
Die Neugierde hatte mich gepackt. Und ein bisschen fühlte ich mich wie eine Mischung aus Abenteurer und Archäologe, auch wenn mein zu hebender „Schatz“ allenfalls einen imaginären Wert besitzt. Egal. Über das Skispringen anno dazumal in und um Bad Kissingen hatte ich schon mal was geschrieben. Über die wörtlich zu nehmenden jungen Hüpfer, die am Sinnberg und am Reiterswiesener Finsterberg die Gesetze der Schwerkraft zumindest für Augenblicke auszuhebeln versuchten.

Komplett aus der Zeit gefallen wirken die Bilder , natürlich in schwarzweiß, dieser in Handarbeit gebauten Schanzen, die keinem Vergleich standhalten mit den hypermodernen Anlagen der Neuzeit. Genau das macht den Reiz aus dieser gefühlt prähistorischen Sportstätten.
Schon Ende der 1920er Jahre wurde am Sinnberg gesprungen
Am Sinnberg wurde schon Ende der 20er Jahre abgehoben. Der Eröffnungssprung am 27. Januar 1929 wurde vor großer Kulisse von Willy Wegemer durchgeführt, der als Skiwart die treibende Kraft beim Schanzenbau war. Der fachliche Berater für das Projekt war der Architekt Andreas Probst. Der Anlauf war 50 Meter lang. Bei 16 Metern lag der kritische Punkt. Die Schanze erlaubte Weiten über 20 Meter. Darüber hinaus wurde eine kleine Jugendschanze gebaut.
Unter den Füßen hatten die mutigen Burschen oft sogenannte Schreinerskier mit Huitfeldt-Bindung oder der in Schlosser-Werkstätten angefertigten Kissinger-Bindung. Stahlkanten wurden noch nicht verwendet. Nach Lehrbüchern versuchten sich die Flieger von der Fränkischen Saale den Telemark oder Kristiana-Schwung anzueignen, beides alte norwegische Skitechniken. Später kamen die ersten Sprungskier in die Kurstadt, mit drei Rillen und 2,60 Meter lang. Passendes Material gab es im Sportgeschäft der Gebrüder Götz in der Promenadenstraße.
„Wir waren eine starke Truppe“
„Wir Jugendliche waren größtenteils arbeitslos und nutzten die Zeit zur sportlichen Ausbildung. Wir waren eine starke Truppe“, steht geschrieben in den handschriftlichen Aufzeichnungen von Philipp Dees. Dessen Sportkameraden damals waren unter anderem Hugo Hille, Franz Freundschuh, August Popp, Karl Weiß oder Willi Zechentmayer.

Nach dem 2. Weltkrieg war kein Skispringen möglich, weil der aus Rundhölzern bestehende Schanzentisch zum Heizen der Wohnungen aus der Not heraus zweckentfremdet wurde. In den 50er Jahren erlebte das Skispringen in der Nähe des Bismarck-Turms eine Renaissance mit mehreren Wettkämpfen, zu denen die Springer aus der Vorrhön und Rhön kamen. Dazu wurde die Schanze umgebaut zu einer K30 mit steinernem Schanzentisch, von dem sich Heinz Sandner und Co. höhere Weiten erhofften. 1965 wurde die Schanze noch einmal für sehr kurze Zeit reaktiviert.
Bis zu 25 Meter weite Sprünge
Auf Initiative von Philipp Dees, dessen Sohn Harald über ein bemerkenswertes Bild- und Dokumenten-Archiv verfügt, begann im Herbst des Jahres 1948 der Bau der großen und kleinen Finsterberg-Schanze. „Auf der größeren Schanze waren immerhin 25-Meter-Sprünge möglich. Die Schanzen waren im Anlauf sehr steil, der Radius vor dem Schanzentisch war eng und der Tisch furchtbar kurz, sodass man den Absprung wirklich ganz genau erwischen musste. Viele Stürze waren die Folge, aber bei gestandenen Sprüngen waren wir umso stolzer. Unsere Vorbilder waren der Weyrich Franz, der Feichtinger Franz oder der Sandner Heinz, der auf seinen alten Holz-Latten auf der großen Kreuzbergschanze mal 85 Meter weit sprang“, hatte Horst Herbst in seinen Jugenderinnerungen niedergeschrieben.

In den 60er Jahren führten schneearme Winter zu nachlassendem Interesse am Skisprung. Als ein Sturm die Schanze am Finsterberg, marode geworden durch morsches Gebälk, am 16. März 1968 zum Einsturz brachte und diese wenig später komplett abgetragen wurde, war das Ende des Skisprungs in Reiterswiesen und Bad Kissingen gekommen.
Geduld ist nötig bei der Spurensuche
Wer sich heute auf Spurensuche begibt, braucht Geduld, ein wenig Kondition und gutes Schuhwerk. Am Finsterberg erinnerte an einem unscheinbaren kleinen Platz im Wald viele Jahre eine Schautafel an die ehemaligen Schanzen. Übrig geblieben ist das gusseiserne Gerippe. Ein paar Meter weiter, wo die gewagte Holzkonstruktion stand, gibt es nur Bäume und Buschwerk. Von der Spitze des Hangs bietet sich immer noch ein weiter Blick über Reiterswiesen hinweg in die Ferne, aber wo die Springer früher in Richtung Ortsmitte flogen und rutschten, reiht sich längst Grundstück an Grundstück.

Am Sinnberg existieren lediglich die Reste des steinernen Tisches. Um dahin zu gelangen, muss man sich auf die steilen Trailpfade oberhalb des Bismarck-Turms linker Hand begeben und den Blick schärfen bei der Suche nach dem überwucherten Mauerwerk. Wer dort angekommen die Augen schließt, sieht sie immer noch, die ins Saaletal fliegenden Bad Kissinger Burschen.