Kinder zählen die Tage bis Weihnachten, Kissinger zählen bis Rakoczy. Beim großen Heimatfest Ende Juli schwelgt die Kurstadt alljährlich in Erinnerungen an ihre Weltbadzeit. Und wir schwelgen mit. Die Zeit des Wartens verkürzen soll uns allen eine kleine Serie rund um das Fest. Den Auftakt bildet ein Beitrag über Kaiserin Elisabeth I., die heimliche Königin des Fests.
Eine Kaiserin als heimliche Königin? Ein Widerspruch ist das nur auf den ersten Blick. Schon der zweite offenbart schnell, welche Bedeutung die Figur für das Fest besitzt. Besonders wenn dieser zweite Blick auf den Pin fällt, mit dem Besucher dokumentieren, dass sie zwei Euro Eintritt für die drei Festtage bezahlt haben. In diesem Jahr zeigt der Pin das Portrait von Silvia Matthes. Sie verkörpert beim Rakoczy-Fest die Sisi.
Natürlich liegt das zuallererst am historischen Vorbild. Die echte Sisi war ein so genanntes Christkindl. Sie könnte in diesem Jahr 175. Geburtstag feiern. Dem tragen auch die Organisatoren des Bad Kissinger Rakoczyfests Rechnung.
Völlig unabhängig von diesem Jubiläum, hat die Figur der Sisi unter den Historischen des Rakoczyfests stets herausgehobene Bedeutung. Das spürt Silvia Matthes sobald sie auf Publikum trifft. Das Interesse an der Figur, das Bedürfnis, sich mit der Kaiserin fotografieren zu lassen, sei riesig, erzählt sie.
Der Mann an ihrer Seite kann das bestätigen. Rolf Matthes, der Darsteller des österreichischen Kaisers Franz Joseph, ist nicht nur zu Rakoczy, sondern auch im Privatleben mit Silvia Matthes verheiratet. Das österreichische Kaiserpaar stellen die beiden heuer im zweiten Jahr dar. 2010 gab Rolf Matthes noch den Victor von Scheffel. Von der Aufmerksamkeit her, ist das mit der Rolle als Mann neben Sisi kein Vergleich.
Zu verdanken hat die Figur das nach Silvia Matthes Einschätzung weniger der echten Sisi. Prägend sei vielmehr die Schauspielerin Romy Schneider. Deren Darstellung des Mädchens, das viel zu jung Kaiserin wurde, in den populären Edelkitsch-Filmen der 50-er Jahre ist in der Vorstellung vor allem des weiblichen Publikums viel präsenter als die recht komplizierte echte Kaiserin.
Bezeichnend ist für Silvia Matthes etwa, wenn ihr junge Mädchen beim Fest „Viva la Mamma“ zurufen. Das ist ein Zitat aus einer der emotionalsten Szenen aus Schicksalsjahre einer Kaiserin von 1957, dem dritten Teil der Sissi-Trilogie.
Silvia Matthes bestreitet gar nicht, dass sie selbst auch „die liebliche Sisi“ lieber mag. Mit der originalen Elisabeth könne sie sich nur schwer vergleichen. Die sei doch zum Beispiel auch depressiv gewesen. Das passe nicht zu ihr: „Ich bin ein lebenslustiger Mensch.“
Dennoch legt das Kissinger Heimatfest Wert auf Realitätsbezug. Der Kosename der österreichischen Kaiserin wird in Kissingen Sisi, also richtig, geschrieben, zumindest von offizieller Rakoczyfestseite. Vermutlich kann das aber auch nicht ganz verhindern, dass sich bei manchen Besuchern der starke Gedanke an Romy Schneiders Sissi durch ein zweites, falsches, s in der Mitte einschleicht.
Die echte Sisi war übrigens sechsmal in Kissingen zur Kur. 1862 kam sie zum ersten Mal. 1898, wenige Monate vor ihrer Ermordung durch den Anarchisten Luigi Lucheni in Genf, zum letzten Mal.
Mit dem naiv-charismatischen Mädchen der Sissi-Filme hat die historische Figur der Kaiserin eher wenig zu tun. Biografen beschreiben sie als äußerst wechselhaft im Gemüt. Mit einer Neigung zu Extremen, habe sie ausgiebig Gymnastik betrieben, in hohem Tempo lange Wandermärsche unternommen und sich radikalen Diäten unterworfen.
Die Kurstadt besuchte sie mal inoffiziell unter dem Pseudonym Gräfin von Hohenembs, mal offiziell. In Kissingen traf sie, 1864, bei der so genannten Hohen Kur, zu der zudem das russische Zarenpaar anreiste, auch ihren Vetter Ludwig II. Zwischen ihrer vierten Kur 1865 und der fünften lagen 32 Jahre. 1897 kam sie wieder als Gräfin von Hohenembs. Das Inkognito war aber eher Flucht vor den Zwängen des Protokolls als echtes Versteckspiel. Auch die so genannte schwarze Sisi der beiden letzten Kissingenbesuche kommt beim Rakoczyfest gelegentlich zu ihrem Recht, verkörpert durch Ingeborg Willerding.
1898 traf sie in Kissingen auch den Kaiser. Im selben Jahr besuchte außerdem eine andere wichtige Frau im Leben des Monarchen die unterfränkische Kurstadt. Katharina Schratt, die 1899 noch einmal kam. Die Schauspielerin war die langjährige Freundin des Kaisers. Er und seine Frau hatten sich bereits nach einigen Ehejahren entfremdet. Stärker als es selbst die Sissi-Filme andeuten.
Welche Bedeutung unter den Frauenfiguren der Historischen Persönlichkeiten die Sisi hat, lässt sich auch an den Darstellerinnen ablesen. Gelegentlich bindet die Rolle frühere Quellenköniginnen noch einmal ein. Zuletzt war das etwa bei Astrid Schmitt und Kristina Zoll so. Für Silvia Matthes, die Nachfolgerin von Astrid Schmitt in der Rolle, gilt das nicht. Dafür ist die Familie in diesem Jahr rundum k. und k., kaiserlich und königlich. Vater Rolf und Mutter Silvia agieren als österreichisches Kaiserpaar. Und Tochter Luisa Matthes ist im Juni zur Rosenkönigin gewählt worden.
Serie Unser Rakoczy
Eine bunte Mischung an historischer Information, Unterhaltung und Service bietet Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, die kurze Serie, mit der wir Sie in den nächsten Tagen auf das Rakoczy-Fest einstimmen wollen. Dem heutigen Text über Kaiserin Elisabeth I., die in diesem Jahr 175. Geburtstag feiern würde, folgen unter anderem ein zusammengeschwindeltes Gespräch mit dem Schriftsteller Theodor Fontane und Fundiertes über Prinzregent Luitpold, dessen 100. Todestag auf den 12.12.12 fällt. Dazu kommen Informationen über die Medienwiese, ein neues Angebot der Festorganisatoren.
Wenn Sie sich mit den Historischen Persönlichkeiten des Fests tiefer auseinandersetzen wollen, kann der Blick in ein Buch nicht schaden. Wir empfehlen Peter Zieglers Prominenz auf Promenadenwegen.