Bekanntlich hat jedes Festival – vor allem, wenn es viereinhalb Wochen dauert – ein verbrieftes Recht auf einen Flop. Beim Kissinger Sommer 2023 wäre das fast schiefgegangen. Aber wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Flop daher, und zwar wirklich fast in allerletzter Sekunde.
Es war zum Glück nicht das Abschlusskonzert , sondern das vorletzte Konzert im Kurtheater. „Simone Rubino and Friends“ war angekündigt – mit anderen Worten: ein Perkussionsensemble mit Chef und fünf seiner Studenten.
Hohe Erwartungen
Die Erwartungen waren einigermaßen hoch, denn der Turiner Simone Rubino ist ja kein Unbekannter. 2014 gewann er den ARD-Wettbewerb im Fach „Percussion“; 2016 erhielt er den Crédit Suisse Young Artists Award im Rahmen des Lucerne Festivals. Seit Februar 2020 ist Rubino Stipendiat des Borletti-Buitoni Trusts, 2018 war er Artist in Residence beim Münchner Rundfunkorchester , 2020 bei der Filarmonica Arturo Toscanini in Parma. Simone Rubino hat seit September 2019 eine Professur an der Haute École de Musique de Lausanne sowie eine Gastprofessur an der Berliner Universität der Künste . Ziemlich viel Lorbeer.
Aber viel war davon nicht zu merken. Vielleicht war Simone Rubino eine Fehleinschätzung unterlaufen. So wie er auf die Bühne kam und seine Moderation begann, schien er zu glauben, dass er Bad Kissingen im Allgemeinen und das Festival im Besonderen erst einmal perkussionsmäßig elektrifizieren müsse.
Schlagzeugszene an der Städtischen Musikschule
Man hätte ihm sagen sollen, dass es – der Thomas Friedrich kann das ruhig auch lesen – an der Städtischen Musikschule eine blühende Schlagzeugszene gibt, die jedes Publikum mit ihrer Musikalität, ihrem Können und ihren Ideen aufmischen kann. Die sollte er sich einmal anschauen und anhören. Und es waren auch schon viele trommelnde Berühmtheiten beim Festival wie Evelyn Glennie oder Li Biao, dem er in Berlin auf der Straße begegnen kann.
Fünf komplette Drumsets
Es war nicht nur Rubinos Moderation ein Problem, der gewisse Resonanztheorien vertrat, die er allerdings nicht wirklich erklären oder gar vorführen konnte. Es war auch die große Bescheidenheit bei der Auswahl des Instrumentariums. Fünf komplette Drumsets füllen zwar eine Bühne. Aber Überraschungen ermöglichen sie nicht. Und davon lebt eigentlich ein Percussion-Konzert.
Mühsame Umbaupausen
Und dann waren es die ständigen mühsamen Umbaupausen (mindestens ein Drittel der Gesamtzeit), die jeglichen Schwung aus der Veranstaltung nahmen. Auf einer Galeere wurde doch früher auch das Rudertempo mit einer großen Trommel beschleunigt.
Ach ja, die Musik – soweit man sie erkennen konnte. Denn Rubino hatte, wie schon mehrfach im Vorfeld, das Programm geändert, hielt es aber nicht für nötig, darauf hinzuweisen.
Den Anfang machte tatsächlich Rubinos Eigenkomposition „Menschine“ für Schlagzeugquintett, in der man mit traditionellen Mitteln etwas über die Härte und Getriebenheit des Lebens erfahren konnte. Steve Reichs „Music for Pieces of Wood“ für fünf Klanghölzer und Schlegel ist beim Festival bestens bekannt. Manche Gruppen machen das mit Klatschen. Die große Kunst besteht darin, in dem fugenartigen Gemenge der verschiedenen Rhythmen so punktgenau einzusetzen, dass am Ende alle gleichzeitig und in Harmonie aufhören.
Gesang mit Kopfstimme
Lamberto Curtonis „Quel metro che ci avicina“ war ganz schön in ihrer Intimität, weil sie nicht mehr sein wollte, als sie war: Simone Rubino sang mit Kopfstimme oder hohem Tenor ein Gedicht von Mariangela Gualteri und begleitete sich selbst auf dem Vibraphon. Casey Cangelosis „Bad Touch“ war eine ganz nette Mummenschanznummer für einen Schlagzeuger und Playback, dessen einzig sichtbare Hand mit einem Schlegel sich nur nach der eingespielten Musik bewegt.
Teleskopstative mit Frame Drums
Eigentlich sollte jetzt Rubinos Uraufführung von „Das Lied eines Teleskops“ kommen, aber es kam erst nach der Pause: fünf etwa mannshohe Teleskopstative, an deren oberen Ende fünf große Frame Drums befestigt waren. Davor standen fünf Spieler mit dem Rücken zum Publikum und erzeugten mit Reiben oder leichtem Klopfen Geräusche, wie sie vielleicht Mikrofone aus dem Weltall aufnehmen. Aber warum die fünf immer mal einen Arm huldvoll in Richtung Publikum ausstreckten, wusste nur Matias Macchi, der Choreograph. Aber der konnte nichts sagen, weil er mitspielte bei diesem Teil eines „Projekts“.
Ansonsten gab es noch drei „Contrapuncti“ aus Johann Sebastian Bachs „Kunst der Fuge“ (statt der d-moll-Chaconne) für zwei Vibra- und zwei Marimbaphone – für vier Leute keine spieltechnische Herausforderung und auch keine neue Klangerfahrung.
Und zum überraschenden Schluss für alle sechs Musiker Iannis Xenakis „ „Peaux“ aus den „“Pléiades“. Da ging es dann endlich mal wirklich zur Sache.
Keine Zugabe
Für eine Zugabe war laut Simone Rubino auf der ziemlich leeren Bühne leider kein Platz (?!), aber er hätte die Zeit nutzen können, um, wie eigentlich angekündigt, dem Publikum doch noch seine „Friends“ und Mitspieler vorzustellen.
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