Fast 80 Zuhörerinnen und Zuhörer kamen zum 2. Mittwochs-Talk, der kleinen Hammelburger Talkshow, bei der es um Menschen und ihre persönlichen Geschichten und Erfahrungen geht und die als Kooperationsveranstaltung von Volkshochschule, Stadtbibliothek und katholischer Pfarrgemeinde durchgeführt wird.
Diesmal hatte Moderatorin Maria Albrecht-Martin die Hebamme Eva Fella eingeladen, die für die Hilfsorganisation Cap Anamur zu einem Einsatz in die afrikanischen Nubaberge im Südsudan aufgebrochen war. Fast zehn Monate hatte sie in einem Dorf verbracht, in dem die Menschen ohne elektrischen Strom und ohne fließendes Wasser leben. Auch für das gesamte Krankenhaus, in dem Eva Fella arbeitete und wohnte, musste das Wasser täglich von einem Brunnen außerhalb des Gebäudes herbeigeschafft werden.
Da verirrt sich schon mal eine Ziege in den Kreißsaal
Die Moderatorin hatte die herausfordernde Aufgabe, aus über acht Stunden hochinteressanten Vorgesprächs eine Struktur für den 90-minütigen Abend zu erstellen. So bekam das Publikum zunächst durch Fotos, einen kurzen Videoausschnitt und Eva Fellas Erklärungen einen realistischen Einblick in ihre zum Teil unglaublichen Erfahrungen dort. Beispielsweise ist ein Kreißsaal , in dem gleichzeitig drei Frauen ohne Privatsphäre nebeneinander nicht nur in den Wehen liegen, sondern dann auch gebären, ebenso normal wie die Tatsache, dass sich dorthin ab und zu auch mal eine Ziege verirrt.
Wenn man für die gynäkologische Station bei 28 Betten in drei Räumen von 28 Patientinnen ausgeht, hat man sich komplett geirrt. Jede Patientin muss für einen Krankenhausaufenthalt grundsätzlich einen sogenannten Co-Patienten mitbringen, der für Verpflegung, Kleidung und Pflege Sorge trägt, da das nicht vom Krankenhauspersonal übernommen wird. Oft kommen zusätzlich kleinere Kinder mit zum Aufenthalt der Mutter und nicht selten auch Tiere wie zum Beispiel Hühner, die auf dem Weg ins Krankenhaus erworben worden sind, um die Verpflegung aller Beteiligten zu sichern. So kommt es, dass die Krankenhausräume oft komplett übervölkert sind und auch die dortigen hygienischen Bedingungen unseren deutschen Standards diametral gegenüberstehen.
Auszug aus dem Tagebuch
Sehr berührend war es, als Eva Fella eine Passage aus ihrem Tagebuch vorlas, in dem sie die dramatische Situation eines in der 28. Schwangerschaftswoche geborenen Frühchens festgehalten hatte. Statt mit Wärmebettchen konnte die deutsche Hebamme nach der Geburt nur behelfsmäßig mit Handtüchern, Wärmflaschen und Plastiktüten als Isolationsmaterial arbeiten, um das kleine Leben zu stabilisieren und schließlich mit kreativen und improvisierten medizinischen Maßnahmen tatsächlich zu retten.
Neben der medizinischen Versorgung von Schwangeren, Gebärenden und Neugeborenen gehörte die Weiterbildung von nationalen Geburtshelferinnen sowie die gesundheitliche Aufklärung der Einwohner auch umliegender Dörfer zur Fellas Aufgaben.
Um im zweiten Abschnitt des Abends ihrer Gesprächspartnerin in kurzer Zeit möglichst viel an Informationen zu typischen kulturellen Unterschieden im Alltagsleben zu entlocken, spielte die Moderatorin ihrem Gast zu zehn ausgewählten Themen je ein Stichwort und ein Foto zu. Eva Fella teilte den Zuhörenden dann in komprimierter Form mit, was sie dazu ganz allgemein beobachten konnte.
Fehlende Schulbildung hat Auswirkungen
So erfuhren die Zuschauer beispielsweise, dass Sorgum (eine Hirseart) fast das einzige Nahrungsmittel für die einheimische Bevölkerung darstellt. Sie hörten etwas zur Bestattungskultur, die sich meist auf ein Vergraben des Leichnams in einem Loch irgendwo im Boden beschränkt, ohne weitere Hinweise auf den Verstorbenen. Auch das Thema Müll hat in den Nubabergen einen ganz anderen Stellenwert als bei uns. Entscheidend ist dort, dass der Regen ihn in den nahegelegenen Fluss spült, denn dann sei er nicht mehr da und somit das Problem gelöst. Fella betonte, auch diese Herangehensweise mache deutlich, dass Analphabetismus und fehlende Schulbildung dort Ursache für viele Probleme sind.
Im letzten Teil der Veranstaltung befragte Albrecht-Martin ihren Talkgast nach ganz persönlichen Erkenntnissen und Bewertungen der vielfältigen und teilweise extremen Erfahrungen. Obwohl sich Eva Fella sehr gut an das Leben in Afrika anpassen konnte, gab sie zu, dass es durchaus mehrere Situationen gab, in denen sie aufgrund des krassen Kontrasts zu ihrem Leben und Arbeiten in Deutschland an ihre Grenzen kam.
Ganz besonderer Rückzugsort
Auch die Tatsache, dass sie selbst in ihrem Wohnbereich fast ununterbrochen von anderen Menschen umringt war, war eine sehr anstrengende Komponente. Jedoch hatte sie, wenn sie Ruhe brauchte, einen ganz besonderen Rückzugsort, nämlich das Zuhause einer älteren Mitarbeiterin aus dem Dorf. Obwohl sich die beiden Frauen aufgrund von Sprachbarrieren nur nonverbal verständigen konnten, hatten sie eine sehr innige Beziehung zueinander aufgebaut. Sie konnten miteinander schweigen, sich über die Anwesenheit der jeweils anderen freuen und dabei eine starke Verbundenheit spüren.
Diese vollkommen neue und sehr wertvolle Erfahrung ist eine von vielen, die Eva Fellas Blick auf die Welt und das Leben verändert hat und warum der deutschen Hebamme der Abschied aus dem afrikanischen Bergland und seinen herzenswarmen Menschen sehr schwer gefallen ist. Gleichzeitig ist sie sehr dankbar für die Zeit und alles, was sie dort lernen konnte. Für sie hat sich damit ein langgehegter Lebenstraum verwirklicht, der tiefgreifend nachwirkt und mit Sicherheit ihr weiteres Leben prägen wird.
Die nächste Veranstaltung der Reihe Mittwochs-Talk findet am 22. Januar 2025 statt. Das Thema wird rechtzeitig über die Homepages der beteiligten Einrichtungen veröffentlicht, sobald es bekannt ist.