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Hammelburg
Cilli Ziegler aus Hammelburg: "Hauptsache, sie wählen demokratisch"
Ihr Vater erlebte Hitler, war Gründungsmitglied der CSU und riskierte öfter sein Leben, um anderen zu helfen. Deshalb schaut Cilli Ziegler aus Hammelburg mit Sorge auf den Rechtsruck in Europa.
Der 77-jährigen Cilli Ziegler aus Hammelburg liegt die Demokratie sehr am Herzen, sie appelliert an ihre Mitmenschen: „Geht zur Wahl!“       -  Der 77-jährigen Cilli Ziegler aus Hammelburg liegt die Demokratie sehr am Herzen, sie appelliert an ihre Mitmenschen: „Geht zur Wahl!“
Foto: Milena Meder | Der 77-jährigen Cilli Ziegler aus Hammelburg liegt die Demokratie sehr am Herzen, sie appelliert an ihre Mitmenschen: „Geht zur Wahl!“
Milena Meder
 |  aktualisiert: 07.10.2023 02:52 Uhr

Wenn die 77-jährige Cilli Ziegler aus Hammelburg an ihren Vater denkt, bekommt sie Gänsehaut: Er hat die Machtübernahme der Nazis miterlebt, Adolf Hitler überlebt und war nach Kriegsende im Mai 1945 an der Gründung der CSU beteiligt. „Er wollte, dass so etwas wie damals nie wieder passieren kann.“ Mit Sorge schaut die überzeugte Demokratin deshalb auf den aktuellen Rechtsruck in Europa und hat nur wenig Verständnis für die hohen Zustimmungswerte der AfD . Sie sagt: „Es ist egal, welche Partei die Menschen wählen. Hauptsache, sie wählen demokratisch.“

„Vater war immer Hitler-Gegner“

Denn: In der Nazi-Zeit habe es keine freie Wahl gegeben. Jeder, der sich gegen das Regime geäußert hat, musste mit der ständigen Angst leben, abgeführt oder sogar erschossen zu werden. „Mein Vater war immer Hitler-Gegner. Er hat sich dem System nie gebeugt, eher im Gegenteil.“ Während des Zweiten Weltkrieges versteckte er sechs niederländische Schüler bei sich auf dem Grundstück, ließ Kriegsgefangenen auf der Straße heimlich Brot zukommen und marschierte gegen Ende mit weißer Fahne in der Hand auf die Amerikaner zu.

Hausdurchsuchung durch Gestapo

Er wurde bei Gericht vorgeladen, weil sein Sohn sich nicht in der Hitler-Jugend engagierte, und auch die Gestapo durchsuchte zweimal das Haus der Familie. „Er war immer sehr mutig und wollte anderen Menschen helfen. Bei vielen Dingen wäre er sofort erschossen worden, wäre das rausgekommen“, ist sich die gebürtige Nürnbergerin sicher.

Gründungsmitglied der CSU

Doch das war noch nicht alles: Auch politisch war Franz Schmideder sein Leben lang aktiv. Er war Mitglied in der Deutschen Zentrumspartei , einem Vorläufer der heutigen Union, engagierte sich im Deutschen-Jugendkraft-Sportverband, im Kolpingwerk und bei der christlichen Gewerkschaft. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges war ihm die Gründung der CSU ein so wichtiges Anliegen, dass er – um dabei zu sein können -, in der Nacht vorher auf einer Parkbank schlief und sich dabei lediglich mit Zeitungspapier zudecken konnte. „Ich glaube, er hatte damals das Parteibuch mit der Nummer fünf“, erinnert sich seine Tochter.

„Unfassbar große Scham“

Trotzdem weigerte sich Schmideder – wie viele andere auch – nach Kriegsende über die Zeit des Nationalsozialismus zu sprechen. „Ich glaube, da war einfach eine unfassbar große Scham über die schrecklichen Taten der Vergangenheit da“, vermutet Ziegler, die deshalb erst im Alter von 13 Jahren wirkliche Informationen über die Zeit des Zweiten Weltkrieges erhielt. „Ich habe damals einen Lesewettbewerb in der Schule gewonnen und durfte mir ein Buch aussuchen. Das war zu dieser Zeit noch etwas ganz besonders.“

Schwur: Das darf nicht mehr passieren

Ausgewählt hat sie das Tagebuch der Anne Frank . „Die Erlebnisse dieses Mädchens haben mich zutiefst erschüttert.“ Erst als sie ihren Vater auf das Buch ansprach, habe er angefangen, mit ihr über die Vergangenheit zu sprechen. „Ich habe mich so geschämt, was damals passiert ist. In dem Moment habe ich mir geschworen, dass sowas in unserem Land nie wieder passieren darf.“

Noch immer kann sich die Hammelburgerin nicht vorstellen, dass Menschen zu so schrecklichen Taten fähig sind, und kann kaum glauben, dass es in nur zwölf Jahren möglich ist, so unfassbar viel Leid über ein ganzes Land zu bringen.

Zuversichtlich für die Zukunft

Die 77-Jährige ist noch heute dankbar, in einem demokratischen Land wie Deutschland aufgewachsen zu sein. „Genau deshalb ist mir die Demokratie auch so wichtig.“ Aber: Auch sie sieht die Unzufriedenheit der Menschen mit der aktuellen Regierung und den übrigen demokratischen Parteien. „So unzufrieden waren die Leute glaube ich schon lange nicht mehr.“

Deshalb profitiert die AfD

Flüchtlinge, die Pandemie und jetzt der Ukraine-Krieg: „Unser Land ist überfordert und davon profitiert die AfD “, meint Ziegler. Umso bedeutender wird für die Seniorin der Gang zur Wahl: „Deshalb ist es so wichtig, dass man zur Wahl geht. Nur so kann man etwas bewegen. Ich habe das Gefühl, bei uns sind die Menschen mittlerweile einfach zu bequem geworden.“

Aber: Man müsse auch der Realität ins Auge blicken. „Eine Partei, die man zu 100 Prozent liebt, kann es nicht geben. Ist mir mein Land deshalb so unwichtig, dass ich nicht mal zur Wahl gehe?“, appelliert sie an die Bevölkerung.

Europa nicht zerstören

Für die Zukunft ist sie allerdings optimistisch. „Ich glaube einfach an die Vernunft der Menschen. Unser vereintes Europa ist zu mühsam zusammengekommen, als dass wir es jetzt zerstören können.“

Am 8. Oktober 2023 wird in Bayern der neue Landtag gewählt. Mehr Informationen dazu: 

Mit dieser Folge starten wir die Serie „Unsere Demokratie“.       -  Mit dieser Folge starten wir die Serie „Unsere Demokratie“.
Foto: Grafik: Dagmar Klumb | Mit dieser Folge starten wir die Serie „Unsere Demokratie“.
 
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