
Seitdem der aus Hammelburg stammende Jurist Sebastian Fickert vor 20 Jahren einige Monate beruflich in Tokio war, packt ihn alle paar Jahre die Abenteuerlust und das Fernweh nach exotischen Ländern, die er dann abseits der üblichen Touristenpfade durchquert. Im Februar erschien nun sein bereits sechster Reisebericht mit dem Titel „Vietnam“ über seine 14-tägige Reise im Vorjahr. Bei einem Teller seiner vietnamesischen Lieblingssuppe Pho erzählte er in Bad Kissingen unserem Reporter über seine Eindrücke und sein Buch, das er am 11. Oktober in der Stadtbibliothek Hammelburg in einem Bildervortrag vorstellen wird.
Schon zwei Jahre vor Reiseantritt hatte Fickert begonnen, sich mit Büchern von Marguerite Duras und Graham Greene über die Historie und mit zeitgenössischen Werken wie „Bitterer Reis“ von Duong Thu Huong oder „Gesang der Berge“ von Nguyen Phan Que Mai über die Gegenwart dieses von Chinesen, Franzosen und Amerikanern stark beeinflussten Landes zu informieren. Hatte er auf seinen früheren Reisen den Bruder oder einen Freund als Begleiter dabei, startete er diesmal ganz allein, nur mit zwei Rucksäcken bepackt, nach Südostasien. Das Einzige was feststand, waren der Hin- und Rückflug sowie bestimmte Städte, die er unbedingt besuchen wollte. „Alles andere war offen. Ich wusste nie vorher, wie ich von A nach B komme oder wo ich jeweils übernachten werde.“
Mit Bus, Tuk-Tuk und Motorrad
Auf 250 Seiten, teilweise farbig bebildert – Bildunterschriften wären hier hilfreich gewesen –, schildert der 47-Jährige seinen Weg von Hanoi über die alte Kaiserstadt Hue bis in die südvietnamesische Metropole Ho-Chi-Minh-Stadt, die selbst deren Bewohner noch Saigon nennen. Er reist mit dem Zug und dem Bus, mit dem Tuk-Tuk und auf dem Rücksitz eines Motorrads. Er schläft auf einem Schiff in der Halong-Bucht, fährt mit dem Boot den Mekong hinauf und überquert den Wolkenpass sowie schmale Hängebrücken zu entlegenen Bergdörfern, schwimmt in einer Militäreinrichtung nahe dem Ho-Chi-Minh-Pfad, kriecht durch die im Vietnam-Krieg gebauten Tunnel von Cu Chi und entdeckt in der historischen Altstadt von Hoi An sowie in Nha Trang die Wertschätzung für den französischen Biochemiker Louis Pasteur (1822–1895) und seinen Landsmann, den Arzt und Bakteriologen Alexandre Yersin (1863–1943).
„Würde man auf einer Reise durch Vietnam die Landesgeschichte ausblenden wollen, müsste man schon sehr weit wegschauen“, hat der Backpacker auf seiner Tour erfahren. So wundert es nicht, dass Fickert in seinem Buch intensiv auf dieses Thema eingeht, aber niemals belehrend, sondern locker und gern zu lesen. „Die Spuren der französischen Kolonialzeit und des Vietnam-Kriegs sind so sichtbar wie auch der gleichzeitige Wille, das Vergangene zu verstehen und gemeinsam die Gegenwart zu meistern.“ Die Vietnamesen gehen mit ihrer Geschichte „ganz anders als wir Deutschen“ nüchtern und pragmatisch um, hat Fickert festgestellt. Sie richten ihren Blick lieber in eine verheißungsvolle Zukunft. „Das Leben will weitergelebt werden und fragt uns nicht nach unserer Zustimmung. Es überlässt uns nur, wie wir das anpacken.“ Eine aktuelle Umfrage hat ergeben, dass trotz aller Schrecken und Opfer des Vietnam-Kriegs inzwischen 80 Prozent der Bevölkerung heute den Amerikanern freundlich gesinnt sind.
Tagesablauf wird spontan entschieden
Während Fickerts Alltag in Deutschland in festen Strukturen abläuft, musste sich der in Würzburg lebende Jurist, der seit Jahren am Oberlandesgericht Bamberg als Richter, seit November als Vorsitzender Richter tätig ist, in Vietnam ständig neu orientieren und, gelegentlich durch überraschende Wendungen genötigt, über seinen Tagesablauf spontan entscheiden. „Die zahlreichen Begegnungen mit Einheimischen hätten sich in dieser Art und Intensität vermutlich nicht ereignet, wenn ich nicht allein gereist wäre.“ Noch Monate nach seiner Rückkehr erinnert er sich lebhaft an bestimmte Momente: Wie er im tiefen Regenwald auf dem Motorrad seines Guides eine schmale, schwingende Hängebrücke überqueren musste. Unwohl war ihm auch, als ein Vietnamese ihm eine Python um den Hals legte.
Im Buch liest man dann: „Deshalb ist es nicht unangenehm, als er sie wieder zu sich nimmt.“ Oder wie Tänzerinnen sich nach einer Melodie bewegen, die Fickert nicht gleich zuordnen kann. „Es war ,Cheri, Cheri Lady‘ von Modern Talking , 40 Jahre später und 10.000 Kilometer von Deutschland entfernt.“ Gewöhnungsbedürftig war für den Deutschen auch die Verkehrsregelung. Pkw- und Motorradfahrer schienen die Signallichter der Ampeln „offenbar nur als Empfehlungen“ zu akzeptieren. „Den Verkehrsteilnehmern in Hue kann man ebenfalls nicht vorwerfen, sich zu starr an die Vorschriften zu klammern.“
Zusammenfassend sieht Sebastian Fickert seine im Buch geschilderten Erfahrungen und Eindrücke als „eine Bereicherung fürs Leben, die mir niemand mehr nehmen kann“. Auch seine Scheu vor Reiseantritt, allein unterwegs sein zu müssen, war bald verflogen: „Für den, der zu Hause bleibt, bedeutet ein fremdes Land Ungewissheit und Fantasie, für den, der geht, wird vor Ort alles klar.“ Als abschließende Erkenntnis zitiert Fickert den Schriftsteller Navid Kermani : „Verstehen ist weniger ein Resultat als ein Prozess.“ Der Vortrag „Vietnam. Eine Reise“, findet am Freitag, 11. Oktober, um 19.30 Uhr, in der Stadtbibliothek statt. Tickets gibt es im Vorverkauf bei der Volkshochschule.
Sebastian Fickert: „Vietnam. Eine Reise“, Verlag Königshausen u. Neumann, Taschenbuch , 254 Seiten, Preis: 16,80 Euro, ISBN 978-3826087134