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Bad Kissingen
Faul, aber nicht dumm
Oskar Panizza wird als ebenso genial wie umstritten beschrieben. An einem Abend haben sich die Veranstalter dem Bad Kissinger Schriftsteller genähert.
Schriftsteller und Psychiater Oskar Panizza       -  Schriftsteller und Psychiater Oskar Panizza
Foto: Sammlung Rainer Wirth | Schriftsteller und Psychiater Oskar Panizza
Klaus Werner
 |  aktualisiert: 29.05.2024 17:30 Uhr

Wie nähert man sich dem ebenso genialen wie umstrittenen Schriftsteller Oskar Panizza , der in Bad Kissingen vor 170 Jahren geboren wurde und dessen irrlichterndes Leben und schöpferische Qualitäten bis in die heutige Zeit für Anerkennung, aber auch für Kopfschütteln bis hin zur Abneigung sorgen?

Claudia Bollenbacher probierte diese Annäherung in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirchengemeinde durch einen Vortrag zu Panizzas Leben, verbunden mit Rezitationen und Textpassagen aus seinen Werken – verbunden mit dem Wunsch: „Panizza sollte in Bad Kissingen zwar nicht geliebt, aber zumindest besser verstanden werden.“

„Peter Staengle kann nicht kommen“ – mit dieser Hiobsbotschaft zum angekündigten Literaturwissenschaftler und ausgewiesenen Panizza-Experten überraschte Claudia Bollenbacher die knapp 50 Gäste in der evangelischen Erlöserkirche. Doch die Inhaberin der Buchhandlung „seitenweise“ ließ keine traurige Stimmung aufkommen, denn der Vortrag von Peter Staengle lag vor und die Verantwortung in ihren Händen.

Umso mehr freute sie sich auf die anderen Akteure des Abends: Mit Sigismund von Dobschütz , Katharina Försch, und Pfarrerin Jacqueline Barraud-Volk hatte sie prominente Unterstützung für einen Abend, der musikalisch von Jörg Wöltche umrahmt und eigentlich zum 100. Todestag von Oskar Panizza (28.11.1921 in Bayreuth) hätte stattfinden sollen, aber Corona bedingt verschoben wurde.

Gänzender Geist mit satirischer Begabung

Panizza wurde schon zu Lebzeiten von literarischen Weggefährten als „glänzender Geist mit großem Wissen und satirischer Begabung“ wertgeschätzt, so Claudia Bollenbacher in den Ausführungen zu seinem Leben. Sie skizzierte die „spannende Familiengeschichte“ Oskar Panizza , der das vierte von fünf Kindern eines Kissinger Hoteliers war und im Spannungsfeld zwischen Katholizismus und Protestantismus des 19. Jahrhunderts aufwuchs.

Ruhelosigkeit beherrschte Kindheit und Jugend, die sich unter anderem in unterschiedlichsten Berufswünschen – vom Geistlichen bis zum Musiker – zeigte. Als „faul, aber nicht dumm“ klassifizierte Bollenbacher den jungen Panizza, der erst im Alter von 23 Jahren das Abitur nachholte und nach einigen Irrwegen beim Medizinstudium landete und dieses erfolgreich abschloss.

Menschenscheu und misstrauisch

Doch bereits knapp über 30 zog er sich zurück und lebte fortan von einer Kapitalrente und für die Schriftstellerei. „Ein Kampfhahn, der es auf das Konfiszieren anlegte“, so wertete Bollenbacher das konfliktträchtige Verhalten Panizzas in den nachfolgenden Jahren, das sich gerade an der katholischen Kirche entzündete und 1894 in der skandalträchtigen Himmelstragödie „Das Liebeskonzil“ entlud.

Die Folge: Anklageerhebung, Schuldspruch wegen „Gotteslästerung“, ein Jahr Gefängnis in Einzelhaft – „Panizza wurde menschenscheu und misstrauisch“. Die weiteren Lebensabschnitte seien dadurch geprägt worden, was letztlich zu Depressionen, zu Selbstmord-Gedanken, zur Einweisung in eine Irrenanstalt, zur Entmündigung führte.

Gerade die Zeit der Einzelhaft stand im Mittelpunkt der Lesung von Sigismund von Dobschütz , wobei sich Panizza unter anderem mit der Freiheit der Gedanken und der Freiheit, diese auszusprechen eindrucksvoll und wortgewandt auseinandersetzte wie mit dem Nahrungsgehalt der Gefängniskost, die nicht nur zum Gewichtsverlust führe, sondern auch den Widerstand eines gesättigten Gehirns zerbricht.

Deutlich wurde in diesen Sequenzen das Talent Panizzas, für Erlebtes und Vorstellbares die richtigen Beschreibungen zu finden, die Zwischentöne zu treffen, die dem satirisch-zynische Charakter des Schreibers entsprechen.

Offenes Ende einer Tragödie

„Das Liebeskonzil ist eine interessante Literatur“, sagt Pfarrerin Jacqueline Barraud-Volk, „und zeigt, was die Menschen aus der Religion und mit der Religion gemacht haben“. In diesem skandalträchtigen Werk werde Religions- und Gesellschaftskritik verbunden und es zeige sich, dass Panizza durch Kirche und Obrigkeit seelisch belastet sei. In ihrer theologischen Wertung sieht sie „Das Liebeskonzil“ als Satire, „da Gott, Jesus und Maria überzogen dargestellt werden“.

Die damit verbundene Kritik musste Ende des 19. Jahrhunderts zum Drama führen, auch wenn auf protestantischer Seite es bereits Ansätze gab, „die Bibel neu zu lesen, neu zu deuten“.

Zwei Punkte waren ihr noch wichtig: einerseits die unterschwellige Zuordnung jüdischer Klischees und das offene Ende der Tragödie – „Was will Panizza uns sagen?“.  Darüber hinaus sieht sie in dem alten Werk aktuelle Bezüge, „denn dort, wo es ein Verbot gibt, frei zu denken, da wird es unmenschlich“. Für Katharina Försch bleiben „Düstere Lieder“ und „Der Lateinschüler“ – Kurzgeschichten ähnliche Rezitationen, die um das Gedicht „Sie wissen´s nicht“ ergänzt wurde. Letzteres präsentierte Sopranistin Karin Mauröther zu einer Melodie von Richard Strauß zum Abschluss des interessanten und kurzweiligen Abends.

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Pfarrerin Jacqueline Barraud-Volk (von links), Jörg Wöltche, Katharina Försch und Sigismund von Dobschütz widmeten sich Oskar Panizza.       -  Pfarrerin Jacqueline Barraud-Volk (von links), Jörg Wöltche, Katharina Försch und Sigismund von Dobschütz widmeten sich Oskar Panizza.
Foto: Klaus Werner | Pfarrerin Jacqueline Barraud-Volk (von links), Jörg Wöltche, Katharina Försch und Sigismund von Dobschütz widmeten sich Oskar Panizza.
 
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