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NÜDLINGEN
Schokohelden gesucht
Ines Renninger
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:24 Uhr

Was Arno Wielgoss für und mit Kakaobauern in Peru geleistet hat, würden die meisten Menschen definitiv als Heldentat bezeichnen. Doch allein lässt sich die Welt nur schwer retten. Über eine Crowdfunding-Aktion sucht der 35-Jährige Mittäter, die sein Projekt finanziell unterstützen und dabei helfen, aus fair gehandeltem Bio-Kakao Schokolade zu produzieren. „Schokohelden“ nennt er die potenziellen Spender.

„Die nachhaltigste und direkteste Schokolade der Welt“

Manche Wege sind lang und verschlungen: Könnte Arno Wielgoss aus Nüdlingen (Lkr. Bad Kissingen) seinem kleinen Sohn dieses Jahr eine Tafel Schokolade unter den Weihnachtsbaum legen – er hätte wahrscheinlich eine entscheidende Etappe in seinem Lebensprojekt erreicht.

Natürlich dürfte es nicht irgendeine Schokolade sein, sondern eine Tafel „Chuncho Gold“ – laut Wielgoss „die nachhaltigste und direkteste Schokolade der Welt“ – so sie denn genug Unterstützer findet und produziert werden kann.

Crowdfunding sehr erfolgreich angelaufen

Dass es soweit kommt, daran zweifelt der tropische Agrarökologe eigentlich nicht. Was die Finanzierung angeht – das Fundingziel der Kampagne liegt bei 25 000 Euro – ist Wielgoss optimistisch. Immerhin waren 24 Stunden nach Start der über sechs Wochen laufenden Crowdfunding-Aktion bereits fast 8000 Euro verbucht.

Überhaupt hat Arno Wielgoss schon andere Hürden als diese genommen: Im Alter von 18 Jahren ereilte ihn ein familiärer Schicksalsschlag. Sein zwei Jahre älterer Bruder Frederic wurde in Peru beim Baden im Urwaldfluss Urubamba von einem Strudel erfasst und ertrank. Vermisst heißt es offiziell. Denn sowohl die aufwendigen Suchmaßnahmen des Konsulats als auch die Reise seiner Eltern, Gerhard und Françoise Wielgoss, an die Unglücksstelle blieben ergebnislos.

Tragisches Unglück als Initialzündung

Für die Familie wurde das tragische Unglück zur Initialzündung: Freunde, Verwandte und Bekannte in Deutschland hatten nach Frederics Verschwinden einen Spendenaufruf initiiert, um beim Aufbringen der Kosten für die aufwendige Suchaktion zu helfen. Als die gespendeten Gelder die Kosten überschritten, entschieden die Eltern, mit dem Geld den Menschen in der Region des Urubambatals zu helfen. Während der Suche nach ihrem Sohn hatten sie dort in einem Gesundheitszentrum übernachtet und mitbekommen, wie ein Baby bei Kerzenschein behandelt wurde.

Die Eltern gründeten den gemeinnützigen Verein „Frederic – Hilfe für Peru e.V.“ und leisteten, eigentlich Entwicklungshilfe-Laien, in den kommenden 17 Jahren Enormes. Investiert wurde über den Verein beispielsweise in Bildung, Gesundheit und ökologische Landwirtschaftsprojekte. Im Laufe der Jahre wurde Sohn Arno, inzwischen Student der tropischen Biologie in Würzburg, immer mehr zur Schlüsselfigur vieler Vereins-Aktionen.

Das Hauptproblem: Ein zu schlechter Preis für die Haupteinnahmequelle, den Kakao

Dennoch. Irgendwann reifte bei Arno Wielgoss die Erkenntnis: „Entwicklungshilfe dank Spendengelder aus Deutschland – schön und sinnvoll. Am Grundproblem aber ändert es nichts: Die Leute im Urubambatal bekommen einfach einen viel zu schlechten Preis für eine ihrer Haupteinnahmequellen, den Kakao.“ Das wollte er ändern.

So ergriff die Kakaobohne nach und nach Besitz von Arno Wielgoss‘ Leben. Dieses runzlige Ding, das im Rohzustand herb und bitter schmeckt und die Süße der Schokolade nicht einmal erahnen lässt, sie bereitete Wielgoss über Jahre vor allem eines: Kopfzerbrechen.

Über verschiedene Vereinsprojekte hatte er schon rund zehn Jahre lang mit den Kakao-Bauern im Tal geackert und die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft forciert. „Jetzt brannten sie die Wälder nicht mehr ab, achteten auf die Böden, legten Mischkulturen an, förderten die Biodiversität. Jetzt wollte ich, dass sie auch einen guten Preis bekommen.

Firmengründung als Lösung

Doch das war alles andere als einfach. Nach zweieinhalb Jahren Kampf war der Kakao der Kleinbauernkooperative zwar Fairtrade- und biozertifiziert die Bestpreise aber nach wie vor nicht in Sicht. „Lass es uns in die eigene Hand nehmen“, schlug irgendwann Arnos Kollegin Frauke Fischer, Tropenökologin an der Uni Würzburg, vor. Mit ihr teilte sich Wielgoss zu dieser Zeit ein Büro während seiner Promotion.

2015 gründeten die beiden die GmbH Perú Puro und nahmen einen Privatkredit auf. Statt weiterhin einen Käufer zu suchen, der einen guten Kakao-Preis zahlt, tun sie das seither einfach selbst. In den letzten zwei Jahren hat die Firma so circa zehn Tonnen Kakao aufgekauft und nach Deutschland gebracht. Bislang wurden die Kakaobohnen allerdings nur in Rohform und geröstet, als Kakao-Nibs und Kakao-Tee vor allem über Eine-Welt-, Bio- und Gourmetfachgeschäften sowie online verkauft.

Der Urkakao, von dem alle Sorten abstammen

Ihren Edel-Kakao in eine hochwertige Schokolade verwandeln, das war immer das große Ziel von Wielgoss und Fischer. Vor allem seit sie im Sommer 2016 im Rahmen einer wissenschaftlichen Konferenz erfahren hatten, dass ihr Kakao Chuncho der Urkakao sein soll, von dem alle anderen Kakao-Sorten abstammen.

Nun hat anscheinend auch eine Schweizer Schokoladenmanufaktur das Potenzial des Chuncho erkannt: „Die Gruppe dieser Kakao-Sensoriker war von unserem Kakao begeistert.“ Gemeinsam mit der Manufaktur wurde ein Rezept für eine Grand Cru 70-Prozent-Schokolade entwickelt.

Das Problem: Die Mindestmenge für die Produktion von Schokolade auf der entsprechenden Profianlage beträgt eine Tonne Kakao. „Weil wir den Bauern auch jetzt wieder ihre Kakao-Ernte vorfinanzieren und so viel Kakao wie möglich abkaufen möchten, können wir die Schokoladenproduktion nicht alleine bezahlen“, so Wielgoss.

Finanzielle Unterstützer gesucht

Statt erneut für einen Bankkredit entschieden sie sich für die Crowdfunding-Idee: „Das passt zu einem jungen Start-Up wie uns.“ Das Besondere beim Crowdfunding ist, dass eine Vielzahl an Menschen ein Projekt finanziell unterstützt. Organisiert wird das meist übers Internet. Die Unterstützer erhalten eine nicht-finanzielle Gegenleistung, also eine Art Dankeschön, in diesem Falle je nach Höhe der Spende diverse Tafeln Schokolade. „Der positive Nebeneffekt: So ziehen wir uns auch gleich unsere eigenen Kunden heran“, hofft Wielgoss.

„Wir brauchen die Schoko-Crowd“, erklärt er. Aus dem Verkauf der Schokolade könne die Firma dann die nächste Schokoladenproduktion selber finanzieren. So helfe die Unterstützung jetzt, eine langfristig funktionierende Wertschöpfungskette in Zukunft aufzubauen. Werden die 25 000 Euro erreicht, kann es zügig losgehen, denn die Schweizer Firma hat für die Produktion bereits ein Zeitfenster freigehalten, so Wielgoss.

So wird das Kampagnengeld verwendet

„Wir haben bereits eine Tonne unseres Chuncho in Deutschland auf Lager.“ Das Kampagnengeld würde für den Transport der Bohnen in die Schweiz, die Produktion der Schokolade, das Austafeln und Verpacken sowie den Rücktransport nach Deutschland verwendet. Rechtzeitig zu Weihnachten soll die Schokolade dann im Handel sein. „Jetzt brauchen wir nur noch genug Schokohelden.“

Unterstützer für die Chuncho-Schokolade werden kann man im Internet unter www.startnext.com/schokoheld

Kakaobohnen schmecken im Rohzustand herb und bitter.
Foto: Picasa | Kakaobohnen schmecken im Rohzustand herb und bitter.
Arno Wielgoss aus Nüdlingen besucht mindestens ein Mal im Jahr die Kooperative der Kakao-Bauern in Peru.
Foto: Archiv Arno Wielgoss | Arno Wielgoss aus Nüdlingen besucht mindestens ein Mal im Jahr die Kooperative der Kakao-Bauern in Peru.
 
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