Schlumpf auf der Flucht
Am Rande eines Faschingsumzugs im letzten Jahr bietet sich ein angetrunkener Schlumpf eine Verfolgungsjagd mit der Polizei.

"Hau ab! Ich fahr dich um! Ich fahr dich um!", schreit Benjamin G* dem Mann entgegen, der vor ihm steht und die Arme ausgebreitet hat. Ein paar Straßen weiter schlängelt sich an diesem Faschingssamstag ein Gaudiwurm durch den Ort. Benjamin umklammert den Lenkergriff seines orangefarbenen Rollers. Kein Führerschein, keine Versicherung, dafür ein paar Bierchen im Kopf. Beide Männer tragen an diesem Tag eine blaue Montur: Benjamin kommt als Schlumpf daher, sein Gegenüber trägt Polizei-Kluft. Kostümiert ist nur einer der beiden.
Der Roller sollte ein Geburtstagsgeschenk für seinen Stiefvater sein, erzählt der Angeklagte vor dem Kissinger Amtsgericht. Allerdings hatte das Gefährt einen Kolbenfresser. Benjamin G* beschloss kurzfristig, eine Probefahrt zu unternehmen, um zu prüfen, ob die Schrauberei in der Werkstatt erfolgreich war. Dumm nur, dass er gerade während der Faschingszeit auf diese Idee kam - "dann, wenn die Polizei so gar keine Verkehrskontrollen ansetzt", sagt der Richter und kann sich ein breites Lächeln nicht verkneifen. "Bis dahin wäre es schlecht gewesen, aber noch nicht so schlecht. Es ging ja noch weiter."
Die beiden Beamten in ihrem Dienstwagen hatten den Auftrag, die Faschingsfeier in der Gemeinde zu betreuen als der Rollerfahrer, der ihnen entgegenkam, ganz plötzlich ein Wendemanöver ansetzt und hastig in eine Seitenstraße abbiegt. Der Schlumpf nimmt Reißaus. "Da schauen wir freilich genauer hin. Das hat unser Interesse geweckt", sagt der Beamte, der damals den Dienstwagen steuert. Benjamin knattert davon. Die zwei Polizeibeamten hinterher. Die Verfolgungsjagd wird später mit einem Schlumpf in Handschellen und einem verletzten Polizisten in einem Vorgarten im Landkreis enden.
Nicht zu übersehen: Blaulicht, Durchsagen - die Beamten aktivieren sämtliche Signale, um den damals 18-Jährigen zum Stoppen zu bewegen. Keine Chance. "Er hat nicht reagiert." Obwohl - eine Reaktion gab es doch. Während der Verfolgung dreht sich Benjamin um und streckt den Beamten hinter ihm den Mittelfinger entgegen. Durch Siedlungen und Gässchenen, dann - Sackgasse. Einer der Beamten will Benjamin zu Fuß schnappen. Fehlanzeige. Der Roller rattert davon - in Richtung eines Firmengeländes. Auf dem Parkplatz stehen sich Rollerfahrer und Polizeibeamter dann gegenüber.
Warum er nicht gebremst habe oder ausgewichen sei, wollte der Staatsanwalt wissen. "Der Polizist ist hin und her gelaufen. Ich habe versucht auszuweichen, so ist es nicht", sagt der Angeklagte. 20 Stundenkilometer war er vielleicht schnell, schätzt er. Der Beamte meint dagegen: "Ich bin starr stehen geblieben." Der 39-jährige Polizist will gehört haben, wie Benjamin noch mal am Gasgriff dreht. "Es stimmt nicht, dass ich noch einmal beschleunigt habe." Der Polizeibeamte ist sicher: "Er hat gehofft, dass ich zur Seite springe." Das tut er aber nicht.
Benjamin G* fährt den Polizisten über den Haufen, wodurch der sich an den Händen verletzt und seine Dienstjacke kaputt geht. Später wird er von dem 19-Jährigen Schmerzensgeld überwiesen bekommen. "Es tut mir wirklich Leid. Ich wollte Sie nicht verletzten", sagt der Angeklagte nachdem der Polizist dem Gericht erklärt hatte, wie er versuchte, Benjamin am Oberkörper zu packen und vom Roller zu zerren. Sein Kollege im Auto sammelt ihn auf. Weiter im Dienstwagen - bis sich Benjamin schließlich geschlagen gibt und die Beamten ihn einholen: In einem Vorgarten lässt er sich festnehmen. Ohne Protest klicken die Handschellen.
"Er war sehr reuig", sagt ein weiterer Beamter, der den 19-Jährigen vernommen hatte, vor dem Kissinger Amtsgericht. Dass er einen Schlagring einstecken hatte, als die Polizei den Schlumpf auf der Flucht erwischt, spielt später vor Gericht keine Rolle mehr. Die Waffe wurde eingezogen. "Er hat eingesehen, dass er Mist gebaut hat und zu weit gegegangen ist", meint der Beamte.
Benjamins Familie ist zerrüttet. Der 19-Jährige ist bei seiner Oma groß geworden. An seinen Vater hat er keine Erinnerung, der starb als der Angeklagte ein Jahr alt war. Seine Mutter überweist ihm regelmäßg Geld. Ansonsten haben sie nicht viel miteinander zu tun. Gesundheitlich ist er nicht auf der Höhe: ADHS, Epilepsie. Schon als Kind war er ein "kleiner Rebell" erzählte er der Jugendgerichtshilfe, die dem Schöffengericht mit ihrem Bericht über Benjamin einen holprigen Lebenslauf nachzeichnet.
Innerhalb von zehn Jahren war der Angeklagrte in vier verschiedenen Jugendhilfeeinrichtungen, davon drei Jahre lang in geschlossenen Häusern. Benjamin hat viele Schulwechsel hinter sich. "Refedefizite" attestiert ihm die Jugendgerichtshilfe als Resultat daraus. Benjamin lebt jetzt in seiner eigenen Wohnung. Im nächsten Monat will er endlich die langersehnte Ausbildung in seinem Traumberuf starten. Engster Vertrauter, Bezugsperson und Elternersatz: ein Sozialhelfer, der ihn seit einigen Jahren betreut. Als "sensibel" beschreibt der den jungen Mann. Dass Benjamin den Polizisten umfahren wollte, um ihn zu verletzten, glaubt auch der Vertreter der Staatsanwaltschaft nicht. "Aber er hat es in Kauf genommen." Der Staatsanwalt will für Benjamin eine Jugendstrafe, "die sitzt". Eine mit erzieherischer Wirkung. Die zwei Arreste, die er für seine einschlägigen Vorstrafen abzusitzen hatte, hätten ihren Effekt offensichtlich verfehlt, meint er und fordert eine einjährige Strafe, ausgesetzt zur Bewährung. Der Verteidiger des Angeklagten dagegen argumentiert: "Die Gesellschaft hat mehr davon, wenn er diesen Weg weitergeht, als wenn man ihn unterbricht." Schließlich habe er eine Lehrstelle in Aussicht. Das Schöffengericht urteilt nach einer halben Stunde Beratung: "Das war alles andere als eine harmlose Geschichte."
Neun Monate Jugendstrafe, zur Bewährung auf zwei Jahre, dazu eine Geldauflage in Höhe von 1200 Euro und die Verpflichtung, einen sozialen Trainingskurs zu durchlaufen. "Sie sind auf einem guten Weg", meint der Richter, "aber Sie haben die bedauernswerte Tendenz, in bestimmten Situationen auszurasten."
Der Roller sollte ein Geburtstagsgeschenk für seinen Stiefvater sein, erzählt der Angeklagte vor dem Kissinger Amtsgericht. Allerdings hatte das Gefährt einen Kolbenfresser. Benjamin G* beschloss kurzfristig, eine Probefahrt zu unternehmen, um zu prüfen, ob die Schrauberei in der Werkstatt erfolgreich war. Dumm nur, dass er gerade während der Faschingszeit auf diese Idee kam - "dann, wenn die Polizei so gar keine Verkehrskontrollen ansetzt", sagt der Richter und kann sich ein breites Lächeln nicht verkneifen. "Bis dahin wäre es schlecht gewesen, aber noch nicht so schlecht. Es ging ja noch weiter."
Verfolgungsjagd durch Gassen
Die beiden Beamten in ihrem Dienstwagen hatten den Auftrag, die Faschingsfeier in der Gemeinde zu betreuen als der Rollerfahrer, der ihnen entgegenkam, ganz plötzlich ein Wendemanöver ansetzt und hastig in eine Seitenstraße abbiegt. Der Schlumpf nimmt Reißaus. "Da schauen wir freilich genauer hin. Das hat unser Interesse geweckt", sagt der Beamte, der damals den Dienstwagen steuert. Benjamin knattert davon. Die zwei Polizeibeamten hinterher. Die Verfolgungsjagd wird später mit einem Schlumpf in Handschellen und einem verletzten Polizisten in einem Vorgarten im Landkreis enden.
Einzige Reaktion: Stinkefinger
Nicht zu übersehen: Blaulicht, Durchsagen - die Beamten aktivieren sämtliche Signale, um den damals 18-Jährigen zum Stoppen zu bewegen. Keine Chance. "Er hat nicht reagiert." Obwohl - eine Reaktion gab es doch. Während der Verfolgung dreht sich Benjamin um und streckt den Beamten hinter ihm den Mittelfinger entgegen. Durch Siedlungen und Gässchenen, dann - Sackgasse. Einer der Beamten will Benjamin zu Fuß schnappen. Fehlanzeige. Der Roller rattert davon - in Richtung eines Firmengeländes. Auf dem Parkplatz stehen sich Rollerfahrer und Polizeibeamter dann gegenüber.
Warum er nicht gebremst habe oder ausgewichen sei, wollte der Staatsanwalt wissen. "Der Polizist ist hin und her gelaufen. Ich habe versucht auszuweichen, so ist es nicht", sagt der Angeklagte. 20 Stundenkilometer war er vielleicht schnell, schätzt er. Der Beamte meint dagegen: "Ich bin starr stehen geblieben." Der 39-jährige Polizist will gehört haben, wie Benjamin noch mal am Gasgriff dreht. "Es stimmt nicht, dass ich noch einmal beschleunigt habe." Der Polizeibeamte ist sicher: "Er hat gehofft, dass ich zur Seite springe." Das tut er aber nicht.
Benjamin G* fährt den Polizisten über den Haufen, wodurch der sich an den Händen verletzt und seine Dienstjacke kaputt geht. Später wird er von dem 19-Jährigen Schmerzensgeld überwiesen bekommen. "Es tut mir wirklich Leid. Ich wollte Sie nicht verletzten", sagt der Angeklagte nachdem der Polizist dem Gericht erklärt hatte, wie er versuchte, Benjamin am Oberkörper zu packen und vom Roller zu zerren. Sein Kollege im Auto sammelt ihn auf. Weiter im Dienstwagen - bis sich Benjamin schließlich geschlagen gibt und die Beamten ihn einholen: In einem Vorgarten lässt er sich festnehmen. Ohne Protest klicken die Handschellen.
"Er war sehr reuig", sagt ein weiterer Beamter, der den 19-Jährigen vernommen hatte, vor dem Kissinger Amtsgericht. Dass er einen Schlagring einstecken hatte, als die Polizei den Schlumpf auf der Flucht erwischt, spielt später vor Gericht keine Rolle mehr. Die Waffe wurde eingezogen. "Er hat eingesehen, dass er Mist gebaut hat und zu weit gegegangen ist", meint der Beamte.
In geschlossener Jugendhilfe
Benjamins Familie ist zerrüttet. Der 19-Jährige ist bei seiner Oma groß geworden. An seinen Vater hat er keine Erinnerung, der starb als der Angeklagte ein Jahr alt war. Seine Mutter überweist ihm regelmäßg Geld. Ansonsten haben sie nicht viel miteinander zu tun. Gesundheitlich ist er nicht auf der Höhe: ADHS, Epilepsie. Schon als Kind war er ein "kleiner Rebell" erzählte er der Jugendgerichtshilfe, die dem Schöffengericht mit ihrem Bericht über Benjamin einen holprigen Lebenslauf nachzeichnet. Innerhalb von zehn Jahren war der Angeklagrte in vier verschiedenen Jugendhilfeeinrichtungen, davon drei Jahre lang in geschlossenen Häusern. Benjamin hat viele Schulwechsel hinter sich. "Refedefizite" attestiert ihm die Jugendgerichtshilfe als Resultat daraus. Benjamin lebt jetzt in seiner eigenen Wohnung. Im nächsten Monat will er endlich die langersehnte Ausbildung in seinem Traumberuf starten. Engster Vertrauter, Bezugsperson und Elternersatz: ein Sozialhelfer, der ihn seit einigen Jahren betreut. Als "sensibel" beschreibt der den jungen Mann. Dass Benjamin den Polizisten umfahren wollte, um ihn zu verletzten, glaubt auch der Vertreter der Staatsanwaltschaft nicht. "Aber er hat es in Kauf genommen." Der Staatsanwalt will für Benjamin eine Jugendstrafe, "die sitzt". Eine mit erzieherischer Wirkung. Die zwei Arreste, die er für seine einschlägigen Vorstrafen abzusitzen hatte, hätten ihren Effekt offensichtlich verfehlt, meint er und fordert eine einjährige Strafe, ausgesetzt zur Bewährung. Der Verteidiger des Angeklagten dagegen argumentiert: "Die Gesellschaft hat mehr davon, wenn er diesen Weg weitergeht, als wenn man ihn unterbricht." Schließlich habe er eine Lehrstelle in Aussicht. Das Schöffengericht urteilt nach einer halben Stunde Beratung: "Das war alles andere als eine harmlose Geschichte."
Neun Monate Jugendstrafe, zur Bewährung auf zwei Jahre, dazu eine Geldauflage in Höhe von 1200 Euro und die Verpflichtung, einen sozialen Trainingskurs zu durchlaufen. "Sie sind auf einem guten Weg", meint der Richter, "aber Sie haben die bedauernswerte Tendenz, in bestimmten Situationen auszurasten."
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