Sigismund von Dobschütz
Unter polizeilicher Aufsicht fand kürzlich am Bad Kissinger Amtsgericht eine Verhandlung gegen eine Familie aus dem arabischen Raum statt. Sie hatten sich je nach Einzelfall wegen Bedrohung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung oder auch gemeinschaftlicher Körperverletzung zu verantworten. Nach einstündiger, teilweise mittels Dolmetscherin durchgeführten Verhandlung wurde das Verfahren ohne Auflagen eingestellt.
Im August vergangenen Jahres war es in einer Bad Kissinger Wohnung zu einem handfesten Streit gekommen. Der 50-jährige Familienvater, sein 36-jähriger Sohn , seine Tochter (24) und sein Schwiegersohn (22) sollen zwei Neffen (21 und 26 Jahre) des Familienoberhaupts im Einzelfall mit einem Messer angegriffen und gemeinschaftlich körperlich misshandelt haben. Die Schlägerei hatte in der Wohnung begonnen, setzte sich im Treppenhaus fort und konnte erst durch Eingreifen von drei herbeigerufenen Polizeistreifen draußen vor dem Mietshaus im Beisein weiterer Angehöriger der zwei Familien beendet werden. Die Neffen erlitten Wunden an Kopf und Oberkörper.
Zum Messer gegriffen
Da nur der Schwiegersohn ausreichend Deutsch konnte, wurde zunächst er nach dem Ablauf des Abends befragt. Er schilderte das Geschehen sachlich in allen Einzelheiten. Doch aus seiner Sicht waren die beiden im selben Haus wohnenden Neffen die wahren Schuldigen. Nachdem man nach lautem Poltern an der Tür geöffnet hatte, sei einer auf die Tochter zugelaufen und habe sie mit seinem Handy in der Hand geschlagen. Sie habe auf einem Stuhl gesessen, ergänzte später die Geschlagene, sei zu Boden gefallen und weiter geschlagen worden. „Ich musste doch meiner Tochter helfen“, rechtfertigte der Vater sein Eingreifen, bei dem ihn Sohn und Schwiegersohn tatkräftig unterstützten. Im Verlauf der Auseinandersetzung habe der Schwiegersohn, dies behauptete der jüngere Neffe vor Gericht, auch ein Messer mit großer Klinge einsetzen wollen, das man ihm aber habe entwinden können. „Wir haben versucht, beide aus der Wohnung zu drängen“, ließ der Familienvater übersetzen. So sei es zur Schlägerei gekommen, in deren Verlauf der Sohn den jüngeren Neffen nach dessen Zeugenaussage angeblich am Arm gepackt und die Treppe hinuntergestoßen habe.
Erst nach und nach wurde der tiefere Grund erkennbar, wieso es zu diesem Besuch der beiden Neffen und zur Schlägerei kommen konnte. Der zunächst vom Gericht befragte 21-Jährige gab sich ahnungslos und meinte, er habe mit seinem älteren Bruder nur seine Verwandten besuchen wollen. Sein Bruder wurde deutlicher: Seine Mutter habe ihn angerufen, er möge sofort kommen. Man habe ein familiäres Problem zu lösen. Deshalb sei er mit seinem Bruder in die Wohnung gegangen. Doch welches Problem dort zu lösen war, habe er auch nicht gewusst.
Erst durch eine Bemerkung des angeklagten Schwiegersohns wurde der Kern der Familienfehde ersichtlich: Die Mutter der beiden Neffen hatte von dem jetzt angeklagten 22-Jährigen verlangt, sich von seiner Frau zu trennen und ihre eigene Tochter zu heiraten, was er aber abgelehnt habe.
Da sich in der Verhandlung beide Seiten gegenseitig die Schuld zuschoben und der wahre Ablauf im Nachhinein nicht klar festgestellt werden konnte, da es keine neutralen Tatzeugen gab, stand Aussage gegen Aussage. Deshalb stellte die Richterin nach Abstimmung mit der Staatsanwältin das Verfahren ohne Auflagen ein. Doch zufrieden waren auch die Angeklagten, die ohne Verteidiger erschienenen waren nicht und wollten ihre Zustimmung verweigern, die aber notwendig war, um das Urteil rechtskräftig werden zu lassen. Erst nach Diskussion und Belehrung über das deutsche Rechtssystem konnte die Verhandlung abgeschlossen werden.