"Dinge, die ich sicher weiß" ist der Titel eines Theaterstücks, das am 17. Januar im Bad Kissinger Kurtheater aufgeführt wird – und das mit mindestens einem Bühnen- und TV-Schwergewicht aufwarten kann: Nina Petri (58), begnadete Darstellerin von Rollen, die oft ein wenig abseits der Mitte spielen. "Lola rennt", "Die tödliche Maria" – beides Filme von Regisseur Tom Tykwer -, viele Rollen im Tatort oder in Fernsehspielen – für ihre Kunst hat Petri bereits den Bayerischen Kulturpreis und den Deutschen Filmpreis gewonnen. "Vor die Kamera wollte ich eigentlich nie, meine Welt war und ist die Bühne", erzählt sie im Interview.
Nina Petri: Es ist sehr nah an der Realität, es ist witzig, aber es geht auch unter die Haut – es ist definitiv nicht "Unsere kleine Farm". Und ich habe mich gefragt: Kennt der Autor mich?
Petri: Weil ich mich – ich spiele die 40-jährige Tochter – darin selbst erlebe. Wie ich als Tochter mich noch immer von meiner Mutter getriggert fühle. Und ich auch weiß, dass ich als Mutter mit einem Augenbrauenzucken meine Töchter zur Weißglut bringen kann.
Petri: Richtig. Heute sagt man bipolar. Und ich empfinde es als extrem wichtig, Depressionen raus aus der dunklen Scham-Ecke zu ziehen – sie gehen zu viele Menschen an, sie sind oft tödlich, sie belasten zu viele Betroffene - Freunde und Familien -, als dass wir es uns leisten könnten, darüber zu schweigen.
Petri: Ja, ich habe Zwillinge, die Mädchen wurden 1994 geboren. Moema hat die gleiche Diagnose wie mein Vater.
Petri: Ich habe gebetet, dass das meine Töchter nicht betrifft. Und jetzt ist es eben so.
Petri: Sie wechselt gerade ein Medikament und es dauert unfassbar lang, bis so ein Wechsel zu ihren Gunsten anschlägt. Es ist ein auf und ab und es ist noch lange nicht so, dass sie in der Lage ist, ein normales Leben zu meistern. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe eine tolle, kluge, kreative Tochter. Aber sie kann zum Beispiel jetzt ihr Studium nicht abschließen, sie kann sich nicht auf die Lerninhalte konzentrieren. Und selbst wenn es ihr durch die neuen Medikamente besser gehen sollte, befindet sie sich dann in einer Situation, in der sie dem neuen Lebensgefühl kaum trauen wird. Ich bin nur unheimlich froh, dass sie so stark ist und dass sie gut mit sich umgeht. Und das tut auch ihr Partner, mit dem sie in Süddeutschland lebt. Und auch die Schwester ist in der Nähe.
Petri: Klar. Aber man wächst auch rein. Und man muss viel Geduld aufbringen – gerade die ist aber überhaupt nicht meine Stärke. Es fällt mir sehr schwer, dem Zustand gleichmütig gegenüber zu sein. Sehen Sie: hätte mein Kind ein gebrochenes Bein, dann könnte ich ihren Haushalt schmeißen, könnte ihr die Krücken reichen – aber hier kann ich nichts tun. Das Gefühl der Hilflosigkeit ist schwer auszuhalten. Aber ich kann ihr das Gefühl geben, dass sie es gut macht mit ihrer Erkrankung und ich kann ihr Mut zusprechen. Den Rest halte ich aus und ertrage es – und denke mir gleichzeitig: Nein. Nicht ich ertrage – sie muss das alles ertragen. Wenn ich einen Zauberstab hätte, würde ich es wegzaubern.
Petri: Ja, aber zuerst würde ich die Querdenker und Aluhüte wegzaubern, dann das Virus. Ich will ganz sicher gehen, dass ich mit denen nicht mehr in Berührung komme. Ich musste mich schon in meinem engeren Kreis von einigen Menschen distanzieren, die eine Haltung an den Tag legten, die nicht mit meiner und meinem Bildungsstand zu vereinbaren war.
Petri: Bitte nicht.
Petri: Bitte fragen Sie nicht, ob ich meine, ob wir einen neuen Lockdown bekommen. Ob die Theater dann wieder geschlossen werden. Es wäre so furchtbar, das darf einfach nicht mehr passieren. Und wenn das Publikum mit 2G-plus und Maske im Zuschauerraum sitzen muss. Dass es geht, habe ich kürzlich in Hamburg erfahren dürfen. Ich hoffe sehr, dass die derzeitige Entwicklung nicht dazu führt, dass ich Bad Kissingen nicht kennenlernen darf. Dazu kommt ja auch: Das ist mein Job. Und ich brauche das Geld, um zu leben - wie jeder andere auch. Auch deshalb will ich unbedingt bei Ihnen auf der Bühne stehen – um Geld zu verdienen und Menschen zu unterhalten. Kurios ist ja, dass wir eigentlich gar nicht dieses Stück spielen wollten.
Petri: Wir hatten bereits ein anderes Stück eingeprobt, in dem ich die Hauptrolle hatte. Und dann kam heraus, dass der Verfasser ein Rassist und Antisemit ist. Das ging gar nicht. Aber wir wollten als Gruppe zusammenbleiben – so haben wir uns dann dieses Stück ausgesucht. Die Hauptrolle – die der Mutter – ging dann leider an meine Kollegin Maria Hartmann, sie ist älter als ich. Ich neide ihr das nicht, sie ist eine tolle Schauspielerin . . .
Petri: Genau. Dennoch: Hauptrollen sind schon schön.
Petri: Leider ja. Als ich die Maria in "Die tödliche Maria" spielte, war ich 29 – der Film war der Durchbruch für mich und Regisseur Tom Tykwer. Wir wurden damit beide berühmt – und ich bekam fünf Jahre lang keine Angebote mehr.
Petri: Es war die Zeit der deutschen Komödien. Und die wurden mit Katja Riemann besetzt. Es war nicht die Zeit eines Films à la "Toni Erdmann" - das wäre undenkbar gewesen. Damals – und leider - wie heute wurde und wird auf erfolgsversprechende Gesichter gesetzt. Was zur Folge hat, dass sich das Geschäft um eine kleine Gruppe Menschen dreht.
Petri: Ja! "Three Billboards outside Ebbing, Missouri", "Nomadland", "Fargo" – wo sind solche Rollen in Deutschland? Ich will sie haben! Corinna Harfouch bekommt die – immer, wenn zwischen uns beiden entschieden werden muss, dann kriegt sie Corinna. Corinna ist ja auch grandios! Ich gönne es ihr von Herzen. Trotzdem wünschte ich mir natürlich, dass ich mal drankomme. Die Bühne ist meine Heimat. Es ist faszinierend, vor Publikum zu stehen, zu spielen. Ich liebe Sprache, sie ist in meinem Mund wie gutes Essen.
Petri: Ja, da habe ich die Möglichkeit, die Hauptfigur darzustellen. Da stellt sich nie die Frage: Und wer macht das jetzt? Das mache ich. So wie Ende Februar im Theater Neubrandenburg. Da singe ich auch Knef-Chansons – und bin die Hauptdarstellerin.