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Hammelburg
Rottmann-Interview: Wie viel Geld steht den Parteien zu?
Die Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann vertritt die Grünen vor dem Bundesverfassungsgericht wegen der staatlichen Parteienfinanzierung. Wir haben mit ihr über Klage und Koalitionsverhandlungen gesprochen.
Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann vertritt die Klage der Grünen gegen das Parteifinanzierungsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht.       -  Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann vertritt die Klage der Grünen gegen das Parteifinanzierungsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht.
Foto: Thomas Obermeier/Archiv | Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann vertritt die Klage der Grünen gegen das Parteifinanzierungsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht.
Ralf Ruppert
 |  aktualisiert: 17.08.2022 02:46 Uhr

Im Jahr 2018 hat der Bundestag mit den Stimmen von Union und SPD im Eiltempo die Obergrenze für den staatlichen Anteil der Parteienfinanzierung um rund 25 Millionen auf 190 Millionen Euro erhöht. Grüne, Linke und FDP sahen darin einen Verstoß gegen den im Grundgesetz verankerten Grundsatz der Staatsfreiheit von Parteien und zogen vors Bundesverfassungsgericht . Die AfD reichte eine Organklage ein, weil das Gesetz angeblich zu schnell beschlossen wurde. Seit der vergangenen Woche wird in Karlsruhe verhandelt. Die Hammelburger Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann (Grüne) ordnet im Interview die unterschiedliche Kritik ein und äußert sich zur Aussicht auf eine Ampel.

Frau Rottmann, etablierte Parteien müssen im Moment eh viel einstecken, kommt die Diskussion zur Parteienfinanzierung gerade besonders ungelegen? Oder gibt es dafür prinzipiell keine richtige Zeit?

Mit einer guten Begründung kann man auch über die Höhe der Parteienfinanzierung diskutieren, aber diese Begründung fehlt hier halt. Und das passiert vor dem Hintergrund, dass die früheren Volksparteien deutlich an Zustimmung verlieren. Deshalb macht das schon einen komischen Eindruck.

Warum ist der bisherigen Opposition das Thema so wichtig, dass Sie mit einer Klage nach Karlsruhe gegangen ist?

Das liegt daran, dass es sonst keinen Kläger gibt. Es ist ja eigentlich niemand davon betroffen außer der Steuerzahler, und wenn nicht eine Minderheit im Bundestag sagt: "Wir legen das in Karlsruhe im Wege der abstrakten Normenkontrolle vor", dann kontrolliert das niemand. Das wäre ein ganz verheerendes Zeichen: Wir haben eine Gesetzgebung in eigener Sache, von der die profitieren, die darüber abstimmen, und dann wird es nicht einmal überprüft, obwohl es erhebliche Zweifel gibt. Ich glaube, es würde das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger sehr beschädigen, wenn wir das nicht vorlegen würden.

Weshalb haben die Grünen Sie mit der Aufgabe betraut, die Klage zu vertreten?

Ich bin in der letzten Wahlperiode sowieso die Berichterstatterin für die Bundesverfassungsgerichtsverfahren gewesen, und bin auch schon an der Uni ziemlich tief in Parteienrecht drin gewesen.

Es gibt Kritik sowohl an der Entscheidung als auch am Verfahren. Fangen wir mit dem Wie an: Was lief aus ihrer Sicht falsch?

Es gibt Kritik am Verfahren, die ich aber nicht teile. Das ist die Kritik der AfD , die sagt, das sei alles zu schnell gegangen innerhalb von zehn Tagen. Das war zwar ungewöhnlich, aber nicht so schnell, dass man das nicht hätte bewältigen können. Da stilisiert die AfD ihre eigene Überforderung immer gleich zum Verfassungsbruch hoch. Die Große Koalition hat schon manchmal Gesetze überstürzt verabschiedet, aber das war ein normaler Fall, bei dem wir eine Anhörung hatten und die Argumente austauschen konnten. Das war für mich kein Problem.

Also steht bei Ihnen das Ob im Vordergrund: Was ist an der Entscheidung aus Ihrer Sicht falsch?

Im Jahr 1992 hat das Bundesverfassungsgericht bestimmte Eckpunkte für die staatliche Parteienfinanzierung festgelegt. Vorher war umstritten, ob es das überhaupt geben darf, da gab's nur die so genannte Wahlkosten-Erstattung. Das Bundesverfassungsgericht hat damals gesagt: "Die Parteien können ihre Aufgaben erfüllen mit dem Geld, das sie haben." Also müssten die Parteien sehr gute Gründe dafür nennen, wenn sie die Zahlungen über die Teuerungsrate hinaus erhöhen wollen. Da müsste irgendwas Außergewöhnliches passiert sein. Ansonsten müssten sie mit dem auskommen, was sie jetzt haben, nur eben um die Inflationsrate erhöht.

Und was führten SPD und Union da konkret an?

Die Begründung war, dass es die Digitalisierung und neue Beteiligungsverfahren in den Parteien gibt, also Beteiligungsprozesse wie Ur-Wahlen, Regionalforen und so weiter. Was die beiden Parteien halt vorher nicht kannten, wir haben das ja schon ganz lange. Das war aber die einzige Begründung. SPD und Union haben weder begründet, warum das jetzt ausgerechnet zu einer Erhöhung um 24 Millionen Euro führen soll, was das Ziel davon ist, warum die Parteien darauf angewiesen sind, um ihre Funktionen auszuüben. Diese Schwäche der Begründung ist sehr, sehr deutlich geworden in der mündlichen Verhandlung: Das hatte den Eindruck, dass sich jemand selbst bedient, schon sehr verstärkt, finde ich.

Ist das ein Stück weit auch Realitätsverlust der GroKo ?

Ja, für mich steht das auch im Zusammenhang mit der versäumten Wahlrechtsreform : Wir haben ja dafür gekämpft, dass der Bundestag deutlich verkleinert wird. Union und SPD haben das letztlich verhindert, der Bundestag ist wieder größer als der letzte geworden. Das ist für mich der Versuch, sich gegen das zu stemmen, was die Wähler machen, nämlich zu sagen, dass es keine zwei großen Parteien mehr gibt, sondern mehrere, die ungefähr gleich stark sind. Union und SPD wollen halt trotzdem keine Abgeordneten und keine Mittel verlieren. Das ist das, was mich daran besonders stört.

Die Grünen sind aktuell im Aufwind und tun sich deshalb auch finanziell leichter. Trotzdem haben auch Sie im Wahlkampf als Entschuldigung für die Fehler von Annalena Baerbock angeführt, dass manchmal noch Strukturen fehlen. Deshalb die Frage: Gibt es eventuell Parteikollegen, die sich wünschen, dass Sie in Karlsruhe verlieren?

Die Schatzmeister können natürlich immer mit Geld etwas anfangen, aber wir müssen den Vergleich zur Wirtschaft ziehen: Jedes Unternehmen, das wächst, muss das aus eigener Kraft schaffen, muss sich Lösungen für die Digitalisierung überlegen, muss vielleicht qualifizierteres Personal einstellen. So ist das bei Parteien eben auch. Unser Schatzmeister hat jedenfalls in dem Verfahren klar gesagt, dass er auskommt mit dem Geld. Er hat deshalb auch das, was er jetzt seit 2018 mehr bekommen hat, bei Seite gelegt, das ist bei uns nicht in den Wahlkampf geflossen, er kann das zurückzahlen. Wir finden, dass man die bisherige Grenze sehr ernst nehmen muss.

Zuletzt noch zur aktuellen Politik: Wie sieht's mit den Koalitionsverhandlungen aus, wie ist die Stimmung in Berlin und wie finden Sie persönlich die Aussicht auf eine Ampel?

Ich finde es gut, dass es offensichtlich den gemeinsamen Willen gibt, schnell zu einer neuen Regierung zu kommen, weil ich glaube: Das braucht das Land. Das politische System ist zu lange um sich selbst gekreist, es sind unheimlich viele Probleme liegen geblieben, und die Wählerinnen und Wähler haben gesagt: "Wir wollen eine Veränderung." Und sie wollen jetzt natürlich auch was sehen. Es kommt nicht darauf an, wie es uns geht, sondern darauf, ob wir die Probleme lösen. Einfach ist es nicht, weil da schon auch Parteien zusammengespannt sind, die in vielen Fragen sehr unterschiedliche Auffassungen haben. Aber genauso wie sich die Menschen draußen zusammenfinden müssen, um die Probleme zu lösen, müssen wir das auch. Das ist einfach unsere Pflicht.

Und wie ist ihre ganz persönliche Beteiligung? Werden die Fraktionen bereits mit reingenommen oder findet das noch in dem Zirkel statt, der von sich gerne Selfies macht?

Zum Verfahren darf ich nichts sagen. Ich habe den Ehrgeiz, dass wir die Vertraulichkeit wahren. Wenn die anderen das nicht wahren können, dann ist das deren Problem. Ich sage nur: Wir haben alle viel zu tun. Es ist viel Arbeit.

Das Gespräch führte Ralf Ruppert.

 
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