
Jagen ist in: Laut dem Deutschen Jagdverband gab es 2022 rund 407.000 Jägerinnen und Jäger in Deutschland – fast 100.000 mehr als 1990. Doch wie in vielen gesellschaftlichen Bereichen gibt es auch bei der Jagd eine immer stärkere Polarisierung: Neben den Jägern nimmt auch die Zahl der Jagdgegner zu.
Präzedenzfall in Bayern
Einer davon ist Roland Dunkel aus Frankenbrunn . Der ehemalige Verwaltungsangestellte hat mit seinen beiden Grundstücken sogar Justizgeschichte geschrieben: Seine Wiese und sein Waldgrundstück waren die ersten in Bayern, vermutlich sogar in ganz Deutschland, die vom allgemeinen Jagdrecht ausgenommen wurden.
Bereits seit 30 Jahren Vegetarier
Die Geschichte beginnt bereits 1993: Roland Dunkel sah eine Reportage über Pelztierzucht. „Das war ein Schlüsselerlebnis“, sagt der 65-Jährige noch 30 Jahre später. Ab dann habe er sich mit Massentierhaltung und Tierschutz beschäftigt – und wurde Vegetarier. Ganz vegan ernähre er sich nicht, aber er trinke auch keine Milch und esse nur selten Eier.

„Damals war das ein großer Schritt, und man war sofort Außenseiter, heute ist es leichter geworden“, sagt Roland Dunkel, und: „Ich habe das von heute auf morgen entschieden, aber die Umsetzung war extrem schwer – schwerer, als mit dem Rauchen aufzuhören.“
Tierschutz stand im Vordergrund
Unter anderem habe er damals noch aktiv Fußball gespielt: In Männerrunden oder bei Vereinsfesten habe es immer wieder dumme Sprüche gegeben. In Gaststätten und Supermärkten seien vegetarische Lebensmittel völlig unüblich gewesen. „Da hat sich viel getan.“
Für ihn habe auch immer der Tierschutz im Vordergrund gestanden. Um die gesunde Ernährung sei es ihm ursprünglich gar nicht gegangen: „Geraucht und Alkohol getrunken habe ich sehr wohl“, berichtet er lachend.
Zusammenhang mit Klimaschutz damals noch nicht bekannt
Auch der Klimaschutz, der heute vielen Vegetariern und Veganern wichtig ist, habe keine Rolle gespielt: „Damals hat ja überhaupt niemand gewusst, dass es einen Zusammenhang zwischen Tierhaltung und Klima gibt“, erinnert sich der Frankenbrunner.
Neben der Umstellung der Ernährung setzte sich Dunkel überregional für die Rechte von Tieren ein, trat dem Tierschutzverband bei und gründete mit Gleichgesinnten den „Arbeitskreis für humanen Tierschutz und gegen Tierversuche “, der bis heute unter neuer Leitung aktiv sei.
Jagd rückte in den Fokus
Bei den vielen, zum Teil deutschlandweiten Treffen sei irgendwann auch die Jagd angesprochen worden. Eine häufig gestellte Frage dabei: „Warum muss ich eigentlich dulden, dass auf meinem Grundstück Tiere abgeschossen werden?“
In Deutschland regelt das Jagdrecht seit 1954, dass jeder Eigentümer von Grundstücken kleiner als 75 Hektar zwangsweise Mitglied der örtlichen Jagdgenossenschaft ist und die Jagd gestatten muss.
Ersten Antrag bereits 2007 gestellt
Im Jahr 2007 beantragte Roland Dunkel mit seinem Rechtsanwalt Dominik Storr eine Befreiung von diesem Zwang. „Die untere Jagdbehörde konnte damit natürlich gar nichts anfangen und hat einfach abgelehnt“, erinnert sich Dunkel.
Also ging die Sache ans Verwaltungsgericht, auch dort gab es eine Niederlage. „Das haben fünf Richter entschieden, ich gehe davon aus, dass alle Jäger waren, bei dreien wussten wir es sicher.“ Allerdings habe es zwischenzeitlich eine Befreiung in Frankreich gegeben, später in Luxemburg.
Grundsatzurteil in Straßburg
Der Fall ging an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, der jedoch jahrelang um Aufschub bat, denn: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befasste sich parallel mit dem Thema.
Im Juni 2012 kam dann das Signal aus Straßburg: Laut den Richtern verstößt es gegen die Menschenrechte, wenn Grundstückseigentümer dazu verpflichtet werden, einer Jagdgenossenschaft zwangsweise beizutreten und die Jagd auf ihren Grundstücken zu dulden, obwohl die Jagd ihren eigenen ethischen Vorstellungen und ihrer Moral widerspricht.
Trotzdem war es noch ein weiter Weg für Dunkel
Im Januar 2013 urteilte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, dass auf den beiden Grundstücken von Roland Dunkel nicht mehr gejagt werden darf. Die Entscheidung ging durch sämtliche große Tageszeitungen und viele Fernsehsender. „Jagdgegner darf Bambi schützen“ titelte etwa die Süddeutsche Zeitung.
Allerdings war das Urteil nur vorläufig: Im Dezember 2013 wurde das Bundesjagdgesetz geändert. In Paragraf 6a ist seitdem die „Befriedung von Grundflächen aus ethischen Gründen“ geregelt. Darin gibt es etliche Hürden: Die Antragsteller müssen nicht nur ihre Gründe nennen, sondern dürfen die Jagd auch auf keinem anderen ihrer Grundstücke zulassen und natürlich selbst keinen Jagdschein besitzen.
Mehrere Ausnahmen im Gesetz
Zudem gibt es Ausschlusskriterien im Gesetz: Anträge dürfen zum Beispiel abgelehnt werden, wenn aus Sicht der Behörden ein artenreicher und gesunder Wildbestand in Gefahr ist, zudem müssen die Lebensgrundlagen des Wildes gesichert sowie der Schutz der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft vor übermäßigen Wildschäden gewährleistet sein.
Auch Naturschutz und Landschaftspflege, der Schutz vor Tierseuchen oder die „Abwendung sonstiger Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ können Ablehnungsgründe sein.
Urteile und Tipps für Anträge online
Deshalb haben seit dem Verfahren von Roland Dunkel viele weitere Tierschützer gegen die so genannte Zwangsbejagung geklagt. Erreichen wollen sie auch, dass nicht nur natürliche Personen, sondern etwa Stiftungen ihre Grundstücke befreien lassen können. Zusammengefasst sind einige Urteile und Tipps zum Antrag auf der von Dunkel mitgegründeten Seite zwangsbejagung-ade.de .
Dunkel selbst beantragte 2014 die endgültige Befreiung. Nach mehr als einem Jahr Prüfung erhielt er 2015 den Bescheid, dass seine beiden Grundstücke von der Jagd befreit sind. Kosten pro Grundstück: 476 Euro. Nach Angaben des Landratsamtes kostet jede einzelne Befreiung mittlerweile sogar mehr als 700 Euro.
Aktuell nur 15 Grundstücke befreit
Das dürfte der Hauptgrund dafür sein, dass aktuell im Landkreis laut Landratsamt nur 15 Grundstücke mit einer Gesamtfläche von 3,4 Hektar nicht für die Jagd zur Verfügung stehen. Bei einer Gesamtfläche des Landkreises Bad Kissingen von 113.684 Hektar eine verschwindend geringe Fläche.
Wie läuft das Verfahren ab und weshalb ist es so teuer? Wer aus einer Jagdgenossenschaft, also dem Zusammenschluss aller Eigentümer von bejagbaren Grundstücken in einer Gemarkung, austreten will, muss beim Landratsamt einen Antrag nach Paragraf 6a des Bundesjagdgesetzes einreichen. „Der Grundstückseigentümer muss dabei glaubhaft machen, dass er die Jagdausübung aus ethischen Gründen ablehnt“, betont das Landratsamt.
Langwieriges Verfahren
Danach schließt sich ein aufwendiges Verfahren an: „Der Entscheidung über den Antrag hat neben der Anhörung des Antragstellers eine Anhörung der Jagdgenossenschaft, des Jagdpächters, angrenzender Grundeigentümer, des Jagdbeirats sowie der Träger öffentlicher Belange vorauszugehen“, heißt es im Bundesjagdgesetz . Träger öffentlicher Belange sind alle Fachbehörden und viele weitere Institutionen.
Das hat damals auch Dunkel erfahren: „Die Autobahndirektion wurde gefragt, ob sich die Befreiung meiner nicht einmal einen Hektar großen Wiese negativ auf die Autobahn auswirkt“, berichtet er. Die hohen Kosten erachtet er als „Schikane“, die das erfochtene Grundrecht wieder erheblich relativiere.
„Größter Erfolg in meinem Leben“
Trotzdem bleibt er dabei: „Das Urteil 2013 war – abgesehen von meiner Familie natürlich – der größte Erfolg in meinem Leben.“ Auch seine drei Kinder seien stolz darauf gewesen. Auf der anderen Seite sei die Zeit auch sehr belastend gewesen. Irgendwann sei ihm der Medienrummel zu viel geworden. „Ich habe mich komplett zurückgezogen und war froh, dass es rum war“, sagt Roland Dunkel heute.
Ist ein Grundstück befreit, muss der Eigentümer die die betoffene Fläche entsprechend kennzeichnen. Zudem erhält laut Landratsamt der Revierinhaber oder die Revierinhaberin einen Abdruck des Bescheides. Damit dürfe das Grundstück nur noch zur Nachsuche nach verletzten Tieren betreten werden.
Hohe Hürden im Sinne der Jäger
„Wenn es ein kleines Grundstück ist, kann man sich da sicher arrangieren, bei größeren Flächen wird das jagdtechnisch schon schwierig“, kommentiert Jäger Helmut Keller die Möglichkeit der Befreiung. Keller ist Jagdberater für den Altlandkreis Hammelburg.
In seinem eigenen Revier in Sulzthal gebe es bislang keine befreiten Flächen. Es habe zwar schon einmal entsprechende Ankündigungen gegeben, aber die seien nicht sehr realistisch: Ein Landwirt könne ja nicht einen einzelnen Acker befreien lassen, weil er sich dort über einen Jäger ärgere, sondern müsste dann auf einmal alle seine Grundstücke befreien lassen. Das stuft Keller auch angesichts der hohen Kosten als unwahrscheinlich ein.
Keller: „Jagd ist wichtig“
Die hohen Hürden im Sinne der Jäger verteidigt Keller: „Jagd ist wichtig, weil bestimmte Wildarten bei uns einer Regulierung bedürfen.“ Land- und Forstwirte würden immer wieder Schäden durch zu viel Wild beklagen. Das Jagdrecht sei seit Jahrzehnten ein Nutzungsrecht des Bodens. „Man muss eine sinnvolle Bejagung ermöglichen, und die Jagdgenossenschaften brauchen einen einheitlichen Rahmen“, betont Keller.
Gegen die Jagd ist Roland Dunkel übrigens auch, weil aus seiner Sicht zu viel gefüttert wird: „Solange illegal so viel Futter ausgelegt wird, muss man gegen die Hobby-Jagd sein.“
Futtermenge ist begrenzt
Jäger Helmut Keller verweist darauf, dass pro 100 Hektar bejagbarer Fläche ein Kilo Futter pro Tag an so genannten Kirrplätzen erlaubt sei, um Tiere anzulocken. „Für eine Wildschweinrotte mit 20 Tieren ist das natürlich zu wenig“, sagt Keller.
Allerdings würden er als Jagdberater und die untere Jagdbehörde Hinweisen nachgehen, dass zu viel gefüttert wird. Er selbst halte sich jedenfalls an die Vorgabe, wobei zu beachten sei, dass etwa bei Dreschabfällen nicht alles Futter sei, was auf den Kirrplätzen liege.
Grundstücke mittlerweile übergeben
Auf den beiden Grundstücken von Roland Dunkel darf mittlerweile übrigens wieder gejagt werden: Er hat Wiese und Wald an seine Kinder übergeben.
Weil die Befreiung an der Gewissensentscheidung der Eigentümer hängt, sei sie verfallen und müsse von den Kindern neu beantragt werden. „Das habe ich ihnen überlassen, aber ich denke, dass auch sie das machen werden“, sagt Dunkel.
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