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BAD KISSINGEN
Rhöner Märchen auf Rügen
Expertin in Sachen Märchen: Heidi Andriessens ist auch weit über die Region hinaus gefragt.
Foto: Isolde Krapf | Expertin in Sachen Märchen: Heidi Andriessens ist auch weit über die Region hinaus gefragt.
Von unserem Redaktionsmitglied ISOLDE KRAPF
 |  aktualisiert: 25.09.2013 15:33 Uhr

In ihrem ersten Leben war Heidi Andriessens Pädagogin. In ihrem zweiten hat sie sich der wundersamen Märchenwelt verschrieben. Seit 20 Jahren fühlen sich kleine und große Leute bei ihr wohlig geborgen, wenn sie zum Beispiel mit glaubhafter Mimik den „bösen Wolf“ mit Worten imitiert. Und jedes (junge und auch noch alte) Mädchenherz schlägt automatisch höher, wenn die 71-Jährige mit wohlklingender Stimme schildert, wie der „hässliche Frosch“ daherplatscht und sich zum strahlenden Prinzen mausert. Heidi Andriessens kann halt einfach super erzählen. Das hat sich schon bis Rügen und Bornholm herumgesprochen.

Im Juli war die Märchenfrau aus Bad Kissingen Gasterzählerin beim Rügener Märchensommer und brachte dorthin zur Freude aller alte Rhöner Märchen mit. Von Sassnitz aus fuhr sie mit der Fähre auf die Insel Bornholm, um dort auf eine Einladung hin beim Märchenfestival kleine und große Zuhörer mit ihrer Erzählkunst zu verzaubern.

Im August war Andriessens aber auch im Orgelbaumuseum Ostheim, in der Kunststation Kleinsassen und auf Schloss Aschach vertreten. Und sie erzählte im Bestatterzentrum in Münnerstadt Märchen für Erwachsene. Denn in zahlreichen Märchen spielt ja der Tod eine zentrale Rolle, erklärt sie die Motivation ihres dortigen Besuchs. Und hat nicht jedes Märchen sowieso etwas Tröstliches? Eigentlich überall, wo sie einmal Gäste in ihr Märchenreich einließ, wird sie anschließend gefragt, ob sie wiederkommt und sich sogleich einen Termin frei halten könnte.

Mit gelegentlichen Märchenstunden für die Kleinsten im Alten Rathaus in Bad Kissingen begann Andriessens 1993 ihre „Erzählkarriere“. Später wurden regelmäßige Märchenstunden für Sechs- bis Achtjährige in der Stadtbibliothek angeboten. Irgendwann war Andriessens eine gefragte Größe. Deshalb bildete sie sich bei Seminaren an der Volkacher Akademie für Kinder- und Jugendliteratur fort. Gelernt hat sie damals auch, dass sie nicht länger in der Öffentlichkeit kostenlos vorlesen muss, sondern durchaus für ihre Dienstleistung einen kleinen Obolus von den Gästen abverlangen darf.

Gleichwohl ihr an großen Geldeinnahmen gar nichts liege. Das glaubt man der sympathischen Kissingerin sofort, wenn sie von „ihrer Gruppe FortSchritt“ zu schwärmen beginnt, der sie den Großteil ihrer Einnahmen spendet. Da kommt über die Jahre Etliches zusammen: In den Mitteilungen des Würzburger Vereins, der sich der Förderung von Kindern mit Schädigungen am zentralen Nervensystem verschrieben hat, ist von rund 38 000 Euro die Rede, die Andriessens in den vergangenen 17 Jahren dort spendete.

Damals begann sie auch Märchen aus aller Welt zu suchen und sie zu sammeln. Heute hat sie „wahrscheinlich 100 Märchen“ im Kopf. Was die Wahl-Kissingerin mit schwäbischen Wurzeln als Märchenerzählerin so besonders macht: Sie liest nicht etwa von einem Buch ab. Nein, sie sitzt da mitten unter den Menschen und erzählt frei aus ihrem Kopf. Schaut dabei in fröhliche und bange Gesichter, sieht, wie die kleinen und großen Besucher angespannt lauschen oder aufgeregt hin- und herrutschen. Registriert, wie die Kinder hie und da erschrecken, an den Nägeln kauen und dann am Ende doch glücklich lachen.

Ob Volks- oder Kunstmärchen, fantastische Geschichten zu bestimmten Themenkreisen oder Erzählungen nach Wunsch und Erinnerung, Andriessens verbreitet mit ihren Geschichten Glanz und Farbe in den Herzen, aber sie nimmt später auch die Begeisterung der Zuhörer für ihr eigenes Leben mit. Selbst an sich wortkarge Erwachsene oder schüchterne Kinder schließen sich nämlich plötzlich auf und offenbaren der 71-Jährigen das, was in ihnen vorgeht. Märchenerzählen hat etwas mit Vertrauen zu tun, mit Nähe, vielleicht sogar mit Intimität.

Für Andriessens sind dies alles unschätzbar wertvolle Momente, die sie, wie sie sagt, auch mit ihren eigenen zwei Kindern seinerzeit sehr genoss. Sie rät allen Eltern, sich ab und an Zeit zu nehmen für ein Märchen mit den Sprösslingen, denn beim Erzählen entsteht Gemeinschaft und aktiver Dialog – Augenblicke, die man nie mehr zurückholen kann.

Sind Märchen grausam? Andriessens verneint kategorisch. Es sind fantastische Geschichten, die Lebensweisheiten wiedergeben und in verzwackten Situationen Lösungen anbieten. Kinder lernen ihrer Ansicht nach, dass das richtige Verhalten, auch wenn man unterwegs über Hindernisse hinweg muss, letzten Endes belohnt wird. „Märchen vermitteln Werte, die für eine Gesellschaft wichtig sind.“

 
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